Mafia in Deutschland - Morddrohungen gegen Ermittler

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Ein anderes beliebtes Thema ist Kriminalität und deren Bekämpfung. "Mehr Sicherheit" steht auf Wahlplakaten, tönt es in Reden und Versprechungen, immer verbunden mit schwärzesten Prophezeiungen, sollte das jeweils andere Lager an die Macht kommen bzw. dort bleiben. Vor Monaten berichteten wir über einen renommierten Geschäftsmann, der im Edel-Kurort Baden-Baden verhaftet wurde. Kronzeugen sagen über ihn, er sei einer der letzten großen Mafiabosse. Ein schöne Erfolg gegen das organisierte Verbrechen. Heute war sein zweiter Tag vor Gericht. Doch unsere Recherchen werden jetzt ein anderes Licht auf die Ermittlungsbehörden. Das Bundeskriminalamt weicht nämlich plötzlich vor der Mafia zurück, so scheint es. Mehr Sicherheit ist da selbst in Wahlkampfzeiten wohl nicht mehr so wichtig.

Mafia in Deutschland: Morddrohungen gegen Ermittler
Erstmals ist das Bundeskriminalamt gegenüber einer Drohung durch die italienische Mafia zurückgewichen

KOMMENTAR:

Erst das Polizeigeleit, dann gepanzerte Luxuslimousinen. Ein Angeklagter wird zum Gerichtsgebäude gefahren, versteckt hinter abgeblendeten Scheiben. Spezialisten suchen mit Sprengstoff-Spürhunden Autos ab, die in der Nähe geparkt sind. Draußen patrouillieren schwerbewaffnete Polizisten. Die hohen Sicherheitsvorkehrungen in Baden-Baden gelten dem Prozeß gegen diesen Mann: Sabatino Ciccarelli. Ein Mafiaboß, so beschreibt ihn die Anklage, der 1995 zwei Morde geplant habe. Ein harmloser Geschäftsmann, so sieht ihn die Verteidigung, der vor 15 Jahren aus der Mafia ausgestiegen sei und sich nur aus Imponiergehabe eine Waffe besorgen ließ.

0-Ton

STEFFEN UFER:

(Rechtsanwalt)

"Wir haben einen früheren Camorrista, der inzwischen zu einem Wichtigtuer degeneriert war und leider ein Opfer seiner eigenen Sprüche und des Verfolgungseifers des BKA und auch der Hysterie in Deutschland geworden ist."

KOMMENTAR:

Eine psychiatrische Sachverständige soll für die Verteidigung prüfen, ob der vermeintliche Mafiaboß nur ein neurotischer Wichtigtuer sei. Ihr Auftrag lautet, zu untersuchen, ob:

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ANNETTE GERLACH:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

" Ich zitiere jetzt vielleicht am besten, `daß der Angeklagte von kleinem Wuchs ist und er aufgrund einer Reihe frühkindlicher Erlebnisse eine massive neurotische Fehlentwicklung durchgemacht hat."

INTERVIEWER:

"Und ist er das, hat er das?"

ANNETTE GERLACH:

"Er ist für einen Neapolitaner durchaus normalwüchsig, zumindest nicht außerordentlich, besonders klein. Ich konnte auch keinerlei frühkindliche Erlebnisse explorativ bei ihm feststellen, so daß ich zu dem Schluß gekommen bin, daß er strafrechtlich voll verantwortlich ist."

KOMMENTAR:

So klein der mutmaßliche Mafiaboß, so groß die Waffe, die er aus Belgien beschaffen ließ. Ein "Ding, das keinen Krach macht", das hatte Ciccarelli bestellt. Der vermeintliche Prahlhans orderte eine Killerwaffe, an der alle Erkennungsmerkmale getilgt waren.

