Schwierige Mission - Finanzminister Eichel zwischen Intriganten und Lobbyisten

von Bericht: Jochen Graebert

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

In Bonn wird neuerdings regiert, Entschlußkraft und Führungsstärke bewiesen. Heute der Kanzleramtsminister abgeschoben, gestern ein ganz neues Sparpaket des Bundesfinanzministers vorgestellt. Über die angekündigten Kürzungen wird seither geredet, gejammert und sinniert. Es ist das Thema in den Zeitungen, im Fernsehen gibt es Sondersendungen. Noch nie hat eine Bundesregierung so massiv Leistungen gekürzt, Leistungen, an die sich die alte Regierung nicht herangewagt hat. Drastische Einschnitte unter einer rot-grünen Regierung, die nun mehr Eigenverantwortung und Sozialleistung nur noch im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten propagiert. Neue Mitte, so wie der Kanzler sie wohl meint und Hans Eichel sie nun durchsetzt. Und hat der jetzt schlaflose Nächte, weil er Großdemonstrationen fürchtet?

Schwierige Mission von Finanzminister Eichel
Porträt über Finanzminister Hans Eichel und seine neuen Sparplänen.

Jochen Graebert hat den Sparminister, der auch der "Anti-Oskar" genannt wird, in den vergangenen drei Tagen begleitet.

KOMMENTAR:

Sabine Ellermann hört wir immer geduldig zu. Im Vorzimmer des Finanzministers lassen wütende Steuerzahler Dampf ab. Der Stuhl ihres Chefs ist heute früh verwaist, wie so oft in diesen Tagen. Minister Hans Eichel kämpft schon wieder an der Front. Im Bundestag: Regierungserklärung zum Sparpaket. Jahrelang ein Mann der zweiten Reihe, heute auf der Titelseite.

Eine Etage tiefer. Lagebesprechung in der Pressestelle. Der Tag nach der Sparschlacht von Bonn. Keine Euphorie, aber die erste Etappe scheint gewonnen.

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THORSTEN ALBIG:

(Pressesprecher Bundesfinanzministerium)

"Unsere größte Tageszeitung. Dies, was wir gestern vorgelegt haben, heute kommentiert oder auch nicht kommentiert, das ist sehr erfreulich. Das spiegelt sich, denke ich, auch in der Kommentarlage wider. Süddeutsche, Kraftakt, Schröders Triumph."

KOMMENTAR:

Eigentlich ist es sein Triumph. Hans Eichel beim Sommerfest der SPD-Fraktion vor zwei Tagen. Es ist wie immer: Der Mann taucht auf, aber eigentlich bemerkt ihn niemand. Unauffällig wirkt er, fast etwas unbeholfen und linkisch. Hier trifft er all die wieder, gegen die er sich durchgesetzt hat. Was haben sie gelacht, als der neue Finanzminister im Mai von Einsparungen redete. Jetzt lacht keiner mehr. Einen nach dem anderen aus der Ministerriege hatte sich Eichel vorgeknöpft. Nun sind die Kollegen um 30 Milliarden Mark ärmer.

Während die gerupften Minister fröhlich weiter feiern, eilt der Bundeskassenwart bereits zum nächsten Termin. Heute abend muß er noch Geld bei den Ländern eintreiben.

Gestern früh. Sein großer Tag. Für diesen Termin hat er sich sechs Wochen lang abgerackert. Heute wird Hans Eichel sein Sparpaket vorlegen. In Hessen hat man ihm nachgesagt, er habe den Charme einer Büroklammer. Jetzt landet er seinen großen Coup. Und sie werden über ihn herfallen, die Lobbyisten und Interessenverbände. Als Finanzminister macht man sich wenig Freunde.

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NACHRICHTEN:

"WDR 2, das Nachrichtenmagazin.

Bonn, die Kritik am Sparpaket von Finanzminister Eichel wächst. Opposition und Gewerkschaften haben die Sparpläne scharf kritisiert. Auch die Kommunen kündigten massiven Widerstand gegen das Konzept an."

