Arrogant und großkotzig - Die Erfahrungen der Ostdeutschen mit den Besser-Wessis

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Sie verbringen ihre Freizeit anders, sie haben einen anderen Humor und öfter Sex, sie sind familienorientierter, häuslicher und naturverbundener. Sie lesen weniger, sehen dafür mehr fern, haben ein anderes Demokratieverständnis und fühlen sich grundsätzlich benachteiligt. Es klingt, als rede man von Menschen aus einem anderen Kulturkreis, von einem anderen Kontinent - ich meine Ostdeutsche. Und die eben zitierten Eigenschaften sind Ergebnisse diverser Studien, erstellt in den vergangenen zehn Jahren, nach dem Fall der Mauer.

In der letzten Sendung kam ein westdeutscher Soziologe zu Wort. Er hält Ostdeutsche für undankbar und eigentlich für spießig, faul und unflexibel. Die Reaktionen darauf waren zahlreich und vielfältig, die meisten zwischen heller Empörung und Morddrohungen. Heute nun PANORAMA - wie angekündigt - die Replik. Die Meinung der Ost- über die Westdeutschen ist nicht weniger unfreundlich und nicht weniger polemisch. Nicola von Hollander und Ralf Kaiser haben sich im Osten der Republik umgehört.

Erfahrungen von Ostdeutschen mit Wessis
Seit der Wende ist im Miteinander zwischen Ost- und West zu wenig passiert. Das weckt Sehnsüchte nach der DDR.

KOMMENTAR:

Hier feiern die selbsternannten Verlierer der Einheit. Es ist der 50. Gründungstag der DDR. Diese Ostdeutschen lassen noch einmal hochleben, was Wessis beim Beitritt Ostdeutschlands abwickelten. Viele hier fühlen sich wie von Kolonialherren übernommen.

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WOLFGANG RICHTER:

(Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde)

"Uns geht's um Menschenrechte und um das Bürgerglück. Wir sind doch keine Knechte der Bundesrepublik."

KOMMENTAR:

Der Westen sei Schuld am Elend des Ostens, glauben diese Neubundesbürger. Die deutsche Einheit sei in Wahrheit eine Abrechnung mit der DDR gewesen. Geblieben ist diesen Menschen daraus wenig, und so ziehen sie sich zurück - mit Sehnsucht nach der Wärme ihrer Heimat und vertrauten Klängen.

Der ostdeutsche Psychologe, Hans-Joachim Maaz, klagt an: Die Westdeutschen hätten bis heute nicht versucht, die Ostdeutschen auch wirklich zu verstehen.

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HANS-JOACHIM MAAZ:

(Psychotherapeut Halle)

"Die Wessis sind überheblich, sie haben das Siegergefühl. Das ist ein besonderes Problem, weil dann geglaubt werden kann, die westdeutsche Lebensart sei an sich wirklich die bessere, aber sie ist nur eine andere Form von Einseitigkeit."

KOMMENTAR:

Die Wessis, so meint der ostdeutsche Psychologe, seien ewige Sieger, die ihr Ego befriedigen. Jeder kämpfe nur für sich allein.

Die Ostdeutschen sind vielen Westdeutschen längst zur Last geworden. Einer hat den Osten gegen sich aufgebracht, mit provozierenden Äußerungen.

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THOMAS ROETHE:

(Soziologe Hannover)

"Mein Plädoyer für das Ende der Schonfrist heißt, daß wir endlich anfangen müssen, die Debatte zu führen, wie wir die ostdeutsche Bevölkerung dahin kriegen, daß sie endlich anfängt, zu arbeiten."

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INTERVIEWER:

"Was halten Sie von dem?"

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OSTDEUTSCHE:

"Kein Kommentar."

"Das kann doch nicht wahr sein, so was."

"Kann man nichts dazu sagen. Da soll mal bei uns, wie er schon sagt, sollte mal .... drei Tage."

"Also ich frage mich, was dieser Mensch will von uns. Für mich ist der Mann krankhaft."

