Lauschangriff am Arbeitsplatz - Wie Firmen ihre Mitarbeiter kontrollieren

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Es ist schon fast egal, wo Sie heutzutage anrufen - bei Ihrer Versicherung, Ihrer Krankenkasse oder bei einer Fluglinie - fast immer werden Sie am Telefon von einem sehr freundlichen Menschen begrüßt: Mein Name ist soundso, was kann ich für Sie tun? Und dann geben Sie Informationen weiter: Sie schildern Ihren Autounfall, Ihre Krankheiten oder buchen einen Flug, den Sie dann mit Angabe Ihrer Kreditkartennummer bezahlen. Alles persönliche Daten. Wenn Sie so freundlich begrüßt werden, dann sind Sie wahrscheinlich mit einem Mitarbeiter eines sogenannten "Call-Centers" verbunden. Das ist eine Telefon-Service-Zentrale, die Anrufe für ganz unterschiedliche Firmen entgegennimmt. Über 1.800 solcher Unternehmen gibt es bundesweit, fast in jeder Stadt. Für Sie ist das zunächst kein Problem, Sie merken es nicht einmal, denn Ihre Anfragen, Buchungen oder auch Beschwerden werden ja freundlich und schnell bearbeitet. Aber hat Sie einmal jemand über die Risiken aufgeklärt?

Lauschangriff am Arbeitsplatz
In Call-Centern werden die Gespräche von Kunden und Mitarbeitenden mitgehört - Persönlichkeitsrechte bleiben außen vor.

Thomas Berbner und Christian Kossin haben Erstaunliches zutage gefördert.

KOMMENTAR:

Das vorläufige Ende einer Recherche in der deutschen Boombranche.

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TELEFONANSAGE:

"Guten Tag, Sie sind falsch verbunden."

KOMMENTAR:

Der Beginn in Bremen. So wirbt eine Stadt um Investoren.

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THOMAS DIEHL:

(Bremer Investitionsgesellschaft)

"Willkommen im Muster-Call-Center in Bremen. Hier sehen Sie die Technik, die wir unseren Kunden präsentieren, wenn sie sich für eine Ansiedlung interessieren. Wir haben hier eine aktuelle Kundenberatung, wo unsere Experten Interessenten umfassend beraten. Bremen hat sich den Titel ‚Call-Center City‘ rechtlich schützen lassen. In Bremen sind über 1.700 Arbeitsplätze im Bereich Call-Center in 43 Call-Centern entstanden. Ich denke, das rechtfertigt diesen Anspruch: Call-Center-City Bremen."

KOMMENTAR:

Im Muster-Call-Center werden Arbeitslose zu Telefondienstleistern ausgebildet. Die Agents, wie sie neudeutsch heißen, werden bald Bestellungen entgegennehmen, Theaterkarten verkaufen oder Umfragen durchführen. Viele Unternehmen haben ihren Telefonservice inzwischen in Call-Center ausgelagert, sie lassen Profis für sich telefonieren.

Der Konkurrenzkampf unter den Call-Centern ist dabei hart. Wer den Telefonservice billiger und besser anbietet, bekommt den Auftrag. Die Qualität der Telefondienstleistung ist in dem umkämpften Markt eine Frage des Überlebens. Die Persönlichkeitsrechte der Angestellten und der Kunden bleiben da oft auf der Strecke. Gaby Teske arbeitete beim Meinungsforschungsinstitut Emnid. Ihre Aufgabe: Abhören.

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GABY TESKE:

"Man war für vier Stunden pro Schicht da und hat dann wirklich auch die ganze Zeit in diesen vier Stunden abgehört, permanent, immer in verschiedenen Interviews."

INTERVIEWER:

"Und wurden die Interviewer darüber informiert vorher?"

GABY TESKE:

"Als sie ihre erste Anweisung hatten, wurde ihnen gesagt, daß sie abgehört werden, daß es also sein kann, daß sie irgendwann mal abgehört werden, aber sie hören nicht oder merken nicht, wann das so weit ist, also wann sie wirklich im Endeffekt abgehört werden."

INTERVIEWER:

"Und die Kunden?"

GABY TESKE:

"Die Kunden wissen das nicht, also die Leute, die angerufen werden, die wissen das nicht und denen soll auch nicht gesagt werden, daß sie abgehört werden könnten während der Zeit."

KOMMENTAR:

Lauschangriff in der Meinungsforschung. Emnid hat ein Interview vor der Kamera abgelehnt, bestätigt aber gegenüber PANORAMA die Abhörpraxis.

Für Professor Peter Wedde ist der Fall Emnid einer von vielen. Um am Markt zu bestehen, wird überwacht und gelauscht. Die Kunden merken erst gar nicht, daß noch jemand mithört.

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PETER WEDDE:

(Prof. für Arbeits- und Informationsrecht)

"Aus gesetzlicher Sicht ist es so: Kein Mithören ohne Zustimmung aller Gesprächspartner, sprich: Agent und Kunde müssen positiv einwilligen. Wenn das nicht geschieht, ist es illegal, ist es strafbar, was da passiert. Und das soll Privatsphäre, die Privatheit des gesprochenen Wortes schützen."

