Rühe und die CDU-Wahrheitssuche

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Ob uns, den Wählern, jemals auch nur annähernd die Wahrheit über den Panzerdeal, über die Parteispenden, über Geber, Mitwisser und Empfänger gesagt wird? Das kann man kaum annehmen. Das Interesse der CDU an Aufklärung wird nämlich, entgegen allen Beteuerungen der Generalsekretärin Angela Merkel mit jedem Tag kleiner. Denn je mehr schmutzige Details bekannt werden, desto geringer sind wohl die Chancen der CDU bei den anstehenden Landtagswahlen. Also werden die Untersuchungen in die Länge gezogen, in der Hoffnung auf das große Vergessen bei den Wählern. Mathis Feldhoff und Volker Steinhoff über die Merkwürdigkeiten bei der Wahrheitssuche.

Rühe und CDU-Wahrheitssuche - CDU im Spendensumpf
Die Gedächtnislücken des CDU-Politikers Volker Rühe im Spendenskandal kosten die CDU massiv an Glaubwürdigkeit.

KOMMENTAR:

Vielleicht hoffte er ja noch, dass der Kelch an ihm vorübergeht. Der Pfarrer Eppelmann auf dem Weg zum CDU-Parteitag diese Woche in Berlin. Aber es sind nur noch wenige Meter, dann trifft auch ihn die Frage nach dem Spendenskandal.

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RAINER EPPELMANN:

(CDU-Bundesvorstand)

"Herrlich, herrlich, Ihnen fällt nichts anderes mehr ein, was?"

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NORBERT BLÜM:

(Ex-Arbeitsminister)

"Wir machen jetzt nicht jeden Tag ein neues Fass auf."

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VOLKER RÜHE:

(CDU-Spitzenkandidat Schleswig-Holstein)

"Keine Lust, jetzt längere Gespräche zu führen. Ich habe alles Notwendige gesagt."

KOMMENTAR:

Augen zu und durch. Dabei hatte Angela Merkel doch unerbittliche Aufklärung gefordert, überall und sofort.

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ANGELA MERKEL:

(CDU-Generalsekretärin)

"Schnell, rückhaltlos und wirklich auch in voller Wahrheit die Fakten auf den Tisch - es geht um die Glaubwürdigkeit der CDU, und wir dienen ihr nur, indem wir jede Form von rückhaltloser Aufklärung betreiben."

KOMMENTAR:

Eine Form der Aufklärung wäre, diesen Mann zu fragen. Rüdiger May war einmal Hauptabteilungsleiter bei der CDU. May unterschrieb interne Rechenschaftsberichte der Partei - bis vor zehn Jahren. Da verweigerte er seine Unterschrift. Es ging um 800.000 Mark, lapidar unter "Sonstige Einnahmen" verbucht. Das machte ihn stutzig.

May fragte nach. Statt einer Antwort bekam er eine Abfindung. Er mußte gehen und unterschrieb, über die Vorgänge zu schweigen. Zu den Rechenschaftsberichten darf er deshalb kein Interview geben.

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RÜDIGER MAY:

(ehem. CDU-Hauptabteilungsleiter)

"Diese Verschwiegenheitserklärungen müssen offiziell aufgekündigt werden, und zwar entweder vom derzeitigen Parteivorsitzenden oder von der derzeitigen Generalsekretärin."

KOMMENTAR:

Aber Generalsekretärin Merkel weigert sich, den Schweigevertrag aufzuheben.

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ANGELA MERKEL:

"Also wenn Herr May befragt wird, dann wird er zuerst von uns befragt und nicht zuerst von der Presse. Ich glaube, darüber haben Sie Verständnis."

KOMMENTAR:

Aber gab es denn einen Versuch, May zu fragen, aufzuklären?

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RÜDIGER MAY:

"Es gab bis heute keinen Kontakt zwischen der derzeitigen Parteiführung und mir in dieser Sache."

KOMMENTAR:

Eigenwillige Begründung von Merkel: Es sollen doch nur die letzten zehn Jahre untersucht werden.

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ANGELA MERKEL:

"Herr May hat vor mehr als zehn Jahren die Bundesgeschäftsstelle verlassen, ist deshalb für uns in dieser Aufklärungsphase und für diesen Aufklärungszweck kein geeigneter Zeuge."

