Verpaßte Chance - Der müde Wahlkampf um das Europäische Parlament

von Bericht: Mathis Feldhoff

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Der Kanzler hat es gerade gesagt, es war ein guter Tag heute, auch für die EU. Der Gipfel in Köln wird als Friedensgipfel bekannt werden. Und die bisher oft hilflose europäische Außen- und Sicherheitspolitik hat heute mit dem erfolgreichen Friedensengagement ihr schlechtes Image etwas verbessert. Und in zehn Tagen ist Wahltag. Haben Sie davon schon gehört? Wissen Sie, was Sie da wählen und auch wen? Es geht um das Europa-Parlament, um die einzige EU-Institution, die direkt von uns Wählern bestimmt werden kann. Rund die Hälfte der politischen Entscheidungen, die bei uns in Bonn oder in Berlin gefällt werden, sind bereits gekoppelt an Beschlüsse und Richtlinien der EU. Und trotzdem scheint hier jede Kommunalwahl auf mehr Interesse zu stoßen. Den meisten Wählern fallen zu Europa nur korrupte Beamte, unsinnige Bananen-Verordnungen und jetzt vielleicht noch Dioxin-Eier ein. Unattraktiv, undurchsichtig und uneffizient also. Und genau so war bisher auch der Wahlkampf.

Eine verpaßte Chance, meint mein Kollege Mathis Feldhoff.

Der müde Wahlkampf um das europäische Parlament
Ein Bericht über Desinteresse der Wählerschaft am Wahlkampf der großen Volksparteien zur Europawahl 1999.

KOMMENTAR:

Winke-winke für den Wahlsieg. Vor zwei Tagen in Bremen - einer der wenigen Auftritte des Bundeskanzlers im Europa-Wahlkampf. Dafür ist er im Fernsehen ständig unterwegs in Sachen Europa. Der Wahlspot der SPD beweist es: Sieben europäische Hauptstädte in neunzig Sekunden - und der Europa-Kanzler immer dabei. Gerhard Schröder arbeitet für Europa, so die magere Botschaft an die Wähler - präsentiert in wackligen und unscharfen Bildern, Marke Heimkino.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Hat das einen tieferen Sinn?"

MARTIN SCHULZ:

(SPD-Wahlkampfleiter)

"Es ist eine moderne Anmutung. Wir versuchen mit diesen Stilelementen eine besondere Aufmerksamkeit zu erringen. Ich denke, mit einem modernen Auftritt erreichen wir die Leute sehr schnell, schneller jedenfalls, als wenn wir das Bild da des Berliner Gipfels veröffentlichen würden."

KOMMENTAR:

Doch wer glaubt, die Bonner Opposition würde die inhaltliche Schwäche ausfüllen, wird enttäuscht. Freibier und rote Bierdeckel gegen das 630-Mark-Gesetz, so der Beitrag der CDU zum Europa-Wahlkampf. Die Union begibt sich auf Stammtischniveau, statt europapolitischer Visionen innenpolitischer Hickhack.

0-Ton

ANGELA MERKEL:

(CDU-Generalsekretärin)

"Einen Staatsmann, der durch Europa rauscht, haben wir zur Zeit nicht zu bieten, und deshalb haben wir uns auf die Ebene eines Marktplatzes gestellt."

KOMMENTAR:

Im eigenen Spot sogar bis auf das Niveau einer Pommesbude.

0-Töne

WERBESPOT:

"Ich sag` nur, alles wird anders, hat der Schröder auch gesagt, und gemeint hat er, alles wird teurer - Strom, Gas, Öl, na, und das Benzin für meine Wurstschleuder hier auch."

"Dann das mit den 630-Mark-Jobs - voll auf die Kleinen, total ungerecht."

"Und jetzt mit dem Euro - höhere Steuern, höhere Preise. Naja, irgendwann kriegen wir den schon klein."

"Bundeskanzler Gerhard Schredder."

