Treue bis zum Ende - Das Dilemma der Kohl-CDU

von Bericht: Christoph Lütgert und Klaus Scherer

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Es war ärgerlich, manchmal auch komisch, aber das Lachen blieb im Hals stecken. Ich rede vom schlechten Schauspiel der angeschlagenen Parteien nach der Wahl in Sachsen-Anhalt. Die üblichen Sprüche von Volksvertretern fast aller Couleur konnte man da vernehmen: Ab jetzt sollten die Wähler ernst genommen, neue Themen besetzt und die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft werden. Da bleibt doch die Frage: Was haben denn diese Parteien in der Vergangenheit so gemacht, und was machen sie jetzt in Bonn - zum Beispiel die CDU als Regierungspartei, mit Helmut Kohl als dem Repräsentanten eben jener Vergangenheit an der Spitze? Sie kann eine offene Diskussion über eine neue Politik im Moment wohl kaum ernsthaft führen. Der Mechanismus ist immer derselbe. Am Ende fehlt der Mut, Kritik an Helmut Kohl von unten nach oben durchzureichen und den Kanzler der Einheit in die Wüste zu schicken. Die Ikone Kohl bleibt, und in hehrer Vasallentreue folgen ihm seine Parteifreunde bis zum Ende.

Das Dilemma der Kohl-CDU
Nach den letzten Wahlergebnissen in den neuen Bundesländern herrscht in der CDU Krisenstimmung, Panorama berichtet 1998.

Über den selbstverordneten Stillstand in der CDU berichten Christoph Lütgert und Klaus Scherer.

KOMMENTAR:

CDU-Wahlquartier in Magdeburg Sonntagabend. Böse Ahnungen, nervöses Warten. Dann das Ergebnis. Entsetzen über das Debakel. Die Schuld daran, das sagen später viele hier, ist auch in Bonn zu suchen - bei Helmut Kohl, der einfach keine Macht abgeben will.

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"... Man muß schon mit den Leuten diskutieren, dann immer offen eine Meinung sagen, ... die CDU können wir wählen, wenn bloß einer von den Großen da oben weg wäre."

"Also ich denke mal, daß der Generationswechsel verschlafen worden ist. Ich persönlich hätte es sicherlich, wenn ich in Kohls Stelle gewesen wäre, sinnvoller gefunden, im Höhepunkt des Erfolges auf den Altenteil zu gehen und nicht dann möglicherweise mit dem Risiko einer Wahlniederlage jetzt leben zu müssen. Aber das ist ja eine alte Erfahrung, daß Politiker nie wissen, wann sie aufhören sollen."

KOMMENTAR:

Zur selben Zeit in Bonn. Man sieht es ihm nicht an, die CDU hat gerade eine Wahl verloren, doch Parteigeneral Peter Hintze strahlt, wie er immer strahlt. Die Forderung aus Magdeburg nach einem Abgang Kohls hält er für Blödsinn, der Kanzler sei doch noch ganz frisch.

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PETER HINTZE:

(CDU-Generalsekretär)

"Helmut Kohl hat nicht nur Erfahrung, sondern er hat auch eine ganze Masse an politischer Kraft und an politischer Konzeptionsstärke, auf die viele Junge neidisch wären."

KOMMENTAR:

Doch auch Hintze selber geht vielen in der CDU längst auf die Nerven, auch in Magdeburg.

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INTERVIEWER:

"Glauben Sie, Hintze hat einen guten Job gemacht?"

ANTWORT:

"Ich denke mal, daß er in seiner Position etwas überfordert ist."

INTERVIEWER:

"Noch etwas, was wir auch gehört haben, der CDU-Generalsekretär sei sichtlich überfordert."

ANTWORT:

"Ja, ein solches unfreundliches Fehlurteil möchte ich heute abend nicht kommentieren."

INTERVIEWER:

"Gibt es für Sie irgendwelche Konsequenzen?"

ANTWORT:

"Sehe ich keinen Anlaß."

KOMMENTAR:

Einer, der die Kritik von unten ernster nehmen muß, ist Hartmut Büttner. Er ist CDU-Bundestagsabgeordneter, die Leute hier in Magdeburg gehören zu seinem Wahlkreis. Den Unmut seiner Basis kann er verstehen.