KOMMENTAR:

Die Vorzeigefirma in der Call-Center City Bremen: Flyline. Hier werden für British Airways, die Deutsche BA und andere Fluggesellschaften Tickets verkauft.

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AGENT:

"Guten Tag, British Airways, mein Name ist Rinke, was kann ich für Sie tun?"

KOMMENTAR:

Bei den Buchungen werden übers Telefon auch sensible Kundendaten erfaßt. Namen, Adressen, Kreditkartennummern - alles läuft bei Flyline zusammen.

Auch Geschäftsführerin Monika Schade läßt regelmäßig in die Telefongespräche hineinhören. Durch die anschließende Auswertung sollen die Agents lernen, noch schneller und besser zu arbeiten.

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INTERVIEWER:

"Dürfen Sie eigentlich hier, wenn Sie Anrufe entgegennehmen, darf man da einfach reinhören?"

MONIKA SCHADE:

(Geschäftsführerin Flyline)

"Nein, da darf man nicht einfach reinhören, sondern man muß, wenn man reinhört, also ein Teamleader begleitet einen Mitarbeiter durch ein Gespräch, um ihn zu trainieren, dann sagen wir das dem Kunden vorher und bitten um seine Zustimmung."

KOMMENTAR:

So weit die Theorie, die Praxis allerdings sieht ganz anders aus. Eine Teamleiterin hat sich an den Apparat mit angeschlossen.

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TEAMLEITERIN:

"Mein Name ist Julia Franke, wie kann ich Ihnen helfen?"

KOMMENTAR:

Spätestens jetzt müßte der Kunde gefragt werden, ob er einverstanden ist. Doch die Information des Kunden findet nicht statt. Die Teamleiterin gibt uns eine völlig andere Auskunft als ihre Geschäftsführerin.

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INTERVIEWER:

"Wird denn der Kunde darüber informiert, daß da mitgehört wird?"

TESSA KALBITZ:

(Teamleiterin Flyline)

"Wir haben dies konkret jetzt nicht - also nicht abgeklärt. Also ich denke, daß die Firma Flyline sich auch durch den Datenschutzbeauftragten darüber sehr abgesichert hat. Wir würden es nicht machen, wenn wir es nicht dürften, denke ich."

KOMMENTAR:

Das Abhören läßt sich aber technisch noch wesentlich effizienter gestalten.

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MONIKA SCHADE:

(Geschäftsführerin Flyline)

"Ja, Sie sehen hier die Telefonanlage, die wir bei der Flyline verwenden. Wir haben überwiegend amerikanische Technik hier im Hause. Das ist eine Aspect ACD, Automatic Call Distribution. Diese Maschine kann eigentlich fast alles, was wir im Call-Center brauchen, ich sag‘ immer: nur keinen Kaffee kochen."

KOMMENTAR:

Was die Aspect-Telefonanlage so alles kann, das erfahren wir in der Bremer Innenstadt. Dort treffen wir eine Mitarbeiterin von Flyline, die unerkannt bleiben will. Sie hat in ihrer Firma eine brisante Entdeckung gemacht.

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MITARBEITERIN FLYLINE:

(Interview nachgestellt)

"Ich habe bei einem Mitglied der Geschäftsleitung Protokolle von Telefongesprächen gefunden, und da war eine Telefonnummer dabei, ein Zettel mit einer Telefonnummer und außerdem auch einigen Zugangscodes. Mit dieser Nummer kann man sich wiederum direkt von außen in die Telefonanlage von Flyline einwählen und so auch jeden Agent gezielt abhören."

KOMMENTAR:

Und tatsächlich: Es existiert eine von außen anwählbare Abhörmöglichkeit.

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TELEFONANSAGE:

"Monitor-Menü, wenn Sie bei einem Agenten mithören möchten, drücken Sie 1. Geben Sie die Durchwahlnummer ein, bei der Sie mithören möchten, und betätigen Sie anschließend die Rautentaste. Sie können jetzt mithören."

KOMMENTAR:

Der Lauschangriff bleibt völlig unbemerkt. Jedes Kundengespräch bei Flyline kann so von außen abgehört werden. Besonders brisant: Flyline bucht auch Flüge für ausländische Botschafter und Bundestagsabgeordnete. Cem Özdemir zum Beispiel muß oft mit Begleitschutz fliegen. Bei der Buchung werden nicht nur die Zahl der Leibwächter und die Art ihrer Waffen telefonisch durchgegeben, durch die externe Abhörmöglichkeit bei Flyline kann man sogar erfahren, wo Cem Özdemir und seine Sicherheitsbeamten in der Maschine sitzen.

