Hepatitis vom Arzt - Chirurgen, Zahnärzte und Heilpraktiker als Virusträger

von Bericht: Volker Steinhoff und Christian Kossin

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

An Aids haben wir uns schon fast gewöhnt. Täglich infizieren sich rund 7.000 Menschen. Millionen in Afrika und Asien sterben unaufhaltsam. Und noch immer gibt es keinen Impfstoff. In Deutschland hat sich die Ansteckungsrate immerhin verringert. Aber im Zeitalter der Immunschwäche gibt es noch eine andere, weithin unterschätzte Krankheit, und daran sterben hier dreimal so viele Menschen wie an Aids. Allein in Deutschland tragen bereits 500.000 Menschen den Virus in sich, und in jedem Jahr kommen Tausende dazu. Ich rede von Hepatitis B, Leberentzündung. Und bei dieser Krankheit kommt einem plötzlich sehr vieles sehr bekannt vor, zum Beispiel der fahrlässige Umgang mit infiziertem Blutplasma. Mit einer weiteren Infektionsquelle, den Ärzten, hat man sich bisher auch kaum beschäftigt.

Hepatitis vom Arzt - Gelbsucht im Krankenhaus
Immer mehr Menschen erkranken an Hepatits B. Eine bisher kaum beachtete Infektionsquelle sind Ärzt:innen oder Krankenhäuser.

Volker Steinhoff und Christian Kossin holen das nach.

KOMMENTAR:

Das ist Wilfried Henseler. Er leidet an einer chronischen Hepatitis B. Die ansteckende Krankheit hat sein Leben verändert.

0-Ton

WILFRIED HENSELER:

(Hepatitis B-Kranker)

"Ich habe durch meine Erkrankung nicht nur eine ganze Reihe von Freunden und Bekannten verloren, sondern in letzter Konsequenz auch meinen Arbeitsplatz. Erstmal lebe ich permanent in Zukunftsängsten, ich weiß ja selbst um meine eigene Gesundheit nie, wie sieht’s morgen aus. Es drohen ja verschiedene mögliche Komplikationen und auch Folgen meiner chronischen Virusinfektion."

KOMMENTAR:

Gelbsucht - ein auffälliges Symptom der Leberentzündung. Über eine halbe Million Menschen in Deutschland tragen das Virus in sich, meist lebenslang. Die Krankheit hat oft verheerende Folgen: Leberzirrhose, wie hier im Bild, aber auch Krebs und schließlich der Tod. An Hepatitis B sterben in Deutschland dreimal so viel Menschen wie an Aids. Die Ansteckung läuft meist über Blutkontakt, etwa durch verseuchte Nadeln von Drogenabhängigen oder häufig wechselnden Geschlechtsverkehr.

0-Ton

WILFRIED HENSELER:

(Hepatitis B-Kranker)

"Ich gehöre zu keiner der bekannten Risikogruppen. Ich selbst habe den Verdacht, daß ich durch meinen damaligen Zahnarzt infiziert worden bin."

INTERVIEWER:

"Können Sie das beweisen?"

WILFRIED HENSELER:

"Nein."

KOMMENTAR:

Viele Erkrankte, die sich ihre Infektion nicht erklären können, verdächtigen ihren Arzt. Doch wie so etwas beweisen? Dafür müßte der verdächtige Arzt sich untersuchen lassen.

Für die meisten Mediziner ist das Thema tabu. Seltene Ausnahme: die Uniklinik Aachen. Hier häuften sich im Frühjahr ungeklärte Hepatitis B-Infektionen bei Patienten. Statt die Fälle zu vertuschen, forschten Krankenhaus und Gesundheitsamt zielstrebig nach dem Infektionsherd. Fündig wurden sie ausgerechnet im Operationssaal. Ein Herzchirurg hatte Hepatitis B. Doch der infektiöse Chefarzt operierte jahrelang weiter. Dadurch steckte er zahlreiche Patienten an. Drei hat die Klinik schon identifiziert, Experten gehen von vielen Dutzend aus.

Das ist der Chirurg Bruno Messmer. Alles halb so schlimm, meint der Arzt.

O-Ton

PROF. BRUNO MESSNER:

(Hepatitis-infizierter Herzchirurg)

"Man darf sicher keine Panik machen, weil das Risiko, daß ich als Hepatitis-positiv einen Patienten anstecke bei einer Operation, ist gering."

KOMMENTAR:

Schönreden und verharmlosen. Wie groß die Gefahr durch infizierte Ärzte tatsächlich ist, haben Arbeitsmediziner an der Universität Wuppertal erforscht.

