Roboter-Insekten und Mini-Raketen - Neue Waffen für den Mikro-Krieg

von Bericht: Klaus Scherer

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Die Bombardements im Irak sind der Welt zunächst erspart geblieben. Saddam Hussein wird keine Lektion erteilt, allerorten Erleichterung über einen erstmal vermiedenen Krieg. Das dafür angehäufte und aufgefahrene hochtechnisierte Waffenarsenal bleibt zunächst noch unbenutzt. Der irakische Diktator kann und wird weiter an den biologischen und chemischen Waffen bauen, aber auch die USA werden Neues im Marschgepäck haben, zum Beispiel Waffen so groß wie Insekten.

Neue Waffen für den Mikro-Krieg
Eine Reportage von 1998 über die Entwicklung von Mikro-Waffensystemen in den USA.

Klaus Scherer hat sich in amerikanischen Geheimlabors umsehen können. Er hat sich mit den neuen Mini-Killern beschäftigt.

KOMMENTAR:

Abwehrfeuer am Himmel über Bagdad, Abwehr gegen amerikanische Luftangriffe. So begann der Golfkrieg 1991. Die wichtigste Waffe der Amerikaner waren damals sogenannte intelligente Marschflugkörper. Sie fliegen, so erklärten die Militärs, zuerst in ein Gebäude hinein und sprengen es dann von innen.

Inzwischen arbeiten Amerikas Rüstungsforscher jenseits der Golfkrise an einer neuen Generation intelligenter Flugobjekte. Am Himmel sehen sie noch aus wie Ufos oder wie ganz normale Vögel. Am Ende sollen sie so winzig sein, daß keiner sie mehr sieht. Prototypen einer Elektronikfirma in Simy Valley, Kalifornien. Was von nahem betrachtet eher an Hobbybastler erinnert, ist ein kleiner Teil der Luftwaffe von morgen, ausgestattet mit hochsensiblen Kameras für eine bisher unbekannte Art von Kriegführung.

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MATTHEW T. KEENON: (Übersetzung)

(Aero Vironment Inc.)

"In Situationen wie in Bosnien zum Beispiel, in Städten, wo es eine Menge Häuserkämpfe gibt, da können solche Flugzeuge vielleicht einmal Aufklärungsflüge machen. Die können in umkämpften Gegenden direkt über den Dächern fliegen oder durch enge Straßen hindurch und um die Ecken schauen."

KOMMENTAR:

Ein Blick in die Firmenwerkstatt. So wie hier arbeiten an dem Waffenprojekt mehrere hundert Forscher in den USA. Allein für die Startphase der Mikroflugzeug-Entwicklung zahlt das Pentagon 40 Millionen Dollar. Das ist die Kamera, die die Kleinflieger an Bord haben. Testobjekt Labortisch - die Bilder sind erstaunlich scharf. Bei Nachtflügen sendet das Gerät auch Infrarotbilder, alles empfangbar über eine Computer-Brille. Später einmal soll jeder Soldat so seinen Flieger mit sich tragen. Arbeitstitel: Schwarze Witwe - "black widdow".

Wie weit Amerikas Waffenbauer genau sind, ist Staatsgeheimnis. Doch bei der renommierten Rand Corporation in Los Angeles ist man bereit, uns den Krieg der Zukunft etwas zu erläutern. Ein Rüstungsfachmann, sichtlich belesen, spricht von einer Revolution der Wehrtechnik.

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BRUNO AUGENSTEIN: (Übersetzung)

(Rand Corporation)

"Der einzelne Soldat kann 5, 10, 20 Kilometer von den Zielobjekten entfernt sein. Er fliegt sein Mikroflugzeug zu den Gebäuden und kundschaftet sie aus. Das Flugzeug ist so klein, daß keiner dort etwas davon bemerkt, und er ist weit genug weg, damit ihn keiner sieht."

KOMMENTAR:

Das sei das Spähauge eines Modells vom Lincoln Labor, einer der wichtigsten Rüstungsadressen Amerikas. Doch die Militärs wollen offenbar noch mehr.

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BRUNO AUGENSTEIN: (Übersetzung)

"Das war der nicht tödliche Teil, aber wir können so auch tödliche Dinge transportieren, wenn wir das wollen. Ich kann Ihnen zum Beispiel Mikroraketen zeigen, die entweder Betäubungsmittel enthalten können oder letztlich auch wirken können wie eine Gewehrkugel. Sie müssen letztlich klein genug sein, um durch die üblichen Lücken zu fliegen. Das ist der Grund, warum wir diese Objekte immer noch kleiner machen wollen."

FRAGE:

"Was meinen Sie mit üblichen Lücken, die Klimaanlage?"

BRUNO AUGENSTEIN: (Übersetzung)

"Die Klimaanlage oder der Spalt unter der Tür oder kleine Fensterritzen. Oder das Flugzeug fliegt unbemerkt durch die geöffnete Tür, wenn gerade jemand hineingeht."

Originalbilder "Der Wüstenplanet"

KOMMENTAR:

Die Waffe, die durchs Schlüsselloch fliegt. Bisher kam sie nur in Science Fiction-Filmen vor. Leise und intelligent, ein Mini-Killer, der sich sein Opfer selber sucht - am Ende gar als unsichtbare Mikro-Waffe. Und im Visier hätte sie mehr als feindliche Soldaten.