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HANS EICHEL:

(Bundesfinanzminister)

"Ja, das gibt's, das ist offenbar das ganz normale Verhalten. Ich erlebe das insbesondere auch bei Lobbyisten - ich sage das jetzt gar nicht negativ, aber man muß es einfach wissen, daß man hinter verschlossenen Türen unter Umständen gesagt bekommt: Wir wissen ja, daß das so sein muß, Sie haben ja auch ganz recht, es ist ja eigentlich auch durchaus erträglich. Aber wenn dann die Tür aufgemacht wird und die Medien da sind, dann klingt das plötzlich genau anders herum."

KOMMENTAR:

Auftritt vor der Bundespressekonferenz. Für die Verkaufe ist der Kanzler zuständig. Während Hans Eichel die Papiere ordnet, formuliert Schröder die großen Visionen. Der Kanzler will Geschichte machen, verkündet die Trendwende für Deutschland.

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GERHARD SCHRÖDER:

(Bundeskanzler)

"Meine Damen und Herren, die Entscheidung des Kabinetts heute ist eine Entscheidung von historischer Tragweite."

KOMMENTAR:

Kanzler Schröder weiß, wie man Schlagzeilen macht, sein Minister Hans Eichel nicht, und es ist ihm wohl auch egal.

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HANS EICHEL:

"Es hat eine einzige Änderung noch gegeben, das war eine schlichte Kommunikationspanne, und dann zu Recht der Landwirtschaftsminister darauf hingewiesen hat, daß im Bereich Abbau steuerlicher Subventionen - da waren die Gärtnereibetriebe mit dem vollen Mehrwertsteuersatz drin, das war nicht kommuniziert, und daraufhin haben wir es rausgenommen."

KOMMENTAR:

In Eichels Finanzministerium rücken die Fernsehteams an, um ihre Interviews zu machen. Währenddessen laufen nebenan schon die Lobbyverbände Sturm, schießen gegen die gerade verkündeten Sparpläne. Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, Büroleiter des Finanzministers, sortiert schon mal.

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KLAUS-PETER SCHMIDT-DEGUELLE:

(Büroleiter des Finanzministers)

"Wenn man sich das ansieht, dann ist der Rest der Welt gegen das Reformkonzept. Viel Feind, viel Ehr', könnte man sagen. LKW-Branche kündigt Verfassungsklage gegen Ökosteuer an. Berlin meldet sich, will stärker berücksichtigt werden. DAG meldet sich. Der DGB meldet sich. Städte und Gemeinde müssen Zeche zahlen. Ja, also, Bauernverband, das ist ja nichts Neues. Immerhin: der DIHT begrüßt den Sparkurs.

Insgesamt hat man aber auch noch Probleme. Also es ist ein buntes Bild, der Fleckenteppich der Lobbyisten."

KOMMENTAR:

Hans Eichel weiß, da muß er durch. Wer sparen will, macht sich unbeliebt, sagt er. Aber einfach so weitermachen, dem Staatsbankrott entgegen, das kann einer wie Eichel nicht.

Sechs Stunden Interviewmarathon - der Mann erträgt es mit stoischer Ruhe. Keine Polemik, keine Emotionen, der Hauptbuchhalter der Nation argumentiert mit dem Rechenschieber. Bei ihm beißen auch die eigenen Genossen auf Granit. Eichel ist kein Medienstar. Der Mann kann rechnen, aber wo zum Teufel soll er vor dem Interview mit seinen Füßen hin? Aber ist das so wichtig?

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HANS EICHEL:

"Von jetzt ab gibt es die öffentliche Diskussion. Bis vor kurzem war das äußerst populär, Sparen ist immer populär. Aber wenn es konkret wird, dann wird's alles ganz anders. Also jetzt beginnt die öffentliche Schlacht."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.06.1999 | 21:15 Uhr