0-Ton

PROF. FRIEDRICH HOFMANN:

(Arbeitsmediziner)

"Wenn man davon ausgeht, daß es etwa so viele infektiöse Ärzte gibt wie infektiöse Leute in der allgemeinen Bevölkerung, also um ein Prozent herum, und wenn man dann die Zahl der Operationen zugrunde legt, dann kann man davon ausgehen, daß es sicherlich mehr als tausend solcher Fälle pro Jahr geben dürfte in Deutschland."

KOMMENTAR:

Die Arbeitsmediziner haben alle möglichen Ansteckungswege untersucht, bis hin zu den Arzthandschuhen. Über 1.000 Infektionen pro Jahr - warum wird dann kaum ein Fall öffentlich?

0-Ton

PROF. FRIEDRICH HOFMANN:

"Der Fall Aachen ist der erste Fall seit vielen Jahren, der in Deutschland bekannt geworden ist. Es gibt sicherlich weitere Fälle Aachen, nur haben da eventuell die Betriebsärzte Angst, so etwas zu melden. Man könnte ja dem Krankenhaus schaden. Die Amtsärzte haben Angst oder werden genau so wie die Betriebsärzte unter Druck gesetzt. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, die mir bekannt geworden sind, wo infektiöse Chirurgen in der Vergangenheit gearbeitet haben und heute noch weiter arbeiten."

KOMMENTAR:

Bruno Messmer operiert nicht mehr. Was er falsch gemacht hat, begreift er bis heute nicht.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Würden Sie aus heutiger Sicht sagen, Sie haben einen Fehler gemacht?"

PROF. BRUNO MESSMER:

(Hepatitis-infizierter Herzchirurg)

"Ich glaube nicht, daß das ein Fehler ist. Ich meine, ich habe mich selber einem Risiko ausgesetzt offensichtlich."

INTERVIEWER:

(WDR "Lokalzeit", März 1999)

"Würden Sie es heute besser machen?"

PROF. BRUNO MESSMER:

"Wahrscheinlich würde ich mich impfen lassen jetzt, und ich hätte mich auch impfen lassen, wenn mir mal einer gesagt hätte: Komm‘ mal vorbei, und wir machen mal kurz die Impfung."

KOMMENTAR:

Chefarzt Messmer hat sich nie impfen lassen. Er verließ sich wie viele seiner Kollegen auf den Schutz der Handschuhe. Doch der hat Lücken, wie die Untersuchung der Universität Wuppertal zeigt.

Löchrige Arzthandschuhe unter dem Mikroskop. Hier sogar noch ein Faden, mit dem eigentlich die Wunde genäht werden sollte. Schon kleinste Verletzungen der Arzthand, selbst aufgekratzte Pickel oder rissisge Haut reichen zur Ansteckung.

0-Ton

PROF. FRIEDRICH HOFMANN:

(Arbeitsmediziner)

"Die Löcher kommen auf verschiedenem Wege zustande. Einerseits kann man sich zum Beispiel durch den Handschuh durchnähen. Wir haben in einigen Fällen noch Reste von Fäden in den Handschuhen gefunden. Dann kann man sich natürlich mit einer Spritze, die beispielsweise verabreicht wird, stechen, das sind dann Kanülenstich-Verletzungen. Schließlich gibt es Zerreißungen, und es gibt auch durch Skalpelle natürlich Schnitte. Wir haben nur die genommen, bei denen die Ärzte sagten, sie sind heil, und bei denen gab es mehr als 10 Prozent durchlöcherter. Das größte Loch war übrigens 7 mal 7 Millimeter groß. Es reichen aber zur Übertragung auch Löcher, die man mit bloßem Auge kaum erkennen kann."

KOMMENTAR:

Weiteres Forschungsergebnis: Nicht nur infektiöse Chirurgen, auch Zahnärzte, Gynäkologen und Heilpraktiker können ihre Patienten mit Hepatitis anstecken. Dabei ließe sich diese Gefahr ganz einfach beseitigen. Wie, das weiß jedes Kind. Dieser Werbespot lief an vielen deutschen Schulen.

Kleinkinder und Jugendliche, so die Botschaft, sollen sich gegen Hepatitis schützen. Längst gibt es eine wirksame Impfung. Doch für Ärzte ist sie nicht vorgeschrieben. Noch nicht einmal ein Test ist zwingend. Für Bruno Messmer jetzt eine bequeme Ausrede.

