Tödliches Spielzeug - Kein Schutz vor gefährlichen Produkten

von Bericht: Andreas Lange

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Wenn Sie ein Auto kaufen, dann erwarten Sie, daß nicht nur die Bremsen funktionieren, das ganze Auto soll Ihnen Sicherheit bieten. Ein Dampfbügeleisen sollte Ihnen ja auch nicht um die Ohren fliegen und ein Spielzeug Ihre Kinder nicht verletzen oder gar töten. Um solche Sicherheit zu kontrollieren und zu gewährleisten, gibt es in Deutschland viele Gewerbeaufsichtsämter, fast flächendeckend verteilt. Das klingt alles gut reglementiert und organisiert. Allein es fehlt die Umsetzung, denn diese Ämter sind überfordert.

Andreas Lange über zum Teil lebensgefährliche Produkte und ein europaweites Warnsystem, das in Deutschland fast nutzlos ist.

Tödliches Spielzeug - Kein Schutz vor gefährlichen Produkten
Die Ämter für Arbeitsschutz sind nicht in der Lage, Warnungen über Geräte schnell zu prüfen und weiterzuleiten.

KOMMENTAR:

Er wurde nur 11 Monate alt. Der kleine Eivind aus Oslo. Der schwere Holzdeckel einer solchen Spielzeugtruhe fiel dem Baby ins Genick.

Diese Art von Truhen haben die norwegischen Behörden untersucht. Und schrieben eine Warnung, in der sie die Mängel genau aufzählten: Die Holztruhen haben keine Luftöffnung und die Deckel keine Zufallsicherung.

Dieses Dokument schickten die Norweger dann Anfang des Jahres von Oslo nach Brüssel an die EU-Kommission. Von dort gingen die Informationen an alle europäischen Staaten - unter anderem auch an die Bundesanstalt für Arbeitsschutz in Dortmund. Von hier aus werden Hinweise über gefährliche Produkte an die einzelnen Bundesländer verteilt.

Die Meldung aus Oslo ging auch in Hamburg beim zuständigen Amt für Arbeitsschutz ein. Aber erstmal passierte gar nichts - wie so häufig, wenn hier Warnungen aus dem Faxgerät rollen.

0-Ton

GEERD OERTEL:

(Amt für Arbeitsschutz Hamburg)

Natürlich auch noch in einer Qualität: fünfmal gefaxt, zehnmal kopiert, so daß zumindest die Bilder, die dabei waren, nicht mehr zu identifizieren waren. Und schließlich und endlich kämpfte man noch damit, oder kämpft man auch immer noch, daß eine Schnellinformation aus Portugal in portugiesisch geschrieben ist, oder aus Finnland in finnisch."

KOMMENTAR:

Während die Beamten versuchten, ihre Faxe zu entziffern, haben wir uns auf die Suche nach den gefährlichen Truhen gemacht. In einem großen Hamburger Spielzeugmarkt entdeckten wir ein Modell, das genau den Beschreibungen aus Norwegen entsprach.

Wir bauen die Truhe zusammen - die Gefahr ist offensichtlich: kleine Kinder können von dem Holzdeckel erschlagen werden. Außerdem entpuppt sich die Truhe beim Spielen als tödliche Falle: Kinder können qualvoll ersticken. Die Hamburger Aufsichtsbeamten sind sich des Problems bewußt.

O-Ton

GEERD OERTEL:

"Es gibt viele Produkte, die nicht in Ordnung sind."

INTERVIEWER:

"Und die es zu kaufen gibt?"

GEERD OERTEL:

"Ja, und nicht jede Meldung, die kommt, kann man gleich an der richtigen Stelle sein."

KOMMENTAR:

Etwas weiter bei den Marktkontrollen ist man dagegen in Brandenburg. Hier beim Landesinstitut für Arbeitsschutz gibt es zumindest genug Personal, um Meldungen zu übersetzen und schnell zu reagieren.

O-Ton

DR. DETLEV MOHR:

(LfA Potsdam)

"Leider reicht die Kraft in einigen Bundesländern wirklich nur dazu, die Pflichtaufgaben in diesem Bereich zu erfüllen. Aber ich glaube, Verbraucherschutz braucht etwas mehr, als nur Erfüllung der Pflichtaufgaben."

O-Ton

GEERD OERTEL:

(Amt für Arbeitsschutz Hamburg)

"Wenn man Marktkontrollen im großen Stil machen will - im großen Stil, damit meine ich, daß ich 30, 40 Produkte mehrmals im Jahr in so einem Bundesland wie Hamburg überprüfen will, dann muß ich dafür Voraussetzungen schaffen, die über das hinausgehen, was im Moment da ist."

