Behördendschungel und Bankenmacht - Der Frust der Firmengründer

von Bericht: Edith Heitkämper und Nicola von Hollander

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Unser Kanzler gefällt sich ja bekanntlich als Macher - immer im Gegensatz zu den von ihm oft kritisierten "Miesmachern". Ihm wichtige Themen macht er gern zur Chefsache, und schon vor seinem Amtsantritt hat er Existenzgründern in Deutschland Erleichterungen versprochen. Zu viel Bürokratie, zu viel Regelungswut, zu große Schwierigkeiten bei der Kreditbeschaffung. Die Analyse war richtig, besser geworden ist seither aber nichts. Nun ist nach fünfzig Jahren Wohlfahrtsstaat so schnell kein Gründerfieber zu erwarten, das ist auch klar. Aber statt dessen: verunglückte Steuergesetze, Neuregelung der 630-Mark-Jobs und das Gesetz gegen Scheinselbständigkeit - also neue Hürden.

Der Frust der Firmengründer
Existenzgründer stoßen mit der Realisierung ihrer Ideen immer wieder auf bürokratische Hürden der Behörden und Banken.

Meine Kolleginnen Edith Heitkämper und Nicola von Hollander sind keine Miesmacher, sie berichten aber über viel Frust und Ärger bei Deutschlands Existenzgründern.

KOMMENTAR:

Werbung auf dem Taxidach - damit wollte der Hamburger Michael Lutter eine Firma gründen und Arbeitsplätze schaffen. Doch mit dieser Idee scheitert er seit drei Jahren an den Behörden.

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MICHAEL LUTTER:

(verhinderter Existenzgründer)

"Ich klappe das ganze Ding auf, und da drin liegt eine ganz einfache Papierfolie, als Plakat ausgestanzt. Und darauf kommt dann die Werbung. Das kann man auswechseln, wie man sieht, ganz easy."

KOMMENTAR:

Vorbild New York. Nicht nur hier werben Taxen seit Jahren für alles. Lutter sah das, wollte die Geschäftsidee importieren - und wurde ausgebremst.

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MICHAEL LUTTER:

"Gibt’s überall außer in Deutschland."

INTERVIEWERIN:

"Warum gibt’s das noch nicht in Deutschland?"

MICHAEL LUTTER:

"Das müssen Sie nicht mich fragen, weiß ich nicht. Es gibt eine Vorschrift dagegen, die eine besagt: Werbung ist, wenn, überhaupt nur auf den Türen erlaubt. Die andere schreibt vor, wie groß dieses Taxischild zu sein hat. Daran habe ich mich aber gehalten. Aber es gibt halt eine Vorschrift."

KOMMENTAR:

Die Herausforderung jedes Existenzgründers.

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MICHAEL LUTTER:

"Die Wirtschaftsbehörde hat uns an die Baubehörde verwiesen, die ist dafür zuständig. Die Baubehörde hat uns wiederum ans Verkehrsministerium verwiesen, weil sie da nichts entscheiden wollten. Das Verkehrsministerium hat uns wiederum zur zuständigen Lobby geschickt, weil sie auch ohne die nichts entscheiden wollten. Daraufhin ging‘s wieder zurück zum Verkehrsministerium, und dann ging’s wieder zurück zur Hamburger Baubehörde, weil ich da nochmal anfangen wollte, es auf Länderebene durchzusetzen."

KOMMENTAR:

In Hamburg vergebens. Lutter versuchte es in Bremen. Behördenparcours 2. Teil. Der Bürgermeister selbst ist von der Idee begeistert, bittet um Unterstützung beim Bundesverkehrsministerium - ohne Erfolg.

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HENNING SCHERF:

(Bürgermeister Bremen)

"Da ist es nun im Augenblick mühselig, weil dort Beamte dominieren, und das sind die Herren, die uns die Stadt und das Land voller Schilder stellen, weil sie immer wieder neue Ängste aufbauen und vor lauter Ängsten eigentlich diesen Zug, den wir brauchen, daß wir direkt miteinander umgehen, kleinarbeiten."

KOMMENTAR:

Das Bundesverkehrsministerium - Ordnung muß sein.

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VOLKER MATTERN:

(Bundesverkehrsministerium)

"Es gibt für die Ausgestaltung von Taxen eine Vorschrift, die Betriebsordnung für den Kraftverkehr, wo wir entsprechend dann ändern müssen oder Ausnahmegenehmigungen erteilen. Eine Sonderregelung in dem Fall ist nicht möglich, denn sie haben einheitliche Vorschriften, die natürlich auch dann einheitlich anzuwenden sind."

