Scharping schasst General - Kritik am Kosovo-Krieg unerwünscht

von Bericht: Volker Steinhoff

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Rudolf Scharping © dpa - Report, Foto: Bernd Weißbrod

16 Jahre, 16 Jahre lang predigten sie Zivilcourage, forderten die Regierung zu mehr Offenheit auf. Der autoritäre Staat wurde angeprangert, auch der Umgang mit unbequemen Kritikern bemängelt. Solange SPD und Grüne in der Opposition waren, hatten sie gut und leicht reden. Nun, in der Regierungsverantwortung, scheinen sie die vorher eingeforderten Eigenschaften eher als störend und unerwünscht wahrzunehmen. Auf dem Weg nach oben ändert sich eben auch die Wertschätzung der Tugenden. In der vergangenen Sendung haben wir uns mit dem Kosovo-Krieg, genauer: mit der Medienkampagne des Verteidigungsministers beschäftigt. Dabei kam ein ehemaliger Bundeswehrgeneral zu Wort, der sich kritisch über den sogenannten "Hufeisenplan" äußerte, jenes Szenario, mit dem Verteidigungsminister Scharping im vergangenen Jahr die Fortsetzung des Krieges begründet hatte. Nach der Ausstrahlung des Interviews bekam der ehemalige General massive Schwierigkeiten.

Scharping schasst General Loquai
Aufgrund der Kritik von General Heinz Loquai in der Kosovo-Krise 2000, wurde er von Rudolf Scharping gekündigt.

Über den rabiaten Umgang mit dem unerwünschten Kritiker berichtet Volker Steinhoff.

KOMMENTAR:

Vierzig Jahre lang war er Soldat, jetzt soll er gehen: General Heinz Loquai. In der letzten PANORAMA-Sendung hatte er schwere Vorwürfe gegen Verteidigungsminister Scharping erhoben. Der reagierte sofort.

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HEINZ LOQUAI:

(General a. D.)

"Bis zwei Tage vor dieser Sendung war noch klar, dass der Vertrag verlängert wird. Das Verteidigungsministerium hatte ausdrücklich der Verlängerung zugestimmt. Und einen Tag nach der Sendung kam dann die Abstrafung."

KOMMENTAR:

Die Reaktion auf ein spektakuläres Interview. General Loquai, ein Mitarbeiter der OSZE, hatte sich zur Rolle von Rudolf Scharping im Kosovo-Konflikt geäußert. Der hatte die Fortsetzung der deutschen Beteiligung am Krieg mit einem Plan begründet, dem sogenannten "Hufeisenplan". Demnach wollte Milosevic die Albaner von Anfang an vertreiben. Das offene Ende des Hufeisens ist links unten nach Albanien gerichtet: einziger Fluchtweg für die Bevölkerung. Für Scharping klar: Verhandeln zwecklos, Krieg gerechtfertigt.

Doch General Loquai sprach mit den Fachleuten im Verteidigungsministerium. Das Ergebnis enthüllte er gegenüber PANORAMA: Der Plan wurde keineswegs von Milosevic in Belgrad, sondern von Scharpings Leuten in Bonn gezeichnet.

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HEINZ LOQUAI:

(General a. D., PANORAMA 18.5.2000)

"Ich kann nur sagen, dass der Verteidigungsminister bei dem, was er über den Hufeisenplan sagt, nicht die Wahrheit sagte."

KOMMENTAR:

Ein Interview mit PANORAMA lehnte Scharping ab, damals wie heute. Stattdessen wüste Beschimpfungen im Privatfernsehen:

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RUDOLF SCHARPING:

(Verteidigungsminister)

"Es ist alles - in meinen Augen eine ganz erstaunliche Diskussion, zum Teil auch erbärmlich, wenn ich an einen bestimmten PANORAMA-Bericht denke, so ein tendenziöses Propagandastück habe ich noch selten gesehen."

KOMMENTAR:

Und seinen wichtigsten Kritiker, General Loquai, nannte er "böswillig und ahnungslos". Dann veranlasste er seinen Rausschmiss. Der Grund?

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HEINZ LOQUAI:

"Nach meiner Überzeugung war es die Tatsache, dass ich offengelegt habe, was man mir im Verteidigungsministerium gesagt hat, was mir die Experten im Verteidigungsministerium gesagt haben. Danach war klar, dass der Minister in der Sache Hufeisenplan nicht die Wahrheit sagte. Das war, glaube ich, das entscheidende Motiv, mich abzustrafen."

KOMMENTAR:

Zwar möchte von der OSZE in Wien niemand vor die Kamera - aus diplomatischen Gründen. Dafür versichert man, dass der General ein hervorragender Mitarbeiter sei, den man gern weiterbeschäftigt hätte.

Doch das Verteidigungsministerium verweigerte die nötige Zustimmung. Ende Juli muss General Loquai gehen.

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WILLY WIMMER:

(CDU-Bundestagsabgeordneter)

"Ich finde, dass das erbärmlich ist, wie Herr Scharping sich da benimmt. Und wer so auf die Sahne geschlagen hat, im publizistischen Sinne, im Zusammenhang mit dem Krieg gegen Jugoslawien, der sollte vorsichtig sein in der Wahl seiner Worte. Und es wäre angemessen, wenn er über seine eigene Rolle zurückhaltender argumentieren würde, als er das derzeit tut, und er sollte vor allen Dingen eins machen: Er sollte nicht über jemanden herfallen, der sehr korrekt seinem Dienst nachgekommen ist und der sehr korrekt über das, was er als Erkenntnisse hatte, auch berichtet hat."

KOMMENTAR:

Jahrelang forderten Rote und Grüne in der Opposition mehr Zivilcourage. General Loquai hat Zivilcourage bewiesen - offensichtlich im falschen Moment.

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HEINZI LOQUAI:

"Ich war 40 Jahre Soldat. Mir ist so etwas in meiner ganzen Laufbahn noch nicht passiert. Zivilcourage kann man fördern, Zivilcourage fördert man, wenn man sie entsprechend akzeptiert, aber nicht, wenn man repressiv gegen sie vorgeht."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.06.2000 | 21:00 Uhr