Gefälschte Papiere, günstige Beiträge - Millionenbetrug bei Autoversicherungen

von Bericht: Thomas Berndt

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Dass Versicherungen bei der Kundenwerbung gern - na, sagen wir mal - ungewöhnliche Methoden anwenden, ist uns weitgehend vertraut. Der aufdringliche Vertreter an der Tür oder lästige Werbeanrufe sind da noch harmlose Varianten. Dass man aber, um potentiell lukrative Kunden an sich zu binden, ohne nähere Prüfung ungewöhnlich günstige Konditionen anbietet, offensichtlich gefälschte Papiere akzeptiert und dabei in Kauf nimmt, dass bereits Versicherte höhere Prämien zahlen müssen, das ist neu.

Millionenbetrug bei Autoversicherungen
Ein Bericht von 2000 über sogenannte Schnäppchentarife von Autoversicherern. Urkundenfälschung gehört zum Tagesgeschäft.

Das berichtet Thomas Berndt.

KOMMENTAR:

Peter Lawkert fährt gerne, und er fährt auch gerne billig. Seinen Führerschein hat er in Kasachstan gemacht. Er ist einer von zwei Millionen Russland-Deutschen. Bei seiner Ankunft in Deutschland war er erstaunt, wie günstig man hier sein Auto versichern kann. Normalerweise zahlen Einsteiger rund 240 Prozent, er aber fährt zum Vorzugstarif, zahlt nur 30.

0-Ton

PETER LAWKERT:

(Russland-Deutscher)

"Ich dachte, das ist ganz normal, das sind günstige Prozente für mich."

KOMMENTAR:

Auch diese Russland-Deutschen sind jahrelang zum Schnäppchentarif gefahren, wie fast alle Aussiedler. Sie brauchten nur nachzuweisen, dass sie in ihren Heimatländern schon einmal eine Autoversicherung hatten. Und da keiner die passenden Dokumente vorlegen konnte, regelten alles die fürsorglichen Versicherungsagenten. Gegen 400 Vertreter wie diesen laufen Ermittlungen und Prozesse wegen Urkundenfälschung und Betrug.

0-Ton

PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Es sind in der Regel total gefälschte Bescheinigungen von angeblich existierenden russischen Versicherungen. Wir haben hier - ich darf das vielleicht mal zitieren - die prägnantesten Fälle: Eine Bescheinigung trägt einen Stempel in kyrillischer Schrift, wenn man den übersetzt, kommt heraus, dass dieser Stempel von einem Verband der Geflügelzüchter stammt. Und in einem anderen Fall haben wir einen Stempel von einem Exekutivkomitee der Wasserwerke Omsk. Warum die Versicherungen das nicht erkannt haben, das entzieht sich meiner Kenntnis."

KOMMENTAR:

Auch warum das Agrarkombinat der Kolchose Karaganda als Versicherung akzeptiert wurde, kann der Vertreter der Badischen Allgemeinen heute nicht mehr erklären. Allein, man war auf Kundenfang, da blieb die Sorgfalt eben auf der Strecke.

0-Ton

ROLAND FAHRNER:

(Badische Allg. Versicherung)

"Richtig informiert darüber, ob es eine solche Gesellschaft gegeben hat oder nicht, haben wir nicht."

INTERVIEWER:

"Man hätte sich doch schon informieren können, ob es so was gab."

ROLAND FAHRNER:

"Man hätte es machen können, wir haben es halt nicht getan."

KOMMENTAR:

Klar, ging es doch darum, Aussiedlern wie Lawkert möglichst viel zu verkaufen. Da hat man gleich ganz darauf verzichtet, sich über das kasachische Versicherungssystem zu informieren.

0-Ton

PETER LAWKERT:

(Russland-Deutscher)

"Versicherungsschutz in Kasachstan, das nicht immer läuft wie in Deutschland."

KOMMENTAR:

Genau, in Kasachstan nämlich gab es nie eine vergleichbare Autoversicherung. Die Aussiedler aber schienen reichlich Umsatz zu versprechen.

0-Ton

ROLAND FAHRNER:

(Badische Allg. Versicherung)

"Der besondere Reiz lag natürlich darin, dass es alles Kunden, potentielle neue Kunden waren, die keinerlei Versicherungsverträge hatten, und wir haben natürlich da auch gutes Potential gesehen, um gute Geschäfte abschließen zu können."

INTERVIEWER:

"Also Pkw-Haftpflichtversicherungen...."

ROLAND FAHRNER:

"Vor allen Dingen natürlich Pkw-Haftpflichtversicherungen, normale Haftpflichtversicherung, Unfallversicherung, Rechtschutzversicherung, die gesamte Palette eben, die wir anbieten."

KOMMENTAR:

Die gesamte Palette bearbeiten jetzt andere: eine Sonderkommission der Polizei. Schon seit über drei Jahren ermittelt in Karlsruhe die sogenannte SOKO "GUS-Staaten" mit bis zu fünfzig Beamten. Bei Razzien beschlagnahmte man Schreibmaschinen wie diese, auf denen hunderte von angeblichen Versicherungsbescheinigungen gefälscht wurden. Den Schaden zahlen die anderen Autofahrer, die bei den betroffenen Versicherungen sind, mit erhöhten Prämien.

0-Ton

PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Wir sind derzeit deutlich über 10 Millionen. Wenn wir jetzt eine Vielzahl von Fällen bekommen, kann durchaus sein, dass sich das dramatisch erhöht."

KOMMENTAR:

Und es kommen neue Fälle, wie auch der von Tome Ristowski. Auch er fährt zum Vorzugstarif mit russischer Bescheinigung. Stutzig machte die deutschen Versicherungen noch nicht mal, dass der Mann aus Mazedonien kommt. Eine Aussiedlerfrau hatte ihn vermittelt.

0-Ton

TOME RISTOWSKI:

(Mazedonier)

"Sie hat zu mir gesagt: Bist du blöd, warum zahlst du so viel Versicherung. Mein Brüder sind gestern von Russland gekommen, und sie haben 50 Prozent gekriegt, und Bekannte, die ganze Verwandte, die auch bei die Versicherung abgeschlossen. Da hab` ich gedacht: Das ist toll, 50 Prozent runter, von 125 auf 50, das ist also ganze Menge Prozente. Also das hat mich sehr gefreut."

KOMMENTAR:

Ristowski hat allen Grund zur Freude. Die Versicherungen schauen stillschweigend weg, und die Kripo hat eine ganze Menge zu tun.

0-Ton

PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Wir haben von diesen Versicherungsfällen inzwischen 5.000 Fälle aufgearbeitet. Und wir haben jetzt gerade dieser Tage wieder zweieinhalb tausend neue Fälle dazu bekommen. Ein Ende ist für uns noch nicht absehbar."

0-Ton

ROLAND FAHRNER:

(Badische Allg. Versicherung)

"Wir waren vielleicht etwas zu blauäugig."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Zu blauäugig oder zu gerissen. Vielleicht dachte man auch, das fällt niemandem auf?

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 27.04.2000 | 21:00 Uhr