KOMMENTAR:

Dienst nach Vorschrift. Die Mitarbeiter der Deutschen Ausgleichsbank kennen die Probleme mit der Bürokratie. Das Geldinstitut verschafft Existenzgründern zinsgünstige Kredite, eine staatliche Einrichtung, die täglich den Hürdenlauf durch die Behörden erlebt. Kritik am eigenen System.

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JOCHEN STRUCK:

(Deutsche Ausgleichsbank)

"Die Mitarbeiter in den Behörden sind halt eben darauf fixiert und auch dazu ausgebildet, bestimmte Verordnungen und Gesetze umzusetzen. Sie sind nicht dazu ausgebildet, nun den Unternehmer zu verstehen, und es fehlen ihnen sicherlich sehr oft andere Sichtweisen. Und das ist das Kernproblem, und an das müßte man ran. Hier letztlich muß auch so was wie eine Kundenorientierung installiert werden, etabliert werden in den Behörden."

KOMMENTAR:

Kundenorientierung. In diesem Nürnberger Coffee-Shop lebt man davon. Den Laden gäbe es aber gar nicht, wenn alles nach Behördenvorschrift gegangen wäre - die Bürokratie hätte ihn verhindert. Doch Christian Hartl ließ sich vom deutschen Amtsschimmel nicht abschrecken. Und deshalb hat er fünf neue Arbeitsplätze geschaffen. Aber bevor seine Mitarbeiter Kaffee kochen durften, mußte sich der Existenzgründer Hartl durch viele Akten und Auflagen arbeiten. Und das, obwohl er sogar einen besonderen Vorteil genoß, das sogenannte vereinfachte Genehmigungsverfahren.

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CHRISTIAN HARTL:

(Black Bean Coffe-Shop)

"Ja, es waren eine Menge Stellen, zum Beispiel das Dienstleistungszentrum, Amt Verkehr, Information und Bodenordnung, Stadtplanungsamt, Bauhof, Wirtschaftsreferat, Liegenschaftsamt, Leiter des Liegenschaftsamtes, Denkmalschutzbehörde, Abteilung Grundstücksentwässerung, Stellvertreter des Oberbürgermeisters, Liegenschaftsverwaltung, Stadtdirektor, Bauordnungsbehörde."

KOMMENTAR:

Diese Arbeitsplätze gäbe es nicht, hätte Hartl auf alle Behörden gewartet. Er begann einfach, illegal, so wie jeder dritte deutsche Existenzgründer.

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CHRISTIAN HARTL:

"Wenn wir auf den ganzen Ablauf gewartet hätten, dann wäre unser Vorhaben wahrscheinlich gescheitert, weil wir vor dem Beginn der Baumaßnahme schon pleite gewesen wären. Und das war schlechtweg einfach nicht machbar gewesen."

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JOCHEN STRUCK:

(Deutsche Ausgleichsbank)

"Wenn man bedenkt, daß in der heutigen Wettbewerbssituation eine neue Unternehmensidee, eine Produktidee nach einem Jahr schon überholt sein kann oder andere Konkurrenten, die eine ähnliche Idee haben, damit schon auf dem Markt sind, dann kann ein Jahr Wartezeit schon das Aus für den Gründer bedeuten, bevor er gestartet hat."

KOMMENTAR:

Standort Deutschland. Die Zahl der Vorschriften hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Vom schlanken Staat keine Rede. Die Mitarbeiter der Ausgleichsbank untersuchten detailliert, wie Vorschriften Existenzgründer behindern. Das Ergebnis ist deprimierend.

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JOCHEN STRUCK:

"Viele behördliche Akte werden von den Existenzgründern als willkürliche Akte empfunden. Es gibt also mit anderen Worten zu wenig Transparenz. Und des weiteren muß man den Kostenbereich nennen. Gerade junge Unternehmen sind mit Bürokratiekosten überproportional belastet. Ein kleines Unternehmen muß für jeden Mitarbeiter im Jahr ungefähr 5.000 Mark aufbringen, allein zur Bewältigung der Bürokratielasten."

KOMMENTAR:

Hier im Bundeswirtschaftsministerium hat man die Förderung von Existenzgründern vollmundig zur Chefsache erklärt. Die Botschaft: Arbeitslosigkeit abbauen durch Existenzgründungen. Doch die, die man dafür braucht, sind durch immer neue Gesetze frustriert. Der Staatssekretär beruhigt, das Problem sei erkannt.

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SIEGMAR MOSDORF:

(Staatssekretär Bundeswirtschaftsministerium)

"Deutschland ist da immer überperfekt, und es gibt da auch bürokratische Strukturen, die muß man abbauen, und zwar auf allen politischen Ebenen, von der Gemeinde, wo sie ja ihren Gewerbeschein beantragen, bis hin zum Landratsamt, zu den Ländern, und das gilt auch für die Bundesebene."