0-Ton

ANGELA MERKEL:

"Wir haben uns das Motto gegeben ,Mitten im Leben`. Und mit dieser Würstchenbude sind wir ,mitten im Leben`."

KOMMENTAR:

Der Parteienforscher Richard Stöss beobachtet seit Jahren den Wahlkampf in Deutschland. Mit der politischen Vision Europa hat der fast nichts mehr zu tun, so sein Urteil.

0-Ton

RICHARD STÖSS:

(Parteienforscher)

"Was ich kritisieren will, ist, daß es halt überhaupt nichts mit Europa zu tun hat und daß die Aufgabe der Parteien, wie gesagt, ein europäisches Bewußtsein zu stärken, wahrscheinlich überhaupt erst zu erzeugen, daß diese grob vernachlässigt wird. Immerhin handelt es sich um öffentliche Mittel, die hier ausgegeben werden. Und ich denke, da versagen die Parteien schon."

KOMMENTAR:

Zwanzig Millionen Mark haben SPD und CDU jeweils in den letzten Monaten für ihre Europa-Kampagnen ausgegeben. Die SPD-Wahlkampfleitung letzte Woche - jetzt wird nur noch Schröder geklebt. Der Kanzler soll den schlechten Trend der Sozialdemokraten stoppen. Da ist Inhalt zweitrangig.

PANORAMA macht den Test - Umfrage unter den Bonner SPD-Abgeordneten.

0-Töne

INTERVIEWER:

"Können Sie mir sagen, wie die Botschaft ist?"

ABGEORDNETE:

"Also, die Botschaft ist die - ich hab` den Spot nicht entwickelt. Die Botschaft ist doch wohl - geht wohl doch eindeutig dahin, zu zeigen, ja ...."

"Es soll halt eben den internationalen Flair wahrscheinlich symbolisieren, daß eben der Bundeskanzler nun wirklich überall zu Hause ist. Mehr kann ich auch nicht entdecken dabei."

KOMMENTAR:

Aber weil man schließlich an der Regierung ist, läßt man sich nicht lumpen. Der sogenannte Wembley-Spot soll die deutschen Kinobesucher von der SPD überzeugen. Was das Finale der Weltmeisterschaft 1966 - der Schiedsrichter kam aus der Schweiz, der Linienrichter aus der Sowjetunion, beide nachweislich nicht Mitglied der EU - und die Tatsachenentscheidung im Fußball mit einer Gerechtigkeitslücke in Europa zu tun haben soll - es bleibt das Geheimnis der sozialdemokratischen Werbestrategen. Und der gemeine Abgeordnete ist ratlos.

0-Ton

ABGEORDNETE:

"Ja, der Spot."

INTERVIEWER:

"Was hat denn das mit Europa zu tun, wo sind denn da die Inhalte?"

ABGEORDNETE:

"Keine Ahnung, kann ich Ihnen auch nicht sagen."

INTERVIEWER:

"Europa braucht direkte Entscheidung, heißt es - SPD wählen."

ABGEORDNETER:

"Was hat das damit zu tun?"

INTERVIEWER:

"Das steht dahinten dran."

ABGEORDNETER:

"Oh."

ABGEORDNETER:

"Die Verlierer waren Europäer, die Gewinner waren Europäer - noch was?"

ABGEORDNETE:

"Ja, ich meine, ich bin 1970 geboren, das ist doch auch schon was."

KOMMENTAR:

Da tröstet nur, daß die Wissenschaft eh längst weiß, daß diese Art der Parteienwerbung gar nichts bringt.

0-Ton

RICHARD STÖSS:

(Parteienforscher)

"Verschwendetes Geld - ich würde mal sagen, im Prinzip ja."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Verschwendete Steuergelder, verpaßte Chancen. Die Aussichten auf Frieden im Kosovo, ausgehandelt während eines EU-Gipfels in Deutschland, ist für die Bundesregierung eine gute Nachricht, auch für den Wahlkampf.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 03.06.1999 | 21:00 Uhr