Krebskranke Kinder beim Kernkraftwerk Krümmel - Das Desaster der Atomkritiker

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Das Atomkraftwerk Krümmel ist - besonders nach den jüngsten Schlagzeilen - zum Synonym für Krebs, genauer: für Leukämie bei Kindern geworden. Ich zitiere: "Krümmel läßt Anwohner zittern", "Hat Plutonium unsere Dachböden verseucht?", "Krümmel: Schuld an 21 Krebsfällen?". Die Neigung, das zu glauben, ist groß. Da gibt es nur ein Problem: Bisher konnte nicht schlüssig nachgewiesen werden, daß Krebs bei Kindern in der Elbmarsch tatsächlich durch radioaktive Stoffe des Atomkraftwerkes ausgelöst wurde. Die prominenteste und wohl auch hartnäckigste Anti-Atomkraft-Aktivistin ist die Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake. Niemand hat so viele Krümmel-Gutachten vorgelegt wie sie. Aber ihre Forschungsergebnisse, aus denen dann solche spektakulären Schlagzeilen gemacht werden, halten oft wissenschaftlicher Prüfung nicht stand. Atomkraft oder Kernkraft, wer sich mit diesem Thema - erst recht im Zusammenhang mit Krebs bei Kindern - beschäftigt, wird schnell zum Glaubenskrieger, und das verstellt bekanntlich den Blick. Darüber berichten Nicola von Hollander und Stephan Wels.

Krebskranke Kinder beim AKW Krümmel
Ein Bericht über die Ursachen gehäufter Leukämie-Erkrankungen in der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel.

KOMMENTAR:

Das ist Vincent. In Hamburger Spezialkliniken ist er fast ebenso zu Hause wie hier in Geesthacht, in direkter Nachbarschaft zum Kernkraftwerk Krümmel. Vor zwei Jahren erfuhr seine Mutter, daß Vincent Leukämie hat, eine eher seltene Krebsart. Nach intensiver Chemotherapie geht es Vincent heute wieder besser, aber geheilt ist er nicht, der Krebs kann jederzeit wieder ausbrechen.

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JUTTA ROCKER:

(Mutter)

"Man lebt eigentlich mit dem Tod, also man weiß eben halt, das Kind ist todkrank. Zwar haben wir die Chemo so weit jetzt hinter uns, daß wir jetzt alle vier Wochen nur noch in die Klinik brauchen, aber man weiß auch, daß genügend Kinder mit einem Rückfall wiederkommen und daß man noch lange nicht auf der sicheren Seite ist."

KOMMENTAR:

Hier in der Elbmarsch gibt es außergewöhnlich viele Leukämiefälle. Immer wieder wird das Atomkraftwerk verdächtigt. Acht Jahre folgt jedem Gutachten ein Gegengutachten. Die Wissenschaftler sind heillos zerstritten.

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JUTTA ROCKER:

"Also manchmal wundert mich das schon. Also ich sag' mir mal, ich mache eine wissenschaftliche Untersuchung, und da kann ich ja nicht zwei Ergebnisse haben. Also es kann ja nur entweder oder sein, entweder ist Krümmel dran schuld oder nicht."

KOMMENTAR:

Zuletzt war es vor drei Wochen mal wieder so weit.

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HÖRFUNKNACHRICHTEN

21.11.1998

"Hannover. Die Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel ist nach Ergebnissen einer neuen Studie radioaktiv belastet."

KOMMENTAR:

Die Nachricht machte Schlagzeilen. Wie schon so oft glaubte die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake, Beweise gegen das Kernkraftwerk zu haben.

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PROF. INGE SCHMITZ-FEUERHAKE:

(Physikerin Uni Bremen, 23.11.1998)

"Jetzt haben wir eben festgestellt, daß in den Häusern in altem Staub sich Plutonium befindet, und die Zusammensetzung und die Konzentration der Nuklide, die wir gemessen haben, zeigt, daß es nur aus dem Reaktor stammen kann."

KOMMENTAR:

Seit dieser Feststellung ist nicht nur die Pastorin der Gemeinde Elbmarsch verunsichert.

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INTERVIEWERIN:

"Frau Pastorin, wo hat man hier Hausstaubproben genommen?"

ELVIRA MIX-ROSENTHAL:

(Pastorin)

"Hier habe ich gesaugt. Wir haben einen neuen Staubsaugerbeutel in den Staubsauger getan und dann gesaugt. Mir macht es schon Sorgen, ja, also wirklich auch umgeben zu sein von kontaminiertem Staub, ja."

KOMMENTAR:

Daß die gefundenen Plutoniumwerte harmlos sind, hat ihr niemand gesagt, und auch aus dem Reaktor stammen die Spuren nicht, darin ist sich die Fachwelt überwiegend einig; das Plutonium kam über die Atmosphäre aus früheren Atomwaffenversuchen. Das meint auch ein ausgewiesener Atomkritiker und ehemaliger Mitstreiter der Professorin.