KOMMENTAR:

Aufgrund der PANORAMA-Recherche hat die Behörde jetzt endlich gehandelt. Sie zog die Spielzeugtruhen Anfang dieser Woche aus dem Verkehr.

Ob tödliches Spielzeug oder qualmende Bügeleisen - das Problem bleibt: Innerhalb Deutschlands kämpft jedes Bundesland erst einmal alleine gegen den Verkauf gefährlicher Produkte, mal besser, mal schlechter.

Hier im Bayerischen Landesamt für Arbeitsschutz gibt es sogar ein Prüflabor. Darauf müssen die Hamburger Kollegen bisher noch verzichten.

Zur Zeit untersuchen die Bayerischen Aufsichtsbeamten Lötgeräte, die mit Feuerzeuggas gefüllt werden. Die Ergebnisse sollten eigentlich alle Gewerbeaufsichtsämter außerhalb Bayerns brennend interessieren.

Auch gefährliche Küchengeräte - wie zum Beispiel diesen Mixer - gibt es bundesweit zu kaufen. Doch Informationen über diese Geräte werden offiziell nur zweimal im Jahr ausgetauscht.

O-Ton

GEERD OERTEL:

"Aber man weiß im Moment nicht direkt, was jedes einzelne Land, was jedes Gewerbeaufsichtsamt, welche Produkte wer zu fassen hat. Es kann zu Doppelbearbeitungen kommen, und das ist natürlich nicht sehr schön."

KOMMENTAR:

Deshalb zeigen die Potsdamer Beamten jetzt Eigeninitiative und erstellen zur Zeit eine Datenbank für gefährliche Produkte. Hier könnte in Zukunft jeder deutsche Aufsichtsbeamte über das Internet Zugriff haben - doch daraus wird wohl erstmal nichts.

O-Ton

DR. DETLEV MOHR:

(LfA Potsdam)

"Nicht jede Aufsichtskraft verfügt über einen internetfähigen Rechner. Das ist sicherlich ein Problem."

KOMMENTAR:

Seit Jahren beklagen die Verbraucherschutzverbände, daß sie von den Aufsichtsbehörden kaum Informationen über gefährliche Produkte erhalten. Ihr Vorwurf: die verantwortlichen Beamten nehmen das Thema nicht ernst genug.

O-Ton

Dr. TILMANN HÖHFELD:

(Institut für Angewandte Verbraucherforschung)

"Wir stellen fest, daß seit Jahren eine ganz wichtige Säule des Verbraucherschutzes, nämlich die Überwachung des Marktes im Hinblick auf die Sicherheit von Produkten, runtergefahren wird. Die Gewerbeaufsichtsämter sind gezwungen, Personal abzubauen oder in andere Bereiche zu überführen, mit der Konsequenz, daß eben die Möglichkeiten, Produkte bei Ausstellungen oder Produkte im Markt zu überprüfen - diese Möglichkeiten geringer werden."

KOMMENTAR:

Das beweist auch ein weiterer Fall. Diese Schwimmhilfen, mit denen Kleinkinder ertrinken können, haben wir zur Badesaison noch gekauft.

Dabei hatten deutsche Behörden schon seit Januar eine Warnung aus Frankreich auf dem Tisch - passiert ist bis zum Sommer nichts.

O-Ton:

INTERVIEWER:

"Es ist natürlich problematisch, wenn man diese gefährlichen Sachen dann noch kaufen kann."

HELMUT HORT:

(Toys ’R‘ Us)

"Das ist natürlich dann der Punkt: bevor Sie etwas wissen, können Sie nicht reagieren."

INTERVIEWER:

"Also da kam die Information von den Gewerbeaufsichtämtern zu spät?"

HELMUT HORT:

"Als wir die Information erhalten haben, haben wir sofort reagiert."

KOMMENTAR:

Im vergangenen Jahr sind Kinder in Frankreich mit diesen Schwimmhilfen verunglückt. Das Problem: die Kinder können im Wasser zu leicht umkippen. Außerdem stecken die Beine fest. Deshalb können sich die Kleinen unter Wasser nicht alleine befreien.

Ein halbes Jahr lang haben die Beamten diese Gefahr offenbar ignoriert. Pures Glück, daß bisher kein Kind ums Leben kam.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 02.09.1999 | 21:00 Uhr