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CEM ÖZDEMIR:

(Bundestagsabgeordneter Bündnis 90/Die Grünen)

"Ich kann es kaum glauben, daß das wirklich möglich ist. Also die Vorstellung, daß meine Daten, aber nicht nur meine Daten, sondern beispielsweise auch die Daten des amerikanischen oder des israelischen Botschafters öffentlich zugänglich sind. Nicht mal so sehr, was im Flugzeug los ist, sondern was danach und davor los ist. Das ist ja das Dramatische, daß man daraus Rückschlüsse ziehen kann. Das ist eine Geschichte, die muß dringend Konsequenzen nach sich ziehen."

KOMMENTAR:

Wir fragen die Geschäftsführerin von Flyline nach dem Sinn der mysteriösen Telefonnummer.

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INTERVIEWER:

"Wozu haben Sie diese Nummer eingerichtet?"

MONIKA SCHADE:

(Geschäftsführerin Flyline)

"Da erwischen Sie mich jetzt auf dem falschen Fuß, daß jemand - - -"

INTERVIEWER:

"Daß jemand sozusagen entweder hier vom Haus aus oder auch sogar von außerhalb sich in die Telefonanlage des Call-Centers einwählen kann?"

MONIKA SCHADE:

"Das gibt es nicht."

INTERVIEWER:

"Sind Sie sicher?"

MONIKA SCHADE:

"Da bin ich sicher, ja.

INTERVIEWER:

"Hier diese Nummer, kennen Sie die? Mit dieser Nummer kann man sich jederzeit von außerhalb in Ihr Telefonsystem einwählen und Agents abhören."

MONIKA SCHADE:

"Das würde ich anzweifeln."

KOMMENTAR:

Doch die Zweifel sind schnell beseitigt. Selbstversuch.

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TELEFONANSAGE:

"Sie können jetzt mithören."

"Deutsche BA-Call."

AGENT:

"Schönen guten Tag, Deutsche BA, mein Name ist Friedrich, wie kann ich Ihnen helfen?"

FRAU:

"Ja, ich hätte gerne eine Reservierung für Deutsche BA von Tegel."

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MONIKA SCHADE:

"Das ist - finde ich jetzt aber sehr unfein."

INTERVIEWER:

"Was ist das für eine Telefonnummer, wozu ist die eingerichtet?"

MONIKA SCHADE:

"Die ist nicht - die ist von uns nicht eingerichtet."

INTERVIEWER:

"Aber sie muß doch ..."

MONIKA SCHADE:

"Ganz unmöglich."

KOMMENTAR:

Frau Schade ruft Verstärkung. Der Technische Leiter wird einbestellt.

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MONIKA SCHADE:

"Herr Krebs. Das ist Herr Krebs, unser IT-Leiter. Ich bin grad mit einer Frage konfrontiert worden: Kann ein Fremder von draußen sich in unser Telefonnetz einwählen und ein Gespräch mithören?"

HERR KREBS:

"Nein."

MONIKA SCHADE:

"Nein. Sollen wir es einmal durchspielen?"

HERR KREBS:

"Ja, können wir machen."

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TELEFONANSAGE:

"Sie können jetzt mithören."

AGENT:

"Ja, schönen guten Tag, ich bin grade bei der ......"

KOMMENTAR:

Auch Herr Krebs muß sich überzeugen lassen. Das Monitor-Menü ist ihm durchaus bekannt. Nur vom Zugang von außen will er nichts gewußt haben.

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HERR KREBS:

".... Monitor-Funktion für den Supervisor zum Mithören."

MONIKA SCHADE:

"Den Supervisor. Aber warum kann man sich von außen da reinwählen?"

HERR KREBS:

"Ja, das ist die Frage. Ist nicht gesperrt, ist von Aspect."

MONIKA SCHADE:

"Also ich kann Ihnen nur bestätigen, daß wir das mit Sicherheit von außen heraus nicht benutzt haben, und mir ist diese Funktion einfach, sag ich mal so, nicht bewußt, daß das jeder kann. Das ist natürlich - sag ich mal - etwas, was wir auch sofort sperren können. Aber wir haben es definitiv noch nie genutzt, und es schockiert mich natürlich, daß diese Möglichkeit überhaupt existiert."

KOMMENTAR:

Aspect-Telefonanlagen stehen in vielen deutschen Call-Centern, inklusive Monitor-Menü.

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PETER WEDDE:

(Prof. für Arbeits- und Informationsrecht)

"Ja, wenn Monitor-Menüs bestehen, mit denen man in Gespräche reingehen kann, dann ist das natürlich aus Datensicherheitsaspekten ja schon mal ein schierer Wahnsinn - anders kann man es nicht sagen -, die Möglichkeit zu schaffen, Rechtsverstöße zu begehen. Und es hat sich gezeigt, daß immer dann, wenn solche Möglichkeiten bestanden haben, irgendwann auch ein Mißbrauch stattgefunden hat von außen, weil jemand zufällig drauf gestoßen ist, weil jemand vorsätzlich danach gesucht hat."

KOMMENTAR:

Nach unserem Dreh hat Flyline sofort reagiert und die Nummer gesperrt. Das vorläufige Ende der Recherche in der deutschen Boombranche.

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TELEFONANSAGE:

"Guten Tag, Sie sind falsch verbunden."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 23.09.1999 | 21:00 Uhr