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HARTMUT BÜTTNER:

(CDU-MdB)

"Ich hoffe, daß wir jetzt lernen in der nächsten Zeit, daß wir wirklich uns zu den eigenen Fehlern bekennen und sie auch offen ansprechen. Ich werde das Meine dazu tun."

KOMMENTAR:

Schminken für den Aufstand. Montagfrüh in Bonn. Büttners Fraktionskollege Peter Altmaier will sich trauen. Offen und öffentlich wirbt er für einen Wechsel von Helmut Kohl zu Wolfgang Schäuble.

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PETER ALTMAIER:

(CDU-MdB, Interview Deutsche Welle)

"Ich habe den Eindruck, daß die Menschen das Bedürfnis nach Veränderung haben, sie empfinden den augenblicklichen Zustand als Stillstand. Es ist nach 16 Jahren nicht so einfach klarzumachen, daß man für Veränderung steht. Es geht nur, wenn wir uns zu klaren Konzepten durchringen, wenn wir einen anderen Politikstil praktizieren, so wie Wolfgang Schäuble das mit seinem Wahlprogrammentwurf übrigens auch versucht hat."

KOMMENTAR:

Das schlägt ein. Den ganzen Tag über Telefon- und Fernsehinterviews. Noch hofft Altmaier, daß andere Parteifreunde mitziehen.

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PETER ALTMAIER:

(Interview NDR Fernsehen)

"Richtig ist, daß Wolfgang Schäuble in den vergangenen beiden Jahren derjenige war, der die großen Reformvorhaben, Steuerreform, Reform der inneren Sicherheit, konzipiert hat, der sie auch zum Teil durchgesetzt hat. Und viele Menschen mit ihm eigentlich - sie erwarten, daß ein neuer Politikstil praktiziert wird."

"Das ist keine Illoyalität, ich glaube, das braucht die CDU auch, wenn sie aus ihrem derzeitigen Stimmungstief herauskommen will."

KOMMENTAR:

Derweil ist Büttner noch in seinem Wahlkreis unterwegs, um wenigstens für sich und die Bundestagswahl im Herbst das Schlimmste abzuwenden. In einer Gegend im Wandel, mit bis zu 29 Prozent Arbeitslosigkeit. Erster Ortstermin: das Altenheim Burghof.

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"Wir begrüßen den Bundestagsabgeordneten Herrn Büttner, herzlich willkommen."

KOMMENTAR:

Jeden Tag Wahlkampf, jetzt um so mehr.

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HARTMUT BÜTTNER:

"Ich heiße Büttner, sitze im Deutschen Bundestag für Sie."

FRAU:

"Gesehen habe ich Sie schon."

HARTMUT BÜTTNER:

"Ich war oft schon im Burghof, sehr oft. Es ist auch toll, daß sich das jetzt so positiv für Sie verändert, die Hoffnung in der Zukunft ..."

KOMMENTAR:

Andere denken nicht so positiv. Sogar von den Alten kommt Kritik am Bonner Stillstand.

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MANN:

"Ich finde, frischer Wind müßte etwas eher reinkommen."

FRAU:

"Der Kohl, der hat doch so eine Macht, ... Macht zu halten, um seine Macht zu halten, das hat doch gar nicht so schnell einer. Dem sind ja mehr oder weniger alle verfallen."

KOMMENTAR:

Die Kohl-Kritik aus Bonn des CDU-Abgeordneten Altmaier läuft inzwischen über die Nachrichten-Agenturen. Auch Büttner ist noch ziemlich angetan.

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HARTMUT BÜTTNER:

"Richtig ist, daß wir tabulos über uns sprechen müssen, das ist sehr richtig. Also ich kann einen Großteil dieser Aussagen unterschreiben."

KOMMENTAR:

Doch in Bonn steht längst fest: Nichts darf sich ändern. Kohls Machtmaschine läuft wie geschmiert. Als der CDU-Vorstand zusammenkommt, wird das Debakel lässig weggeredet, schließlich habe man es doch vorausgesehen.

