Nervengift im Kaufhaus - Chemiekonzernen droht neue Prozesslawine

von Bericht: Ralf Dörwang und Christian Kossin

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

In mehr als der Hälfte aller Haushalte werden Schädlingsbekämpfungsmittel versprüht, das hat eine Umfrage ergeben. In der Spitzengruppe der häuslichen Gifte gegen Mücken, Schaben und Wanzen rangieren sogenannte Pyrethroide. Sie werden auch in Kaufhäusern und Gaststätten benutzt - ein Massenmittel, das gerne auch als "naturnah" vermarktet wird. Daß Pyrethroide nicht nur akute, sondern auch chronische Krankheiten fördern, das galt als offenes, aber nicht zu belegendes Geheimnis. Zum ersten Mal gibt es jetzt bei einer Staatsanwaltschaft ein eindeutiges Gutachten, das den Zusammenhang zwischen Krankheit und Chemokeule herstellt.

Über die Gifte mit fatalen Nebenwirkungen Ralf Dörwang und Christian Kossin.

Pyrethroiden: Nervengift im Kaufhaus
Gutachten belegen Gesundheitsschäden durch den Einsatz von Pyrethroiden als Schädlingsbekämpfungsmittel.

KOMMENTAR:

Ein Kammerjäger und sein Werkzeug. In dieser Großküche gibt es ein Schädlingsproblem und das will der Mann mit der chemischen Keule lösen. Im Giftkrieg gegen Kakerlaken schützt der Profi sich gründlich gegen sein Mittel - sterben soll schließlich nur das Insekt. Mit seinen Giften kommt er da besser nicht in Berührung. Sie heißen zwar Insektizide, doch grundsätzlich sind es Stoffe, die geeignet sind, jegliches Leben zu vernichten.

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DR. OLAF HOSTRUP:

(Toxikologe)

"Die meisten von denen, die dort in der Anwendung sind, machen das in Form eines Nervengiftes. Und diese Nervengifte wirken prinzipiell eben nicht nur bei Insekten, sondern auch beim Menschen."

KOMMENTAR:

Nach einer Studie der Universität Oldenburg gilt das auch für die weit verbreiteten Pyrethroide. Weil ein ähnlicher Wirkstoff in Chrysanthemen vorkommt, galten diese synthetischen Gifte lange als harmlos - zu Unrecht, wie die Studie zeigt. Die chemische Industrie möchte sich vor der PANORAMA-Kamera lieber nicht zu ihrem Lieblingsgift äußern. Die Standardbotschaft per Fax: Pyrethroide sind für Menschen völlig ungefährlich.

Heike-Ellen Wandner haben die angeblich "harmlosen" Pyrethroide die Gesundheit ruiniert. Mehrere Ärzte bescheinigen ihr Organschäden, Nervenleiden, Allergien. Ständig muß die Asthmatikerin mit Erstickungsanfällen rechnen. Sie ist berufsunfähig. Ursache: eine Pyrethroidvergiftung am Arbeitsplatz. Im Kaufhof Hannover bediente sie am Pralinentresen. Dort wimmelte es von Ungeziefern.

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HEIKE-ELLEN WANDNER:

(Pyrethroid-Geschädigte)

"Man hat dann gesprüht, am Anfang waren die Kammerjäger. Dann hat der Vorgesetzte zur Giftflasche gegriffen und hat gesprüht, die Hausverwaltung hat obendrauf gesprüht. Man hat Verneblungsautomaten aufgestellt, es wurde Pulver ausgestreut in meinem Tresen. Es hat bestialisch gestunken da drin."

KOMMENTAR:

Der Kaufhof verweigert jede Stellungnahme zu dem Fall. Damals wie heute interessieren die Leiden von Frau Wandner dort offenbar nicht.

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HEIKE-ELLEN WANDNER:

"Ich habe stechende Kopfschmerzen gekriegt, Übelkeit, Herzrasen, ich hatte richtige Herzkrämpfe. Dann habe ich Haarausfall bekommen, Sehstörungen, und ich leide heute noch unter Krämpfen, im ganzen Körper Schmerzen, Schwindel, Durchblutungsstörungen im Gehirn."

KOMMENTAR:

Lange wurden Pyrethroid-Opfer als Spinner abgestempelt. Niemand wollte anerkennen, daß das Insektengift chronische Gesundheitsschäden verursachen kann. Die Staatsanwaltschaft Hannover geht im Fall Wandner erstmals vom Gegenteil aus. Sie ermittelt wegen fahrlässiger Körperverletzung.

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ANGELIKA GRESEL:

(Staatsanwaltschaft Hannover)

"Wir haben mit zwei von einander völlig unabhängigen Gutachten, wobei ein Gutachten von uns eingeholt worden ist und ein Gutachten von der Anzeigeerstatterin selber beigebracht wurde, die Ursächlichkeit zwischen dem Einsatz der Pyrethroide und der Erkrankung von Frau Wandner im wesentlich belegen können. Beide Gutachter kommen unabhängig von einander zu dem Ergebnis, daß es sich um eine chronische Erkrankung der Anzeigeerstatterin handelt."

