Verschleuderte Steuergelder - Die Ausreden von ertappten Bürokraten

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Um so mehr ärgert es den braven Steuerzahler - uns alle - wenn das, was der Staat einnimmt, sinnlos verschwendet wird. Der Bundesrechnungshof hat es gerade mal wieder drastisch belegt: Sechzig Milliarden Mark werden Jahr für Jahr in Bund, Ländern und Gemeinden sinnlos vergeudet. Da gerät die beste Steuermoral ins Wanken. Wenn Privatfirmen oder Banken Millionen oder gar Milliarden in den Sand setzen, endet so etwas oft mit dem Rauswurf des Verantwortlichen, manchmal auch mit Regreßansprüchen. Sind die Verschwender aber Beamte oder Politiker, werden sie höchstens wegbefördert - verantworten müssen sie sich in der Regel nicht. Eva Altmann und Edith Heitkämper haben einige Staatsdiener besucht, die ganz interessante Rechtfertigungs- und Erklärungsmodelle parat haben.

Verschleuderte Steuergelder: Ausreden ertappter Bürokraten
60 Milliarden DM werden laut Bundesrechnungshof jährlich sinnlos vergeudet. Das belegen Beispiele von Berlin bis München.

KOMMENTAR:

Die Schleuse bei Greetsiehl in Ostfriesland. Weil die Schleusenwärter nah an ihrer Arbeitsstelle wohnen sollen, ließ das zuständige Amt zwei Diensthäuser bauen. Genehmigt waren dafür 760.000 Mark. Doch die Kosten explodierten, verdoppelten sich auf eineinhalb Millionen. Jedes Haus ist größer geworden als geplant. Statt 120 Quadratmeter jetzt über 150. Er ist der zuständige Amtsleiter, und er findet die Kostenexplosion gerechtfertigt.

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GÜNTER WOLTERS:

(Landesbetrieb für Wasserwirtschaft)

"Es war Erfordernis, hier möglichst qualifiziertes Personal zu bekommen. Und das war in dieser abgeschiedenen Lage nur zu bekommen, wenn auch ein entsprechender Standard angeboten wird."

INTERVIEWERIN:

"Wie können Sie das nachweisen? Hat es sonst keine Sielwärter gegeben, die in eine kleinere, also in eine 120 Quadratmeter-Wohnung gezogen wären?"

GÜNTER WOLTERS:

"Es hat in so einer exponierten Wohnlage keine Sielwärter gegeben, die in eine 120 Quadratmeter-Wohnung gezogen sind."

KOMMENTAR:

Die Hausbewohner, die Sielwärter, sehen das anders.

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REENHOLD POPPINGA:

(Schleusenwärter)

"Wir wären auch in ein Haus gezogen, was 120 Quadratmeter hätte. Wir sind eingestellt worden aufgrund unserer Qualifikation. Und wie dann das mit den Häusern erst aufkam, da waren wir schon eingestellt, und wir haben von den Häusern noch gar nicht gewußt, wie groß die werden und in was für einer Ausstattung die gebaut werden sollen."

KOMMENTAR:

Komfortdienstwohnungen, die nur der Architekt und die Behörde wollten - eine Verschwendung von 750.000 Mark.

München. Die Messegesellschaft wollte einen Turm, als Wahrzeichen. Geplant war ein 30 Meter hohes Werk für sechs Millionen Mark. Jetzt steht dort ein über 80 Meter hoher Turm für 25 Millionen Mark. Gut das Vierfache des ursprünglichen Preises. Ein leuchtendes Multimedia-Kunstwerk wollten Stadt und Land, die beiden Gesellschafter der Messe. Blinkende Werbebänder am Turm sollten wieder Geld ins Säckel bringen und die Kosten so verringern.

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DETLEF GANTENBERG:

(Geschäftsführer Neue Messe München)

"Der Turm ist ein - wenn Sie so wollen - ein Medienturm, der mit 1,4 Millionen Lichtdioden zum Beispiel unendliche Möglichkeiten schafft in einer medialen Darstellung."

INTERVIEWERIN:

"Aber ich sehe gar nicht, daß der leuchtet."

DETLEF GANTENBERG:

"Wir sind noch nicht fertig gegenwärtig. Der Turm ist ja noch im Bau, wie Sie sehen. Aber im Endeffekt wird der Turm entsprechend bestückt werden und diese Leistungsfähigkeit auch entfalten."

INTERVIEWERIN:

"Die Messe ist jetzt aber schon seit eineinhalb Jahren dran, wieso funktioniert der noch nicht?"

DETLEF GANTENBERG:

"Wir haben zugegebenermaßen bei der Errichtung des Turms Probleme gehabt."

KOMMENTAR:

Technische Probleme, die wieder einiges kosten werden. Und die eingeplanten Werbeeinnahmen sind noch lange nicht in Sicht.

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DETLEF GANTENBERG:

"Wir haben noch keine Verträge abschließen können, weil wir tatsächlich im Moment nicht sagen konnten, wann der Turm genau bespielbar ist."

KOMMENTAR:

Die Mehrkosten für dieses Kunstwerk: 18 Millionen Mark.

Treuen, eine 10.000 Einwohner-Stadt in Sachsen. Der Busbahnhof ist gerade frisch saniert, für viel Geld, und da hat man es sich geleistet, einem dringenden Bedürfnis nachzugeben. Die Stadt ließ ein Toilettenhäuschen bauen. Seit März ist das gute Stück einsatzbereit, vandalensicher und aus Edelstahl. Gekostet hat es 150.000 Mark. Benutzt hat es aber noch niemand, denn die Betriebskosten von 10.000 Mark im Jahr kann sich die Stadt jetzt nicht mehr leisten. Mindestens bis zum Jahr 2002 bleiben die Türen geschlossen. Ein Interview wollte uns der Bürgermeister nur gegen Bezahlung geben - für 10.000 Mark. Wir haben verzichtet. Das Klohaus, eine Ausgabe von 150.000 Mark, für die kein Steuerzahler kann, wenn er muß.

Berlin. Hier spielen die Kinder von Bediensteten des Bundestages und bleiben dabei ganz unter sich. Auch wir dürfen nicht hinein - Drehverbot. Die Kosten für die Kindertagesstätte: 10 Millionen Mark. Völlig unnötig, denn für die Kinder waren in nächster Nähe Hunderte von Plätzen frei. Der Bundestag baute trotzdem.

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ULRICH HEINRICH:

(Sozialkommission des Bundestages)

"Wenn Sie wissen, daß wir bis nachts zwölf Uhr oder ein Uhr teilweise im Plenum tagen und daß wir dann natürlich auch noch unsere Mitarbeiter zum Teil noch mit in den Büros haben, dann ist es einfach nicht vergleichbar mit anderen Arbeitsplätzen."

INTERVIEWERIN:

"Das hieße, die Kita wäre bis zwölf Uhr nachts geöffnet?"

ULRICH HEINRICH:

"So extrem wird's nicht werden."

KOMMENTAR:

So extrem war es nie: Die Kindertagesstätte des Bundestags schließt meist schon um halb sechs. Andere Berliner Kinderhorte haben zwei Stunden länger geöffnet. Und während hier neu gebaut wurde, mußten elf Kitas im Bezirk geschlossen werden - mangels Nachfrage. Aber eine Absprache ist wohl zu viel verlangt.

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ULRICH HEINRICH:

"Also da überfordern Sie natürlich den Deutschen Bundestag."

KOMMENTAR:

Die Kosten für die Überforderung trägt - wie immer - der Steuerzahler, diesmal 10 Millionen Mark.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.10.1999 | 21:05 Uhr