0-Ton

PROF. BRUNO MESSMER:

(Hepatitis-infizierter Herzchirurg)

"Wir wurden ja gar nie dazu aufgerufen. Wir, die beamteten Ärzte in den leitenden Positionen, die werden nicht dazu angehalten, sich regelmäßig zu kontrollieren. Das ist unsere, wenn schon, unsere eigene Denkweise."

KOMMENTAR:

Von allein passiert oft nichts. Zu dieser bitteren Erkenntnis ist man auch im Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz gekommen.

HERBERT BUSSMANN:

(Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz)

"Ich denke, daß etwa 30 bis 50 Prozent der in Frage kommenden Personen, die eigentlich über einen Impfschutz verfügen sollten, diesen noch nicht oder noch nicht vollständig haben."

KOMMENTAR:

Richtig schlimm kann es werden, wenn sich einer der Impfignoranten angesteckt hat.

0-Ton

HERBERT BUSSMANN:

"Ganz streng genommen nach den Vorschriften des Bundesseuchengesetzes müssen Erkrankungen gemeldet werden, ja."

INTERVIEWER:

"Glauben Sie, das passiert immer?"

HERBERT BUSSMANN:

"Ich glaube es nicht, nein. Wir müssen davon ausgehen, daß es infizierte Ärzte gibt, die entweder von ihrer Infektion wissen oder auch nicht wissen und die weiter operieren, ja."

KOMMENTAR:

Die meisten dieser Ärzte haben sich ursprünglich selbst bei Patienten angesteckt. Warum lassen sich dann die noch gesunden Ärzte nicht impfen, obwohl sie außer ihren Patienten auch sich selbst schützen könnten? Auch das haben die Arbeitsmediziner untersucht.

0-Ton

PROF. FRIEDRICH HOFMANN:

(Arbeitsmediziner)

"Es gibt ganz merkwürdige Motive, nämlich Angst vor Nebenwirkungen, und einige haben explizit gesagt: Angst vor Spritzen, das heißt, die haben einfach Angst, sich eine Impfung geben zu lassen. Weiterhin haben viele argumentiert, sie arbeiteten so sorgfältig, daß es überhaupt nicht zu Blut- und Körperflüssigkeitskontakten kommen könnte. Schließlich haben einige argumentiert, die Hepatitis B sei ja gar keine schwerwiegende Erkrankung."

INTERVIEWER:

"Sind die letzten beiden Argumente richtig?"

PROF. FRIEDRICH HOFMANN:

"Die letzten beiden Argumente sind nicht richtig, denn erstens ist die Hepatitis B eine schwerwiegende Erkrankung, und zweitens ist es so, daß man häufig einen Blutkontakt hat und weiß es gar nicht."

KOMMENTAR:

In Rheinland-Pfalz will man nun ein Ende der Freiwilligkeit.

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HERBERT BUSSMANN:

(Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz)

"Ich halte zunächst einmal regelmäßige Untersuchungen des medizinischen Personals auf den Hepatitis B-Status für erforderlich. Das wären also - ich schlage mal vor: zweimal im Jahr Untersuchungen, serologische Untersuchungen, quasi als Mediziner-TÜV. Im übrigen als zweite ganz wichtige Maßnahme eben: möglichst vollständige Durchimpfung."

KOMMENTAR:

Eine Impfpflicht. Dafür wäre vor allem das Bundesgesundheitsministerium zuständig. Doch die Beamten wiegeln am Telefon ab, die Gefahr durch Hepatitis sei nicht groß genug. Zu einem Interview mit PANORAMA war niemand bereit.

Dabei will selbst manch ein Arzt die Impfpflicht, denn von allein kümmert sich so ein Chirurg wohl nicht um seine Gesundheit.

0-Ton

PROF. BRUNO MESSMER:

(Hepatitis-infizierter Herzchirurg)

"Sie brauchen auch einen gewissen Zwang. Wenn mir jemand sagt: Hören Sie mal, Sie müssen jetzt morgen um 12 Uhr da sein zum Test, gut, dann bin ich da. Wenn mir keiner das sagt, dann habe ich vielleicht morgen um 12 Uhr was anderes, und ich habe übermorgen auch was anderes - ich hab einen ganzen Haufen andere Arbeit als nur in erster Linie an meine Gesundheit zu denken."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Schon erstaunlich, daß so ein Arzt - ein Arzt - etwas anderes für wichtiger hält als seine Gesundheit und die seiner Patienten. Und da ist er offensichtlich auch nicht ganz allein.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 15.07.1999 | 21:00 Uhr