Telekom-Kampagne für ISDN - Kunden zahlen für veraltete Technik

von Bericht: Klaus Böcker und John Goetz

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Die Telekom war weltweit der Vorreiter. Mit der vielgepriesenen ISDN-Technik sollte das Telefonnetz in eine Datenrennstrecke verwandelt werden, geschwindigkeitssüchtige Surfer könnten so viel schneller im Internet herumwirbeln. Etwas schneller ist es ja auch geworden. Nur - wer meint, sich mit einem ISDN-Anschluß an die Weltspitze der Datentechnik befördert zu haben, der irrt. Die Telekom verkauft uns da veraltete Technologie, für die wir uns sogar noch andere Geräte anschaffen müssen: Telefon, Fax und Internet-Modem - alles neu. Wer aber wirklich schnelleren und preiswerteren Zugang ins Internet möchte, kann seinen ISDN-Anschluß schon bald vergessen, und die neuen Geräte hätte man sich sparen können.

Telekom-Kampagne für ISDN
Der ISDN-Flop: Die Telekom verkauft veraltete Technik, die Kunden sind enttäuscht. Panorama berichtet 1998.

Klaus Böcker und John Goetz über die Entdeckung der Schnelligkeit - und die unendliche Langsamkeit der Telekom.

KOMMENTAR:

Aufbruch in eine neue Epoche. Bei der CEBIT 1989 wird die neue ISDN-Technologie der Welt präsentiert. Stolz wählt sich Kanzler Kohl ins neue Netz ein. ISDN - ein teures Projekt, verknüpft mit riesigen Erwartungen und ein deutscher Alleingang.

Heute, neun Jahre später: In Deutschland gibt es bereits 2,7 Millionen ISDN-Kunden. Jeder neue Kunde hat durchschnittlich 1.000 Mark für seinen Telefonanschluß und die erforderliche Ausrüstung bezahlt.

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ULRICH LISSEK:

(Deutsche Telekom)

"ISDN läuft hervorragend, wir haben hier eine Erfolgsgeschichte sondergleichen weltweit geschrieben. Wir haben bis jetzt 8 Millionen Kanäle hier Deutschland verkauft, es kommen jeden Monat rund 80.000 dazu."

KOMMENTAR:

Reihenweise lassen sich die ahnungslosen Kunden verführen.

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WERBESPOT DEUTSCHE TELEKOM:

"Was ist Zukunft? Zukunft ist heute - ISDN."

KOMMENTAR:

Nina und Rolf haben den Schritt in die vermeintliche Zukunft gewagt. Wie viele andere bestellten sie ISDN, um mit ihrem Computer schneller im Internet recherchieren zu können. Das hatte die Werbung versprochen. Jetzt ist die Enttäuschung groß.

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NINA EHLI:

(ISDN-Kundin)

"Im Internet surfen macht mir keinen Spaß. Vielleicht bin ich auch zu ungeduldig, aber wenn man ein fremdes Angebot anguckt und noch nicht mal weiß, was kommt, und ich muß dann eine Minute lang warten und sehe dann erst: Okay, das war's wieder nicht, was ich wollte - dann habe ich nach fünf Minuten keine Lust mehr."

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WERBESPOT DEUTSCHE TELEKOM:

"Zukunft ist, sich blitzschnell das Wissen der Welt aus dem Internet zu holen."

KOMMENTAR:

Wie man wirklich blitzschnell Wissen aus dem Internet holt, ist in Deutschland noch ein gut geschütztes Geheimnis. Hier sieht man, wie das geht, aber hier arbeitet man nicht mit ISDN, sondern mit einem völlig neuen Telefonsystem: ADSL heißt hier die Zauberformel. So schnell hat in Deutschland noch niemand im Internet gearbeitet.

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SVEN GUDEHUS:

(ADSL-Nutzer)

"Es macht schon einen Heidenspaß, und mit der Geschwindigkeit, die dahinter steht, muß man halt nicht mehr so elendig lange warten, bis es halt aufgebaut ist."

KOMMENTAR:

Hier in Münster nehmen Studenten an einem Pilotversuch mit ADSL teil. Für die Deutschen ist das System noch Neuland, im Ausland für viele schon Alltag.

Ortswechsel: Seattle in den USA. Hier lebt Joseph Mouhanna. Er ist ADSL-Kunde. Jeden Morgen, bevor er zur Arbeit fährt, holt er sich aus dem Internet die neuesten Verkehrsnachrichten. Mit seinem Computer schaut er sich die Bilder aller Verkehrskameras an, die auf seinem Weg zur Arbeit liegen. Blitzschnell schaltet er von einer Kamera zur nächsten.

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JOSEPH MOUHANNA: (Übersetzung)

(ADSL-Kunde)

"Es spart mir viel Zeit. Wenn ich mir den Verkehr anschaue, bevor ich aus dem Haus gehe, weiß ich, wo gerade Staus sind. Dann nehme ich einen anderen Weg oder fahre erst später ab. Das macht alles für mich viel einfacher."

KOMMENTAR:

Redmond, Washington, der Hauptsitz des Welttechnologie-Konzerns Microsoft. Hier setzt man ganz auf ADSL.

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DAN STEELE: (Übersetzung)

(Microsoft)

"Der Unterschied zwischen ISDN und ADSL ist aus unserer Sicht so wie zwischen einem Cadillac und einem Lear-Jet. Das ist schon ein Quantensprung."

KOMMENTAR:

ADSL - das ist eine seit Jahren im Ausland bekannte Technik, mit der riesige Mengen von Daten über eine ganz normale Kupferleitung befördert werden. Über das deutsche ISDN-Engagement spotten amerikanische Experten nur.