KOMMENTAR:

Zu viel Bürokratie, zu wenig Risikokapital. Daran scheitern die meisten Gründer. Diese beiden BWL-Studenten brauchten läppische 5.000 Mark Startgeld für ein Call-Center. Das war vor sechs Jahren.

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KARSTEN WULF:

(B & W Telefonmarketing)

"Wir haben also jetzt erfolglos die vierte Bank abgeklappert, haben zumindest bei der letzten eine Tasse Kaffee angeboten bekommen und wollten dort unseren Betriebsmittelkredit in Höhe von 4.000 bis 5.000 Mark beantragen und sind aber jetzt bei der letzten Bank leider abgeblitzt und bekommen das Geld nicht."

KOMMENTAR:

Sie haben es dennoch geschafft. Heute sind sie Chefs auch ohne Banken. Ihr Call-Center, finanziert aus einer Lebensversicherung, zusammengekratztem Ersparten.

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JENS BORMANN:

(B & W Telefonmarketing)

"Wir haben im vergangenen Jahr 20 Millionen Mark Umsatz gemacht und sind allerbester Dinge, den in diesem Jahr auch wiederum zu verdoppeln."

KARSTEN WULF:

(B & W Telefonmarketing)

"Also Planung in den nächsten drei Jahren, und das ist unser größtes Ziel, und da bin ich mir sicher, daß wir das gemeinsam mit den Mitarbeitern auch erreichen, die Schallgrenze von 100 Millionen D-Mark zu überschreiten, die derzeit also noch kein anderes Dienstleistungsunternehmen in unserem Marktsegment bisher durchschritten hat."

KOMMENTAR:

In ihrer Osnabrücker Firma entstanden 880 neue Arbeitsplätze, ihr persönlicher Erfolg gegen die Ignoranz der Banker. Behördendschungel und Bankenmacht - für ihn ganz klar, wo sich was tun muß.

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SIEGMAR MOSDORF:

(Staatssekretär Bundeswirtschaftsministerium)

"Ich meine, man muß natürlich sehen, das ist ja eine mentale Frage. Wir sind zwar jetzt 9.400 Kilometer von Seattle entfernt, vom Pioneer Square, wie man das dort nennt, aber wir sind im Grunde mental noch viel weiter von dieser Gründungskultur entfernt."

KOMMENTAR:

Das Online-Auktionshaus Alando. In diesem Berliner Hinterhof sitzen die Shooting Stars deutscher Jungunternehmer. Schon nach drei Monaten schätzen Analysten den Börsenwert auf über 100 Millionen Mark. Alando verdient an Auktionen im Internet - eine Idee aus Amerika. Was sie dort auch gelernt haben: Behörden und Banken zu umgehen, so gut es geht. Ihr Risiko-Kapital holten sie sich von einem Privatinvestor, auf deutsche Fördermittel wollten sie nicht warten.

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ALEXANDER SAMWER:

(Alando Online-Auktionshaus)

"Ich denke, was uns sehr geholfen hat, war einfach diese Erfahrung aus Amerika, daß man auch als junges Team dieses Prinzip des Think Big - also von Anfang an sagt: Wir wollen hier was Großes aufbauen, auch wenn viele sagen, ihr habt noch nicht genug Erfahrung, ihr müßtet erstmal irgendwo lernen."

KOMMENTAR:

Lernen vom Think Big - das wünschen sich deutsche Existenzgründer von deutschen Bürokraten.

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CHRISTIAN HARTL:

(Black Bean Coffee-Shop)

"Es sind genügend Ideen vorhanden, es sind genügend Visionen vorhanden, es sind genügend Menschen in Deutschland da, die die Ideen umsetzen wollen auch, die anpacken wollen, aber es geht vielfach Energie im Vorfeld verloren."

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MICHAEL LUTTER:

(verhinderter Existenzgründer)

"Man denkt immer an einen falschen Film, also die ganzen Sonntagsreden, in allen Nachrichten, alle halbe Stunde hört man was von Unterstützung, Unternehmertum, Innovation, Deregulierung des Staates. Aber im konkreten Fall klappt es einfach nicht."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Es klappt nicht. Pro Jahr geben deutsche Unternehmen rund sechzig Milliarden Mark - sechzig Milliarden - für bürokratische Abwicklungen aus, für Genehmigungsverfahren, Steuerermittlungen und Personalverwaltung. Diese Zahl errechnete das Institut für Mittelstandsforschung. Deutschland liegt damit deutlich über dem EU-Durchschnitt.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 15.07.1999 | 21:00 Uhr