Miese Kampagne - Der Streit um die Honorare der Anwälte von Zwangsarbeitern

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Eigentlich können wir es schon gar nicht mehr hören. Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter im Dritten Reich. Die Verhandlungen sind mal wieder festgefahren. Sechs Milliarden Mark bietet die deutsche Seite nun. Von Kanzler Schröder, der das Anliegen immerhin zur Chefsache gemacht hat, zum "würdigen Angebot" unwürdig schöngeredet. Diese angeblich so gute Offerte von Industrie und Bundesregierung bedeutet für die meisten der ehemaligen Zwangsarbeiter eine Einmalzahlung - eine Einmalzahlung von rund 2.500 Mark - für oft jahrelange Schinderei in deutschen Betrieben. Man versteht die Wut, die Enttäuschung der Opfer und deren Anwälte. Erst recht, wenn man bedenkt, daß zum Beispiel ein lettischer SS-Veteran, der im Zweiten Weltkrieg verletzt wurde, sein Leben lang vom deutschen Staat eine sogenannte "Opferrente" bekommt, zwischen 500 und 3.000 Mark monatlich. So kommen schnell Hunderttausende für einen von Hitlers Kämpfern zusammen. Für die echten Opfer, die Zwangsarbeiter von damals, bleiben im Vergleich dazu nur Kleinstsummen übrig. Und wenn sie bzw. ihre Anwälte sich damit nicht zufrieden geben, werden sie übel diffamiert. Mit Würde hat das schon lange nichts mehr zu tun. Denunzieren statt entschädigen oder: pokern, bis der letzte stirbt. Volker Steinhoff berichtet.

Der Streit um die Honorare der Anwälte von Zwangsarbeitern
Die Verhandlungen über die Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter im Dritten Reich sind erneut festgefahren.

KOMMENTAR:

Es sollte der erhoffte Durchbruch werden, letzte Woche, hier in Washington. Doch es folgte ein peinlicher Auftritt von Graf Lambsdorff. Sechs Milliarden Mark Entschädigung für die ehemaligen Zwangsarbeiter, ein beschämend niedriges Angebot. Der Graf verteidigte es vor laufenden Kameras pflichtgemäß. Vorher, am Verhandlungstisch, schämte er sich offenbar für sein Land, erzählt einer, der dabei war.

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MICHAEL HAUSFELD: (Übersetzung)

(Anwalt Zwangsarbeiter)

"Sie kamen mit einem Angebot, für das sich Mitglieder der deutschen Delegation bei mir entschuldigt haben, weil es nach ihrem Wissen bei weitem zu niedrig war, durch nichts fundiert. Das war absurd."

KOMMENTAR:

Ihm müßte die Summe von sechs Milliarden besonders peinlich sein, dem deutschen Bundeskanzler.

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MICHAEL HAUSFELD: (Übersetzung)

"Am Montag letzter Woche hat Präsident Clinton verläßlichen Quellen zufolge Bundeskanzler Schröder angerufen und ihn gebeten, durch seinen Einfluß sicherzustellen, daß das erste Angebot der deutschen Industrie und der deutschen Regierung nicht unter zehn Milliarden Mark liegen werde."

KOMMENTAR:

Schröder-Sprecher wollte diesen Anruf gegenüber PANORAMA nicht bestätigen. Jedenfalls boten die Deutschen doch nur sechs Milliarden. Auf die massive Kritik reagiert Industriesprecher Gibowski jetzt mit einem Gegenangriff: die Opfer-Anwälte seien gierig.

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WOLFGANG GIBOWSKI:

(Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft)

"Man weiß ja, die amerikanischen Anwälte nehmen durchaus schon noch mal ein Drittel der Klagesumme. Es geht nicht darum, daß man um die letzte Mark feilscht und die Anwälte sich eine goldene Nase verdienen."

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MICHAEL HAUSFELD: (Übersetzung)

"Niemand von uns Anwälten macht das des Geldes wegen. Es gibt keine Absprachen mit irgend jemandem über Geld. Wir, einige Kollegen und ich, haben mit dieser Arbeit vor über 20 Jahren angefangen, und wir haben bis heute keinen Pfennig dafür bekommen."

KOMMENTAR:

Der Industriesprecher streut derweil weiter Gerüchte. Irgendetwas wird schon hängen bleiben. Bei der Einigung im Schweizer Bankenskandal etwa hätten die Anwälte Millionen kassiert.

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WOLFGANG GIBOWSKI:

(Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft)

"Man weiß aber aus dem Schweizer Fall, daß da für deutsche Verhältnisse große Beträge gezahlt worden sind."

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MICHAEL HAUSFELD: (Übersetzung)

(Anwalt Zwangsarbeiter)

"Es wurden keine Honorare verlangt im Fall Schweiz, und es werden auch in Zukunft keine verlangt. Wir werden kein Honorar annehmen im Fall Schweiz, und der Richter weiß das."

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WOLFGANG GIBOWSKI:

"Ich habe nur gehört, aber das wäre noch mal zu überprüfen, daß insgesamt es um ein Prozent der Gesamtsumme geht. Bei 1,25 Milliarden Schweizer Franken ist das natürlich ein zweistelliger Millionenbetrag."