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BRUNO AUGENSTEIN: (Übersetzung)

"Die Idee ist, daß man damit Mikroorganismen transportiert, die beispielsweise Elektrokabel in Schaltanlagen auffressen und sie dadurch lahmlegen. Man könnte sie so an strategisch wichtigen Stellen aussetzen."

KOMMENTAR:

Das Vorbild der Waffenbauer, das gibt er uns noch mit auf den Weg, das seien die Insekten. Sie nachzubauen, als Kleinst-Roboter, als "Microbots", wie es im Internet heißt, das sei das Ziel.

Zum Beispiel hier, an der Universität von Nashville, Tennessee. Dieser Forscher ist Bio-Ingenieur. Er soll, abgeleitet von natürlichen Modellen, die Roboter-Insekten bauen. Auch das ist ein Projekt des Pentagon. Ein Millionenetat steht bereit, Krabbeltiere für die Militärs.

Originalbilder "Starship Troopers"

KOMMENTAR:

Auch das erinnert mehr an Kino als an ein ernstgemeintes Kriegsszenario. Doch wenn man sich die Trickmonster hier verkleinert vorstellt, ist man schon nah am Plan der Vordenker.

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MICHAEL GOLDFAR: (Übersetzung)

(Nashville University)

"Die Insekten, an denen wir arbeiten, sind zwar bestimmt leichter zu zertreten als die in dem Film, aber wenn man sie zu Tausenden aussetzt und sie fliegen können, wird es sicher auch schwer sein, sie loszuwerden.

KOMMENTAR:

Ortswechsel zum Technologischen Institut in Pasadena, ein weiteres Experimentierlabor mit Pentagonaufträgen, obwohl der Professor hier lieber von Grundlagenforschung spricht. Was er uns am Monitor zeigt, heißt "Micro Bat", Mikro-Fledermaus. "Vielleicht bald das erste gebaute Flugobjekt mit schwingenden Flügeln," sagt er. "Wir hoffen sehr, daß bald Batterien auf dem Markt sein werden, die leichter sind als ein Gramm oder vielleicht auch Turbinen. Dann können wir noch weitaus kleiner werden als diese zehn Zentimeter."

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PROF. YU-CHONG TAI: (Übersetzung)

(California Institute of Technology)

"Da gibt es Möglichkeiten, ohne jetzt tiefer nachzudenken, daß wir am Ende so etwas wie künstliche Moskitos haben, die chemische Substanzen mitführen, den Gegner töten oder betäuben. Solche Dinge sind vielleicht irgendwann möglich."

FRAGE:

"Das hieße, der Moskito sticht auch?"

PROF. YU-CHONG TAI: (Übersetzung)

"Ja, er kann stechen."

KOMMENTAR:

An jenen superleichten Zutaten, die den US-Forschern noch fehlen, wird außerhalb der Rüstungsindustrie bereits getüftelt. Dieses Mikro-Auto etwa, entwickelt in Japan, ist so klein wie eine Ameise - derzeit noch ein Werbegag.

Ebenso wie dieser Mini-Hubschrauber, eine deutsche Messe-Erfindung des Instituts für Mikrotechnik in Mainz. Auch er hängt zwar noch am Kabel, fliegt aber mit Motoren, die so gut wie nichts mehr wiegen. Entwickelt für zivile Zwecke, in Medizin und Umweltschutz. Rüstungsaufträge werden hier bewußt abgelehnt, schon aus moralischen Gründen. Doch auch friedliebende Erfinder, die die Technik weiter verfeinern, können nicht verhindern, daß das Militär sich irgendwann bedient. Anfragen gab es schon, nach Schalttechniken und so weiter.

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PROF. WOLFGANG EHRFELD:

(Institut für Mikrotechnik Mainz)

"Wir werden dann mit Begriffen konfrontiert wie intelligenter Munition, und das interessiert uns auch nicht, und da machen wir nichts."

KOMMENTAR:

Glaubt man Experten in Washington, werden moralische Bedenken wohl das letzte sein, was die neue Waffengeneration aufhält. An der National Defense University lehrt man inzwischen, daß der Krieg von morgen weltweit nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld stattfindet, sondern eben in den Mikrowelten. Je mehr eine Gesellschaft ihren Alltag über Computernetze steuert, heißt es hier, desto anfälliger ist sie dann für Störungen und Kurzschlüsse, für Angriffe durch Mikrowaffen.

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PROF. DANIEL KUEHL: (Übersetzung)

(National Defense University)

"Das hat zur Folge, daß da eine ernsthafte Bedrohung heranwächst, daß kritische Infrastrukturen, also zum Beispiel Stromversorgung, Kommunikationssysteme, Banken, daß diese Systeme unterwandert oder zerstört werden könnten. Bisher wird das kaum erkannt.. Das heißt, wir müssen besser erforschen, wie wir uns schützen können, und unsere Bevölkerung und unsere Regierungen über die Bedrohung aufklären."

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Das sind die Vereinigten Staaten, das hat mit uns hier in Deutschland nur wenig zu tun? Das Bundesverteidigungsministerium hat bereits eine Studie in Auftrag gegeben mit dem Titel: "Prognose des wehrtechnischen Potentials der Mikrosystemtechnik". Im Sommer soll ein Ergebnis vorliegen. Das sind die Waffen von morgen - auch hier bei uns.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.02.1998 | 21:45 Uhr