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RAINER EPPELMANN:

"Wenn ich ganz ehrlich bin, muß ich Ihnen sagen, daß ich darüber überhaupt nicht verwundert bin, sondern das erwartet habe."

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BERND SEITE:

"Also wissen Sie, in Sachsen-Anhalt hätten wir auch von der Union Arnold Schwarzenegger in den Wahlkampf schicken können."

KOMMENTAR:

Also weiter mit Helmut Kohl? Manche Antwort weniger begeistert als verräterisch. Loyalität als Sachzwang.

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RAINER EPPELMANN:

"14 Tage vor Zielankunft sollte man die Lokomotive nicht mehr wechseln. Wenn, dann hätten wir uns das vorher überlegen müssen."

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BERND SEITE:

"Am Berg, wissen Sie, da wechselt man die Pferde nicht und in der Furt schon lange nicht."

KOMMENTAR:

In der mit Spannung erwarteten Vorstandssitzunng wagt nur noch einer, Helmut Kohl den Abgang nahezulegen - chancenlos. Wenig später verläßt Heiner Geißler vorzeitig den Saal.

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HEINER GEISSLER:

(stellv. Fraktionsvors. CDU)

"Ich habe nur gesagt, die Verantwortung für die Personalentscheidung liegt bei Helmut Kohl. Ich habe immer vertreten, man kann nichts gegen oder ohne ihn machen. Diese Verantwortung lastet auf ihm, er muß sie tragen."

KOMMENTAR:

Auch in Sachsen-Anhalt hat der Schock über die Wahlpleite schon nachgelassen. Mitglieder des Landesvorstands vor der Sitzung, in Bierlaune. Was gestern noch wehtat, ist wie weggespült. Allein, daß keiner fehlt, gilt als Erfolg.

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KARL HEINZ DAEHRE:

(CDU-Landesvorsitzender)

"Ich sehe, daß wir wahrscheinlich heute auch vollzählig alle da sind. Daran sieht man, daß die Union auch weiterhin kampfesbereit ist und keine Resignation zu verzeichnen ist."

KOMMENTAR:

Hartmut Büttner ist noch bis halb zwölf geblieben, dann mußte er zum Bahnhof. Nachtzug Richtung Bonn. Morgen ist Fraktionssitzung der Union im Bundestag. Büttner wird, vor Kohl, der erste Redner sein, und er hat Kritik an Kohl: Einen Machtwechsel in der Partei hätte er begrüßt.

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HARTMUT BÜTTNER:

"Wenn das vom Bundeskanzler selbst notiert worden wäre, dann wäre es eine ganz hervorragende Situation. Ich hielte es persönlich für einen Fehler, einen Nachfolger schon zu benamen, ohne zu sagen, ab wann der Nachfolger dann im Amt sein wird. Nichts ist schlimmer, als Kandidat in spe."

KOMMENTAR:

Dienstagnachmittag: Fraktionssitzung. Letzter Akt des Versuches einer Kritik an Helmut Kohl. Die Lage kann noch so ernst sein - sowas endet wie immer: Den schiebt keiner weg. Opponent Peter Altmaier bleibt allein, wird sich nicht mal mehr zu Wort melden. Heiner Geißler ist gar nicht erst gekommen. Und Hartmut Büttner, weit weg von der heimatlichen Basis, wird gleich seine Rede halten, mit artigem Lob für den Kanzler, sich bedanken für dessen gewaltigen Einsatz in Sachsen-Anhalt. Schon zwei Stunden später: alles vorbei - wie immer in Harmonie.

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PETER ALTMAIER:

"Es geht der Appell jetzt an alle, daß sie sich dieser breiten Mehrheit anschließen, und das gilt selbstverständlich auch für mich, und das werde ich in den nächsten Wochen und Monaten auch so praktizieren."

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INTERVIEWER:

"Was ist von der Kritik an Hintze, von der Kritik an Kohl, soweit wir sie im Vorfeld gehört haben, geblieben?"

HARTMUT BÜTTNER:

"Die ist von mir nie geäußert worden."

HELMUT KOHL:

"Sehr gut, gehen Sie rein."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Gute Stimmung, durchgesetzt mit aller Macht.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 30.04.1998 | 21:00 Uhr