KOMMENTAR:

Warum eigentlich beschränkt die CDU ihre Aufklärung auf zehn Jahre? May verlor seinen Job bei der CDU vor zehn Jahren und drei Monaten, mitten in der Amtszeit von Helmut Kohl, als die Spenden auf schwarze Konten flossen. Vielleicht hat die Geheimhaltung in Sachen May ja auch einen ganz anderen Grund.

An der Entlassung von Rüdiger May direkt beteiligt war der damalige Generalsekretär Volker Rühe, der von Unregelmäßigkeiten nichts gewußt haben will. Dabei war es Rühe persönlich, der den Aufhebungsvertrag von Hauptabteilungsleiter May unterschrieben hat.

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VOLKER RÜHE:

(CDU-Spitzenkandidat Schleswig-Holstein)

"Die Ablösung und der Konflikt liegt vor meiner Zeit, und die Entscheidung - ich bin gar nicht mal sicher, ob ich ihn überhaupt noch gesehen habe - die Entscheidung, sich von ihm zu trennen, liegt auch vor der Zeit, bevor ich Generalsekretär wurde."

INTERVIEWER:

"Aber Sie haben unterschrieben."

VOLKER RÜHE:

"Das weiß ich nicht, kann ich nicht sagen. ..... Das mag sein, das weiß ich nicht. Aber trotzdem, als ich dort hinkam, war die Sache im Grunde genommen entschieden, nach meiner Erinnerung."

KOMMENTAR:

Bloß unterschrieben, ohne vorher zu lesen? Ein Generalsekretär verfügt die Entlassung eines leitenden Angestellten und kennt nicht mal die Gründe? Volker Rühe hat noch mehr Gedächtnislücken im Spendenskandal.

Jetzt soll ein Wirtschaftsprüfer die CDU-Konten untersuchen - völlig unabhängig, darauf legt die CDU-Führung Wert.

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WOLFGANG SCHÄUBLE:

(CDU-Vorsitzender, 8.12.99)

"Wir müssen in der Unabhängigkeit eines Wirtschaftsprüfers - dem haben wir alle Unterlagen zur Verfügung gestellt - prüfen lassen, ob unsere Berichte vollständig sind. Wenn nicht, müssen sie ergänzt, gegebenenfalls korrigiert werden."

KOMMENTAR:

Die Kölner Filiale der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young soll die Parteikasse durchleuchten. Volker Rühe ist von deren Unabhängigkeit überzeugt.

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VOLKER RÜHE:

"Sie haben einen Ruf, und zwar einen sehr guten Ruf, und den werden sie mit Sicherheit auch wahren. Kann gar nicht unabhängig genug sein."

KOMMENTAR:

Chef der Kölner Wirtschaftsprüfer ist dieser Mann, Erwin Pougin. So ganz unabhängig ist Pougin allerdings nicht: Seit Jahren prüft er ganz offiziell die Finanzen der CDU.

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VOLKER RÜHE:

"Kann doch gar nicht unabhängig genug sein."

INTERVIEWER:

"Aber ist es nicht die Firma des CDU-Wirtschaftsprüfers der letzten zehn Jahre?"

VOLKER RÜHE:

"Nein, nein. Ich glaube, da sind Sie wirklich auf dem falschen Pfad, wenn Sie glauben - die Unabhängigkeit dieses Wirtschaftsprüfers wird auch der Bericht zeigen. Das höre ich auch das erste Mal."

KOMMENTAR:

Vielleicht sieht er auch dieses Bild zum ersten Mal: Rechenschaftsprüfer Pougin und Generalsekretär Rühe, Seit' an Seite auf einer CDU-Veranstaltung schon vor neun Jahren.

Wenn es um die Kontoaffäre der CDU geht, will keiner so wenig gewußt haben wie der mögliche Kanzlerkandidat Volker Rühe.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Die offenbar gezielte Ahnungslosigkeit des möglichen Kanzlerkandidaten Volker Rühe ist wenig glaubwürdig. Ganze 14 Prozent der Bundesbürger meinen, er habe nichts über die Parteispenden gewusst. Das ist das Ergebnis eine von PANORAMA in Auftrag gegebenen Infratest-Studie, und demnach nehmen 64 Prozent an, dass er doch darüber informiert war und jetzt eben so manches wieder "vergessen" hat. Ob jemand hier so Kanzler wird?

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 16.12.1999 | 21:00 Uhr