KOMMENTAR:

Einige Straßen weiter in Leipzig-Grünau. Dieselben Reaktionen:

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OSTDEUTSCHER:

"Zu DDR-Zeiten gab's für kritische Leute Berufsverbot, sage ich mal, solchen Leuten, solchen dummen Menschen müßte man eigentlich heute Berufsverbot aussprechen."

OSTDEUTSCHE:

"Mich können sie nicht beleidigen. Also ich denke, die Jahre sind vorbei, wo wir uns entschuldigt haben, daß wir lesen und schreiben können."

KOMMENTAR:

Doch Roethe regt nicht nur die Sachsen auf, auch dem Thüringer Bundestagsabgeordneten Gerhard Jüttemann kommt die Galle hoch."

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GERHARD JÜTTEMANN:

(Bundestagsabgeordneter, parteilos)

"Diese Herrschermentalität - wenn die Ostdeutschen nicht das machen, was die sich wünschen, dann werden sie ausgegrenzt. Das ist das, was ich in diesem Film erkenne. Das ist der Ärger, daß wir nicht so funktionieren, wie sie sich das gern wünschen."

KOMMENTAR:

Jüttemann war einer der Kali-Kumpel von Bischofferode. Ihr erfolgloser Hungerstreik 1993 ist bis heute unvergessen, der Frust über die Plattmacher aus dem Westen bis heute geblieben.

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GERHARD JÜTTEMANN:

"Man will uns als Menschen doch gar nicht haben. Man hat uns Hab und Gut genommen, man möchte uns die Ehre noch nehmen. Aber selbst mitregieren und mitsprechen sollen wir doch eigentlich gar nicht."

KOMMENTAR:

Überall haben Ostdeutsche ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit Wessis gemacht: Geschäftemacher nutzten sie aus, haben sie belogen und betrogen - viele sind verbittert.

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BÜRGERMEISTER:

"Es ist ja hier hundertfach in Mecklenburg gelaufen, daß Leute über den Tisch gezogen wurden, abgezockt wurden und letztendlich teilweise sogar ruiniert wurden, mit unter auch nur gesundheitlich - nur in Anführungsstrichen."

KOMMENTAR:

Wie die Menschen auf solche Erfahrungen reagieren, das ist eindeutig.

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OSTDEUTSCHE:

"Das Zusammenwachsen ist in den zehn Jahren nicht passiert, wird auch in den nächsten zwanzig Jahren nicht passieren. Deshalb sage ich: Nee, von mir aus kann die Mauer wieder hoch."

"Ich will die DDR wiederhaben, sage ich ganz ehrlich. Ich hab' besser gelebt, ruhiger, bequemer und alles. Jetzt hab' ich keine Zukunft mehr."

KOMMENTAR:

An solchen Aussagen, so meint der Psychologe aus Ostdeutschland, seien auch die Westdeutschen Schuld.

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HANS-JOACHIM MAAZ:

(Psychotherapeut Halle)

"Es scheint so, als daß überhaupt kein Zweifel daran aufkommen darf, daß alles, was die Westler machen, gut und richtig ist. Das nennen wir ja auch einen seelischen Abwehrvorgang. Der Osten hat nahezu dazu gedient, den Westdeutschen eine Chance zu geben, sich auf eine verlogene Art und Weise stark und sicher und souverän zu fühlen."

KOMMENTAR:

So gesehen ist seit der Wende viel zu wenig passiert. Die Gewinner aus dem Westen setzen sich weiter durch. Die Ostdeutschen stehen im Abseits, fühlen sich als Verlierer der Einheit. Viele Träume zerplatzten im Konkurrenzkampf der neuen Marktwirtschaft. Geblieben ist die Sehnsucht nach dem besseren Leben. So träumen viele auch heute immer noch von der Vergangenheit.

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GESANG:

"Bau auf, bau auf, bau auf, bau auf, neue deutsche Jugend, bau auf. Für eine bessere Zukunft bauen wir die Heimat auf."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.10.1999 | 21:05 Uhr