Als Killer wird Ciccarelli von italienischen Mafia-Kronzeugen bezeichnet. So habe er in den siebziger Jahren kaltblütig zwei Drogenkuriere erschossen. Seit wenigen Tagen gibt es einen neuen italienischen Kronzeugen, der Ciccarelli schwer belastet. Ciccarelli sei eine Art "Chefbuchhalter" innerhalb der Mafia gewesen, habe bis in jüngste Zeit von Deutschland aus "Kontakte zur Camorra gesucht". Und kurz vor seiner Flucht nach Deutschland habe er "zwei Männer mit Schlafmitteln betäubt und anschließend eigenhändig erwürgt". Hier werde nur ein Popanz aufgebaut, sagt die Verteidigung. Nur ein Popanz?

Während Anwälte und Richter sich zu Beginn des Prozesses bereitwillig filmen lassen, bleibt ein Stuhl leer.

Wieder fahren zwei gepanzerte Limousinen am Gerichtsgebäude vor. Diesmal wird der Staatsanwalt gebracht. Er wird das Gericht in Begleitung von Leibwächtern betreten, dann, wenn alle Kameras aus dem Saal sind.

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PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Es gibt eine Bedrohung gegenüber dem ermittelnden Staatsanwalt. Über die Art dieser Bedrohung möchte ich mich nicht äußern, aber es ist eine Gefährdungslage da."

KOMMENTAR:

Nach PANORAMA-Recherchen erhielt der Staatsanwalt bereits im März letzten Jahres einen anonymen Brief. Darin wird ihm angekündigt, ihn "in die Luft zu jagen", wenn er weiter gegen die Camorra ermittle. Man wisse alles über ihn, und es wird gedroht, den Hauptbelastungszeugen "wie einen Hund abzuschlachten". Und das ist noch nicht alles.

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INTERVIEWER:

"Ist es richtig, daß weitere Personen bedroht werden?"

PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Ja."

INTERVIEWER:

"Können Sie sagen wer?"

PETER ZIMMERMANN:

"Nein."

KOMMENTAR:

September letzten Jahres. Nach zweijährigen Ermittlungen wird Sabatino Ciccarelli in Baden-Baden von Beamten des Bundeskriminalamtes verhaftet. Wenige Monate später erhält das BKA nach PANORAMA-Recherchen eine Warnung, der federführende Beamte - hier unkenntlich gemacht - sei bedroht: seine Arbeit könne - Zitat - "tödlich enden". Wenig später melden italienische Behörden, daß die neapolitanische Camorra "Informationen über die Dienstreisen des Beamten" gesammelt habe. Das BKA sieht seinen eigenen Beamten so stark gefährdet, daß es einen ungewöhnlichen Entschluß faßt: Er wird im Frühjahr von den weiteren Ermittlungen in Sachen Ciccarelli abgezogen - gegen seinen Willen und auch gegen den Wunsch der zuständigen Staatsanwaltschaft.

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PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Ich möchte zu den internen Personalangelegenheiten des Bundeskriminalamtes hier keine Stellungnahme abgeben und dies nicht öffentlich kommentieren."

KOMMENTAR:

Aber intern wird es als Einknicken vor der Mafia kommentiert. Ein solches Nachgeben hat es noch nie gegeben. Dieser Stuttgarter Staatsanwalt wurde auch schon von der Mafia bedroht. Ein Rückzug aus den Ermittlungen wäre für ihn allerdings unvorstellbar.

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HELMUT KROMBACHER:

(Oberstaatsanwalt Stuttgart)

"An ein Herauslösen hat man noch nie gedacht. Das wäre ja auch ein Zurückweichen vor der Kriminalität, wenn allein die Bedrohung ausreicht, um bestimmen zu können, wer meinen Fall bearbeitet, das kann nicht wahr sein."

KOMMENTAR:

Im Verfahren gegen Sabatino Ciccarelli ist es aber wahr geworden. Zum ersten Mal ist eine Behörde gegenüber einer Bedrohung zurückgewichen. Der mutmaßliche Ciccarelli hat einen erfahrenen Strafverfolger weniger auf seiner Spur.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Das Bundeskriminalamt wollte zu diesem Vorwurf keine Stellung nehmen. Heute nachmittag hat es dann aber unsere Recherchen bestätigt. Der Staat weicht also zurück, seine Repräsentanten reden aber von mehr Sicherheit.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 17.09.1998 | 23:00 Uhr