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MICHAEL HAUSFELD: (Übersetzung)

"Gar nichts, ich verlange überhaupt kein Honorar im Fall Schweiz. Ich will nur die Erstattung von Auslagen, und die werden unter 100.000 Dollar liegen."

KOMMENTAR:

Kein Honorar im Fall Schweiz. Und was verdienen die Anwälte der Zwangsarbeiter? Sie wollen ihre Arbeitszeit und Auslagen erstattet haben, aber keine Prozente vom Milliardenkuchen. Also nicht Hunderte von Millionen, sondern einige hunderttausend Mark vielleicht.

In Deutschland treibt derweil die Kampagne gegen die Anwälte immer extremere Blüten. Im Radio erklärt ein CDU-Bundestagsabgeordneter:

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WOLFGANG FREIHERR VON STETTEN:

(CDU-Bundestagsabgeordneter, NDR4-Radio, 8.10.99)

"Und das, was die Anwälte von sich geben, ist schon ziemlich unappetitlich. Denen geht es nämlich im wesentlichen um ihre Honorare, die auch in die Milliarden gehen, weil nach merkwürdigen amerikanischen Methoden ja bis zu 25 Prozent der Summe als Honorar genommen wird."

KOMMENTAR:

Also 1,5 Milliarden. Vollmundige Behauptungen. Auf Nachfrage bleiben nur bösartige Spekulationen.

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WOLFGANG FREIHERR VON STETTEN:

"Ich finde es unappetitlich, wenn sie wirklich bis zu 25 Prozent, nämlich 1,5 Milliarden D-Mark an Honorar fordern würden."

INTERVIEWER:

"Das vermuten Sie?"

WOLFGANG FREIHERR VON STETTEN:

"Das könnte sein, weil so üblich in Amerika solche Prozesse gemacht werden. Und ich finde, sie könnten mit ein paar Millionen oder auch ein paar zehn Millionen zufrieden sein, angemessen dem Zweck, Menschlichkeit zu vermitteln und nicht die eigene Tasche zu füllen."

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MICHEL FRIEDMAN:

(CDU, Zentralrat der Juden)

"Unappetitlich ist, daß Herr von Stetten und die deutsche Industrie seit fünfzig Jahren ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sind. Und ich würde mir wünschen, daß Herr von Stetten und viele andere mit so viel moralischer Inbrunst die deutsche Industrie motiviert, die Zwangsarbeiter zu entschädigen."

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MEL WEISS: (Übersetzung)

(Anwalt Zwangsarbeiter)

"Niemals in der ganzen Zeit der Verhandlungen wurden Honorare überhaupt nur erwähnt, absolut niemals. Wir haben nie irgendwelche Forderungen aufgestellt, und niemand bei klarem Verstand kann ernsthaft glauben, daß wir daraus ein Problem machen."

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LOTHAR EVERS:

(Beratungsstelle für NS-Verfolgte)

"Kein einziger der Anwälte auf unserer Seite hat bisher einen Pfennig gesehen. Die Industrie hat aber, anstatt den Opfern tatsächlich Geld zukommen zu lassen, schon Millionen in diese Abwehrschlacht, die juristische Abwehrschlacht verbaggert."

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INTERVIEWERIN:

"Was hat die eine Kanzlei, die für Sie tätig ist, bislang so an Honoraren bekommen?"

WOLFGANG GIBOWSKI:

(Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft)

"Also, das können Sie nicht erwarten von mir, daß ich da irgendwas zu sage, außerdem wüßte ich es gar nicht."

KOMMENTAR:

Keine Auskunft, wenn es um Fakten geht. Statt dessen neue zynische Argumente. Diesmal geht es um die Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft. Vielleicht ging es ihnen gar nicht so schlecht, wie die Geschichtsbücher sagen?

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WOLFGANG FREIHERR VON STETTEN:

(CDU-Bundestagsabgeordneter)

"Es gab viele, die gelitten haben, viele, die auch schlecht behandelt wurden. Aber viele haben natürlich auch in Deutschland, mindestens die Landarbeiter, den Krieg besser überlebt als andere, die verhungert sind in ihren Ländern."

KOMMENTAR:

Aber wehe, die Opfer wehren sich mal, etwa mit Anzeigen in der NEW YORK TIMES gegen die Bayer-Werke - Text: "Bayers größter Kopfschmerz - Menschenexperimente und Sklavenarbeit" - ein Angriff auf die Deutschen, heißt es dann.

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WOLFGANG FREIHERR VON STETTEN:

"Ich will das Wort Zionismus nicht sagen, aber antideutsche Kampagne wird natürlich versucht zu machen und Stimmung gegen Firmen in USA: Kauft die Ware nicht bei diesen bösen Firmen - eben das finde ich unappetitlich. So arbeitet man im deutschen Recht nicht. Das ist Erpressung."

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MICHEL FRIEDMAN:

(CDU, Zentralrat der Juden)

"Das ist der Gipfel der Unverschämtheit. Das ist der Gipfel der Umkehrung von Ursache und Wirkung. Das ist die größte Verquerung von historischen Realitäten. Wer erpreßt hier eigentlich wen? Seit über fünf Jahrzehnten versuchen diese Opfer hilflos vor der deutschen Industrie, ihre Ansprüche geltend zu machen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.10.1999 | 21:05 Uhr