Pöbeln, Prügeln, Würgen - Zunehmende Gewalt gegen Schiedsrichter

von Bericht: Andreas Lange und Boris Poscharsky

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Schiedsrichter hält eine Rote Karte hoch. © dpa Foto: Ingo Wagner

Dass es beim Fußball nicht nur ums Großereignis am Wochenende geht, sondern immer auch um mehr, darüber sind sich Soziologen und Psychologen seit langem einig. Fußball hat zwar auch schon Kriege ausgelöst, gilt gemeinhin aber als Triebabfuhr, als Möglichkeit, spielerisch Aggressionen loszuwerden. Naja, oder auch als Auslöser kollektiver Depression, wie seit dem gestrigen Länderspiel. Aber das kontrollierte Messen von Kraft, Können und Geschick wird immer öfter von direkter Gewalt abgelöst. Ich rede nicht von den üblichen Fouls oder Tätlichkeiten, die gab es immer. Ebenso wie die Grunderkenntnis, dass eigentlich nur der Schiedsrichter schuld sein kann, wenn man als Verlierer vom Platz schleichen muss. Aber die Toleranz, ihm auch schon mal eine Fehlentscheidung zuzugestehen, ist offensichtlich gesunken. Beim Kampf auf dem Rasen gibt's kein Pardon, dafür immer öfter brutale Attacken auf den Unparteiischen. Vor drei Wochen haben in Köln über tausend Schiedsrichter gestreikt, weil sie es satt haben. Und die schlechten Vorbilder für die vielen Amateure sind die Millionäre der Bundesliga.

Andreas Lange und Boris Poscharsky waren auf deutschen Fußballplätzen.

KOMMENTAR:

Ein Fußball-Wochenende ist mal wieder vorbei. Schiedsrichter Alexander Degeer aus Köln hatte ein B-Jugendspiel gepfiffen. Einen Spieler musste er vom Platz stellen, wegen eines groben Fouls - nichts besonderes.

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ALEXANDER DEGEER:

(Schiedsrichter)

"Und er ging auch erst vom Spielfeld runter, und als ich dem verletzten Spieler hochhelfen wollte, ist er wohl zurückgekommen, hat mich ins Gesichts geschlagen mehrmals, so dass ich wohl direkt bewusstlos zu Boden gefallen bin. Und als ich bewusstlos am Boden gelegen habe, hat er weiter auf mich eingeschlagen. Und der erste Vater, der mit dann helfen wollte, der ist dann auch von diesem Spieler ins Gesicht geschlagen worden, so dass der dann neben mir lag und die eigene Mannschaft ihn dann praktisch von mir und dem Vater zurückgezogen hat."

KOMMENTAR:

Eine andere B-Jugendmannschaft kurz vor dem Spiel bei einem Osterturnier in Hamburg. Heute läuft hier alles friedlich ab. Doch fast alle Jugendspieler haben schon Attacken gegen Schiedsrichter erlebt. Einmal zu viel Abseits gepfiffen, ein Foul übersehen, und dann sind es die Verlierer, die einen Sündenbock suchen.

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FUSSBALLSPIELER:

"Ja, also er hat immer gegen uns gepfiffen, und dann nachher hat er - gab's richtig Ärger mit ihm, dann hat er das Spiel abgebrochen, dann wollte unser Trainer ihn so hauen und so."

INTERVIEWER:

"Wollte ihn hauen? Haut er es auch geschafft?"

FUSSBALLSPIELER:

"Nein, da kam Polizei."

KOMMENTAR:

Ein Schiedsrichter, der noch mal glimpflich davongekommen ist. Anders sein Kollege Bastian Zimmermann. Der Hamburger leitete ein B-Jugendspiel, 15- bis 16-jährige. Irgendwann fingen die Trainer und Betreuer an zu pöbeln. Bastian forderte sie auf, das Gelände zu verlassen. Die weigerten sich, pöbelten weiter. Er musste das Spiel abbrechen.

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BASTIAN ZIMMERMANN:

(Schiedsrichter)

"Der Trainer kam dann in meinem Rücken gelaufen und hat mich dann umgestoßen, umgetreten und mit Faustschlägen halt auf mich eingeprügelt. Und als ich dann am Boden lag, trat dann noch ein Spieler in mich hinein. Man hat natürlich Angst, das ist klar. Man liegt am Boden, und dann sieht man nur die Köpfe, die Gestalten, die sich über einen beugen und dann versuchen, einen zu treten. Da möchte man natürlich so schnell wie möglich weg. Und deswegen bin ich halt auch aufgestanden und einfach nur weggelaufen."

KOMMENTAR:

Bastian musste ins Krankenhaus, mit Prellungen an Kopf und Körper. Ganz wird ihn die Angst wohl nie mehr loslassen. Ein mulmiges Gefühl, sagt er, bleibt immer.Alltag auf Fußballplätzen. Für ehrgeizige Jugendtrainer und Eltern hört der Spaß mit dem Anpfiff auf.Den Einpeitschern am Spielfeldrand haben Sportwissenschaftler von der Uni Hannover genauer zugehört.

