Kosovo-Krieg: Geflüchtete in Deutschland & UCK-Rekrutierungen

von Bericht: Nicola von Hollander und Peter Kleffmann

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Jetzt kommen Flüchtlinge nach Deutschland, aus Not, voller Leid, Trauer und auch Wut. Hier werden sie erstmal aufgenommen. Und dann sind da noch andere, die Deutschen albanischer Herkunft, die zum Teil schon seit Jahrzehnten hier leben und die jetzt, ebenfalls voller Wut, aber auch voller Empörung und mit finsterer Entschlossenheit zum Kampf gegen die Serben aufrufen und in den Kosovo ziehen.

Kosovo-Krieg: Geflüchtete in Deutschland
Panorama berichtet 1999 über Geflüchtete, die aufgrund des Kosovo-Krieges Asyl in Deutschland suchen.

Nicola von Hollander und Peter Kleffmann berichten über vom Krieg gezeichnete Menschen mitten in Deutschland.

KOMMENTAR:

Ein Lächeln für die Kamera. So überspielen Kinder ihre Trauer. Hier in Deutschland sind die Vertriebenen sicher. Der Krieg ist weit entfernt und doch so nah. Mütter denken an ihre Söhne in der albanischen Befreiungsarmee. Andere wie der 82jährige Bunjaku warten auf ein Lebenszeichen ihrer ganzen Familie. Nur zu dritt sind wir geflüchtet, sagt er, meine Familie ist noch dort, ich weiß nichts über sie.

Die seelischen Wunden sind tief, aber darum können sich die Ärzte nicht kümmern. Sie müssen zuerst das Routineprogramm erfüllen, schlichter Gesundheitscheck. Aus medizinischer Sicht ist dies für die Helfer Normalität, aus menschlicher Perspektive aber können auch die deutschen Ärzte alles nur schwer ertragen.

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ALEXANDRA BARTH:

(Ärztin)

"Ja, es ist langsam so, daß mehrere Helferinnen auch nach Schlafmitteln gefragt haben, daß wir viel sprechen ....."

KOMMENTAR:

Auch Lieselotte Martens durchlebt in diesen Tagen ein Wechselbad der Gefühle. Seit vielen Jahren hilft sie Familien, wieder zusammenzuführen, über den Suchdienst des Roten Kreuzes. Die Buzollis aus Pristina suchen Verwandte. Über Tage versteckten sie sich in Kellern, wurden schließlich entdeckt und fortgetrieben wir Vieh. Eines von vielen Schicksalen mitten in der zivilisierten Welt. Daß der Suchdienst wieder europäischen Kriegsflüchtlingen helfen muß, erschüttert alle.

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LIESELOTTE MARTENS

(Suchdienst DRK)

"Es ist nicht zu beschreiben. Wir haben gesagt: Was, es ist Europa? Es kann nicht sein. Wir sind fassungslos. Aber wir können nichts machen. Wir können schreien, wir können - ich sag’ immer, ich möchte mich ins Flugzeug setzen und rüberfliegen und sagen: Haltet auf, haltet auf, aber ......"

KOMMENTAR:

Die Mannschaftskabine des Klub Kosova in Hamburg. Nach Fußballspielen ist ihnen eigentlich nicht zumute, ihre Verbindung zu den Familienangehörigen im Kosovo ist abgerissen. Niemand weiß, ob die überhaupt noch leben. So versuchen sie sich abzulenken. Seit Kriegsbeginn fängt jedes Spiel mit einer Schweigeminute an, zum Gedenken an die Opfer. Das Vereinsheim. Eigentlich ist der Club unpolitisch, aber seit Kriegsbeginn ist das anders. Die jungen Männer tragen sich reihenweise als freiwilllige Kämpfer in die Listen der albanischen Befreiungsarmee ein, der UCK. Hier treffen wir Nahil Ramadani, auch er will jetzt kämpfen.

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NAHIL RAMADANI:

(Kosovo-Albaner)

"Wir wollten das nicht so weit bringen, daß wirklich die deutschen Soldaten runtergehen und für uns kämpfen. Deswegen tun wir das, was wir können, die Familien hier lassen, die Kinder hier lassen und so weiter und nun, bevor da die deutsche Mutter um ihren Sohn weint, dann soll lieber unsere Mutter um ihre Söhne weinen."

KOMMENTAR:

In den Camps der UCK soll Nahil Ramadani jetzt schießen lernen.

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NAHIL RAMADANI:

"Es wurde gesagt, daß harte Leute aus Amerika und überall gekommen sind, Offiziere und so weiter. Es wird auf die schnelle trainiert, so daß die Leute dann fähig sind, in den Krieg zu ziehen."

KOMMENTAR:

Zurück ins Flüchtlingsheim, gerade 50 Kilometer entfernt. Immer wieder werden hier neue Greueltaten aus dem Kosovo bekannt. Und während die Ärzte versuchen, sich um die Flüchtlinge zu kümmern, wollen die Männer zurück in den Kosovo, an die Front.

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KOSOVO-ALBANER:

"Es gibt eine reguläre Armee, albanisch, und man kann auch bei der albanischen Armee kämpfen."

"Ich bin hier wegen meiner Eltern gekommen, die Nato will selbst fertigmachen, aber müssen alle Albaner auf jeden Fall zurück."

KOMMENTAR:

Vor dem Fußballclub Kosova ist es inzwischen Zeit für den Abschied. Freunde und Verwandte stehen Spalier. Jeder wird umarmt. Die, die in Hamburg bleiben, sind stolz auf ihre Landsleute, die in den Krieg ziehen, aber auch traurig. Niemand weiß, wieviele zurückkommen werden. Auch Nahil Ramadanis Schwester fällt es schwer, ihren Bruder zu verabschieden. Zwanzig Jahre haben sie in Deutschland gelebt, hier sind sie aufgewachsen.

Abfahrt ist auf dem Busbahnhof. Für Nahils Mutter ist fast selbstverständlich, daß ihr Sohn in den Krieg zieht.

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NAHIL RAMADANI:

"Sie sagt, mein Sohn muß runter, weil das ist alles schon fast verloren, und die Leute, die noch auf den Beinen stehen, sag’ ich mal, Leute aus dem Norden und so weiter, die was zu Fressen gehabt haben und zu Trinken und die sich noch tapfer fühlen, das ist die letzte Hoffnung für die Leute unten in Kosovo, die noch was tun können."

KOMMENTAR:

Ein letztes Mal werden Freunde und Verwandte umarmt. Der Bus ist voll besetzt, und die nächste Liste mit freiwilligen Kämpfern ist schon fast komplett.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 15.04.1999 | 21:15 Uhr