KOMMENTAR:

Doch da widerspricht der faxende Industrieverband der Justiz entschieden: Pyrethroide verursachen keinerlei chronische Erkrankungen.

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ANGELIKA GRESEL:

"Ich kann nur noch mal betonen, daß unsere Ermittlungen, bezogen auf unsere Anzeigeerstatterin, ein anderes Ergebnis erbracht haben."

KOMMENTAR:

Die Parallele zu den Holzschutzmittelverfahren Anfang der neunziger Jahre drängt sich auf. Auch hier hatten Strafverfahren Konsequenzen für die Schadenersatzpflicht der Chemiekonzerne. Nun sehen Umweltstrafrechtler eine neuen Prozeßlawine auf sie zurollen.

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DIETER KUKBLITZ:

(Rechtsanwalt)

"Im Bereich der Pyrethroide kann man davon ausgehen, daß eine große Zahl - ich rechne mit mehreren Tausend Geschädigten - ihre Ansprüche dann auch geltend machen wird, und zwar sowohl gegen die Anwender dieser pyrethroidhaltigen Mittel als auch gegen die Hersteller."

KOMMENTAR:

Ein Pyrethroid-Opfer, das bereits auf Schadenersatz klagt, ist Gudrun Plank. Sie hat sich mit dem Insektizid in ihrer früheren Wohnung vergiftet. Ihre Katze hatte Flöhe ins Haus geschleppt, und auch sie selbst wurde von den Blutsaugern attackiert. Ihr Tierarzt gab ihr ein pyrethroidhaltiges Flohspray. Die Gebrauchsanweisung war simpel: Einfach sprühen und dann lüften.

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GUDRUN PLANK:

(Pyrethroid-Geschädigte)

"Ich sollte ja alles aussprühen, wo die Katze war. Da hab' ich das Sofa ausgesprüht, später dann auch meine Matratze, das Federbett, als ich nachts merkte, die kommen aus diesem Federbett raus. Die Katze hatte sich auch im Schrank versteckt, die Flöhe kamen mir aus meinen Sachen entgegen, und ich dachte, ach prima, wenn das durch Lüften rausgeht, dann sprühe ich die Sachen und lüfte sie."

KOMMENTAR:

Nach dem Gifteinsatz erkrankte Frau Plank schwer. Ihr Verdacht fiel anfangs nicht auf das Flohmittel, erst eine amtliche Analyse brachte Klarheit.

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GUDRUN PLANK:

"Schließlich wurden Luftproben und Staubproben und Wischproben genommen, und das hat sich bestätigt, daß die Wohnung pyrethroidverseucht ist. Und hinterher hieß es, kann ich Ihnen nur allgemein sagen aus dem Gutachten, daß noch jahrelang eben niemand in dieser Wohnung leben könnte, wenn sie nicht saniert wird."

KOMMENTAR:

Frau Plank blieb keine Wahl. Auf eigene Kosten mußte sie ihren verseuchten Hausrat entsorgen und die ganze Wohnung sanieren lassen.

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DR. OLAF HOSTRUP:

(Toxikologe)

"Gerade die sogenannten Langzeit-Pyrethroide, namentlich das Permethrin, verhalten sich in Innenräumen ausgesprochen stabil und sind in der Regel mit normalen Haushaltsreinigern auch nicht von Oberflächen zu entfernen, bzw. sie kommen auch aus dem Material wieder heraus. Also selbst wenn man eine Oberfläche dekontaminiert, wie wir sagen, dann kann es durchaus sein, daß sie eben nach einer gewissen Zeit wiederum belastet ist."

KOMMENTAR:

Im Staub jedes zweiten Haushalts haben die Oldenburger Toxikologen Pyrethroide gefunden, in alarmierend hoher Konzentration. Ursache: der massenhafte Einsatz von pyrethroidhaltigen Insektensprays. Laut Packungsaufdruck sind sie überall bedenkenlos einsetzbar. Viele Anwender glauben, was frei verkäuflich ist, das ist geprüft und ungefährlich. Und wer die Finger von den Sprays läßt, der bekommt sein Nervengift aus Wollsiegelteppichen. Gegen Mottenfraß mit Pyrethroiden imprägniert gasen sie das Gift aus. Die schleichende Vergiftung deutscher Haushalte sollte eigentlich längst gestoppt sein. Seit Jahren liegt ein entsprechender Verordnungsentwurf auf dem Tisch.

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ANGELICA SCHWALL-DÜREN:

(SPD-Bundestagsabgeordnete)

"Bis heute ist diese Verordnung nicht in Kraft gesetzt worden, und wir haben Informationen, daß die Blockade im Wirtschaftsministerium liegt, und müssen deshalb vermuten, daß dort nach wie vor das große wirtschaftliche Interesse der chemischen Industrie - es geht um Milliarden-Geschäfte - hier im Vordergrund steht."

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Das Wirtschaftsministerium wollte uns dazu natürlich nichts sagen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 15.01.1998 | 21:00 Uhr