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GUNTER A. PILZ:

(Sportwissenschaftler Uni Hannover)

"Also das ist ein besonders trauriges Kapitel. Wir haben mal beim Tag des Jugendfußballs uns mit Studenten mit versteckten Mikrofonen hinter Eltern und Betreuer gestellt und haben innerhalb von einer halben Stunde Begriffe zu hören bekommen wie "Spiel endlich richtig, du Kackarsch", "Mongole, mach' ihn fertig", "Geh' an ihn ran, der kann nichts", "Tritt ihm in die Knochen", "Bewegungslegastheniker", "Nasebohren kannst du zu Hause" - also alles durchaus Äußerungen, die Jugendlichen eigentlich von vornherein deutlich machen, dass selbst schon im Jugendfußball, im Kinderfußball - das waren übrigens 8- bis 10-jährige Kinder - die Eltern als das Wichtigste offensichtlich nicht sehen, dass sie Fußball spielen, sondern dass sie gewinnen."

KOMMENTAR:

Wie in der Bundesliga, der Bühne für die Fußball-Millionäre. Hier können sich die Nachwuchskicker jedes Wochenende abgucken, wie ihre Idole mit den Schiedsrichtern umspringen.Wenn Volker Roth, Chef der Bundesliga-Schiedsrichter, solche Szenen im Stadion mit ansehen muss, ahnt er schon, was am nächsten Tag bei den Amateuren los ist.

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VOLKER ROTH:

(DFB Schiedsrichter-Ausschuss)

"Ich höre natürlich von unseren Kreisschiedsrichtern immer wieder, wenn Samstag in der Bundesliga solche Szenen gezeigt worden sind, dass die Schiedsrichter auf Kreisebene und auf der Jugendebene es dann ungleich schwerer haben. Ja, ja, irgendwie wird das nachgeahmt."

KOMMENTAR:

Das Stadion des VFL Kamen in Westfalen. Hier steigt in wenigen Minuten das Spitzenspiel in der Bezirksliga. In der einen Kabine bereiten sich die Kamener vor. Nebenan der Tabellenführer aus dem benachbarten Kaiserau. Ein Lokalderby mit Brisanz. Meist entladen sich Frust und Wut an einem wie ihm: Ciruan Haddasch Hossein. Diesmal allerdings hat er nichts zu befürchten, denn das Fernsehen ist ja da, und alle haben sich deshalb fest vorgenommen: Heute wird sich vorbildlich verhalten. Der Schiedsrichter ist tabu. Der hat das Spiel auch fest im Griff. Foul, Pfiff, Freistoß. Eine fehlerfreie Leistung, bis kurz vor Schluss. Dann passiert's.

Ciruan Haddasch gibt Elfmeter, beim Stande von 0:0. Kamen verliert. Und mit einem mal sind alle guten Vorsätze verflogen. Schuld hat wieder mal der Schiri.

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FUSSBALLSPIELER:

"Du quälst dich 90 Minuten, und dann gibt er in so'ner Situation, wo der Mann nur hoch geht zum Ball - das war kein absichtliches Handspiel, das kann man nicht geben. Also, ich finde das ungerecht, wirklich, das tut mit leid."

KOMMENTAR:

Die Kamener Spieler toben, wollen Ciruan Haddasch an die Wäsche. Der hat Glück: Zwei Verantwortliche erkennen die Gefahr und gehen sofort dazwischen.

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MANN:

"Das ist zwar heute harmlos eigentlich, im Vergleich zu dem, was ich sonst erlebt habe oder was ich in der Zeitung gelesen habe."

KOMMENTAR:

Nur mit Geleitschutz kommt Ciruan Haddasch heil in die Kabine. Alltag auf Deutschlands Fußballplätzen.Markus Müller hatte weniger Glück. Als er in einem Kreisligaspiel die rote Karte zog, stürzte sich der Sünder auf ihn, riss ihn zu Boden und würgte ihn. Erst vier Spielern der anderen Mannschaft gelang es, den Täter von Markus Müller loszureißen. Fußball, ein gefährliches Spiel, inzwischen auch für Schiedsrichter.

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MARKUS MÜLLER:

(Schiedsrichter)

"Gröbere Sachen sind natürlich schon, dass es richtig zu Schlägen gegen Schiedsrichter kommt, dass sie also wirklich auch Faustschläge ins Gesicht bekommen oder in die Magengrube, dass auf sie eingetreten wird, wenn sie dann schon am Boden liegen. Dann fühlt man sich schon als Freiwild.

KOMMENTAR:

Auch in der Bundesliga. Schuld an Niederlagen ist sowieso immer der Schiedsrichter.

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FUSSBALLER:

"Dass der Schiri blind ist, das war uns vorm Spiel schon bekannt. Er kann's halt einfach nicht besser."

"Scheiss-Schiedsrichter, das ist ein Unding."

"Sauerei."

0-Ton VOLKER ROTH:

(DFB Schiedsrichter-Ausschuss)

"Da habe ich also doch oftmals zu klagen, dass die Profis keine Vorbilder für die jungen Leute sind und dass Schiedsrichter angegangen werden, dass Entscheidungen nicht akzeptiert werden. Hier sollten die Profis doch mal ihre Vorbildfunktion mehr wahrnehmen. Aber ich komme mir manchmal vor wie der einsame Rufer in der Wüste, mir scheint fast so, dass diese Appelle, die ich immer wieder an Fair Play richte, verhallen."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Dazu eine wahre Begebenheit: Ein Spieler fühlt sich vom Schiedsrichter schlecht behandelt, rennt zu seiner Jacke, zieht eine Waffe und schießt. Geschrei, Panik bei den Zuschauern und Spielern, Fluchtversuche. Nur der beschossene Schiedsrichter leibt ganz ruhig. Er zieht seinen Colt und schießt zurück. Zwei verletzte Aktivsportler bleiben liegen. Das geschah in den USA, beim Basketball.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 27.04.2000 | 21:00 Uhr