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DAN STEELE: (Übersetzung)

"Die Deutsche Telekom sollte wirklich gelobt werden für ihre riesigen Investitionen und ihre selbstauferlegte Aufgabe, ISDN einzuführen. Sie haben sich Investitionen zugetraut, die sich kaum eine andere Telefongesellschaft zugetraut hätte. Bei ADSL sind wir optimistisch, weil die Investitionen wesentlich geringer sind."

KOMMENTAR:

Besonders beliebt ist die ADSL-Technologie zum Beispiel bei amerikanischen Röntgenärzten. Sie alle berichten euphorisch von ihren Erfahrungen mit der blitzschnellen Bildübertragung.

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DR. RODNEY OWEN: (Übersetzung)

(Radiologe, ADSL-Kunde)

"Seit ADSL eingeführt wurde, bekomme ich die Röntgenbilder schneller auf meinen Monitor, als ich brauche, um ins Krankenhaus zu fahren. Weil das mit ADSL so schnell geht und das System jetzt jederzeit verfügbar ist, geht alles schneller. Der Patient bekommt eine bessere Behandlung, der Hausarzt wesentlich schneller seinen Bericht als früher, und mein Leben ist auch viel angenehmer. Also für alle ein Gewinn."

KOMMENTAR:

Ganz anders die Situation beim Berliner Radiologen Peter Renner. Er versucht seit langem, seine Röntgenbilder mit ISDN zu übertragen. Was den Amerikanern blitzschnell gelingt, ist für ihn eine mühselige Tortur.

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DR. PETER RENNER:

(Radiologe, ISDN-Kunde)

"Um dieses Bild zu übertragen, brauchen wir ungefähr, wenn man das ausrechnet, dreißig, vierzig Sekunden. Das ist im Moment noch viel zu langsam. Wir warten also ständig nur, daß die Bilder übertragen werden. Wenn wir eine Untersuchung beim Patienten machen, hier zum Beispiel diese Lunge, dann ist es ja nicht ein Bild, sondern es sind mindestens zehn bis zwanzig Bilder. Es würde die Übertragung also 20 mal 40 Sekunden dauern, das wäre viel zu lang."

KOMMENTAR:

Trotz der Erfahrung solcher Kunden wirbt die Deutsche Telekom unverdrossen weiter für ISDN.

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WERBESPOT DEUTSCHE TELEKOM:

"Jetzt bei ISDN einsteigen."

KOMMENTAR:

Und der Erfolg der Kampagne ist riesig.

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ULRICH LISSEK:

(Deutsche Telekom)

"Wir arbeiten natürlich weiterhin sehr hart an der Vermarktung des Produktes ISDN, und ich denke auch, die Kunden können damit zufrieden sein."

KOMMENTAR:

Die veraltete ISDN-Technologie - für die Telekom ein Bombengeschäft. Denn der ISDN-Kunde muß sich für diese Technik nicht nur einen Anschluß, sondern einen ganz neuen Gerätepark kaufen. Bis zu 1.500 Mark legt mancher Kunde für ISDN bei der Telekom auf den Tisch. Fast alles überflüssige Ausgaben, wenn die Telekom schon ADSL anbieten würde.

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KYLE TANOUYE: (Übersetzung)

(US-Telekommunikationsfirma)

"Eine der Stärken von ADSL ist, daß man seine alten Telefone und Faxgeräte weiter benutzen kann, nicht wie bei ISDN, für das man ein spezielles Telefon und Faxgerät braucht. Dadurch sparen ADSL-Kunden eine Menge Geld."

KOMMENTAR:

Technisch - das zeigt der Versuch in Münster - ist ADSL schon heute möglich. Und das bessere Produkt wird dem Kunden schon bald zur Verfügung stehen. Seit heute - so die Telekom zu PANORAMA vor wenigen Stunden - ist sicher: Im Dezember wird die Telekom ADSL in Ballungsgebieten anbieten. Nicht nur in der Form eines Pilotprojekts, sondern als ganz normales Angebot an jeden Kunden wird der schnelle Internetzugang bald zur Verfügung stehen. Auf ADSL können sich schon jetzt die Bürger in Berlin, Hamburg, München, Stuttgart, Köln, Düsseldorf, Frankfurt und Bonn freuen.

Viele Kunden, die Hunderte von Mark in ISDN investiert haben, werden sich jetzt betrogen fühlen. Sie haben auf eine Kampagne für eine veraltete Technik gehört. Die Telekom bestreitet das, der Kunde könne selber entscheiden, welches Produkt er will.

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ULRICH LISSEK:

(Deutsche Telekom)

"Es geht hier nicht darum, den Kunden mit Gewalt bei ISDN zu halten und ihm ADSL vielleicht vorzuenthalten, sondern es geht hier darum, das eine Produkt am Markt zu vermarkten, das andere natürlich im Pilotversuch zu erproben, und dann beide Produkte dem Kunden zur Wahl zu stellen und zu sagen: Welche Bedürfnisse sind hier zu sehen, welches ist für dich am besten nutzbar, und das kann man dem Kunden natürlich entsprechend verkaufen."

KOMMENTAR:

Aber eine echte Wahl hatten die Kunden nie. Daß die Telekom ADSL einführen will, wissen die wenigsten. Und in den Verkaufsgesprächen, bei denen wir dabei waren, wird ADSL nicht mal erwähnt. Vermarktet wird immer nur die teure Technik von gestern.

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WERBESPOT DEUTSCHE TELEKOM:

"Was ist Zukunft? Zukunft ist heute - ISDN."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

"Zukunft ist heute", so der Werbeslogan, und damit das für die Telekom auch so bleibt, werden ISDN-Kunden falsch, zumindest einseitig oder gar nicht beraten.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 09.04.1998 | 21:00 Uhr