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GERALD KIRCHNER:

(Physiker Uni Bremen)

"Ich kann eindeutig, statistisch eindeutig ausschließen, daß dieses Plutonium aus dem Kernkraftwerk Krümmel emittiert ist."

KOMMENTAR:

Das Ende der Debatte dann in einer Fernsehdiskussion. Weinerlich versucht die Professorin, den Abtrünnigen als Feind aller Frauen in der Wissenschaft zu verunglimpfen.

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PROF. INGE SCHMITZ-FEUERHAKE:

"Man weiß es ganz genau, er ist tatsächlich ein Genie."

FRAGE:

"Warum?"

PROF. INGE SCHMITZ-FEUERHAKE:

"Er weiß es in zehn Minuten, er guckt zehn Minuten unsere Befunde an, dann weiß er das genau. Wir wissen, daß Männer intelligenter sind als Frauen, man sagt das heute nicht mehr so, man will sie schonen."

KOMMENTAR:

Hannover vor drei Wochen. Atomgegner demonstrieren im niedersächsischen Sozialministerium. Sie sind die Fangemeinde der sogenannten kritischen Wissenschaftlerin, Hilfstruppen in ihrem Kampf gegen die Atomlobby. Liebe Inge, bitte sei tapfer in deinem Kampf gegen den Goliath.

Hier will die Physikerin den Sieg erringen, als Mitglied der sogenannten Leukämie-Kommission. Diese Wissenschaftler sollen die Ursachen der Krankheitsfälle klären, aber immer wieder wird auch gezielt Politik gemacht.

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PROF. ERICH WICHMANN:

(Leukämie-Kommission Niedersachsen)

"Wenn man aus der Kernenergie aussteigen will, gibt es sicher gute Argumente dafür, und für mich ist das wichtigste Argument, daß die Bevölkerung diese Technologie nicht will. Es ist aber aus meiner Sicht nicht nur moralisch nicht vertretbar, sondern bringt auch nichts und geht als Schuß nach hinten los, wenn man die Leukämie-kranken Kinder in der Elbmarsch instrumentalisiert für diesen Zweck."

KOMMENTAR:

Kinder, Krebsfälle und am anderen Flußufer ein Kernkraftwerk. Natürlich liegt der Verdacht nahe, daß das Atomkraftwerk schuld ist, aber ebenso natürlich ist die Verlockung für Kernkraftgegner, dieses Szenario zu Propagandazwecken auszunutzen.

Seit Anfang der neunziger Jahre produziert Inge Schmitz-Feuerhake dünne Studien und dicke Schlagzeilen. Bereitwillig greifen die Medien ihre Hypothesen auf, etwa den schweren Verdacht, die Baumscheiben rings ums Kernkraftwerk seien stark verstrahlt. Diese und andere Meßergebnisse, so erzählte die Wissenschaftlerin den angstgeplagten Bürgern, deuteten auf geheimgehaltene Störfälle hin.

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PROF. INGE SCHMITZ-FEUERHAKE:

"Die Göttinger Messungen deuteten ja darauf hin, daß es sozusagen zwei "peaks" gibt, nämlich einen '86 und einen '89, und darauf haben wir doch die These gestützt, daß zweimal was rausgekommen ist, was nicht genehmigt war."

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PROF. ERICH WICHMANN:

(Leukämie-Kommission Niedersachsen)

"Diese Behauptung hat sich besonders lange gehalten, ich glaube sechs Jahre. Und nachdem Frau Schmitz-Feuerhake und Prof. Lengfelder aus München glaubten, erhöhte Tritium-Konzentrationen gefunden zu haben, und dieses von vielen anderen bezweifelt wurde, wurden zusätzliche Untersuchungen gemacht und immer und immer wieder nachuntersucht. Erst jetzt ist die Untersuchung abgeschlossen worden. Fazit: Keine erhöhte Strahlung in den Bäumen in der Elbmarsch."

KOMMENTAR:

Auch eine zweite schreckliche Hypothese verkündete die Wissenschaftlerin öffentlich: Das Blut einiger Kinder in der Elbmarsch sei deutlich verstrahlt.

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PROF. INGE SCHMITZ-FEUERHAKE:

"Das Ergebnis ist so, daß wir eine Erhöhung der dizentrischen Chromosomen finden. Wir finden also doppelt so viele, wie man erwarten müßte."

KOMMENTAR:

Auch diese These wird von anderen Wissenschaftlern geprüft. Eine großangelegte Studie kommt schließlich zu einem anderen Ergebnis: Das Blut der Menschen in der Elbmarsch zeigt im Vergleich zu anderen Gebieten keine Auffälligkeit. Aber was nicht sein kann, das nicht sein darf.

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PROF. WERNER BURKART:

(Leukämie-Kommission)

"Weil das Resultat nicht erbracht hat, was sich gewisse Kreise erhofft haben, kam der doch etwas häßliche Vorwurf, daß irgend jemand betrogen hat, Proben vertauscht hat."

KOMMENTAR:

Und wieder wird ein neues Gutachten erstellt. Das Ergebnis: Die Proben wurden nicht vertauscht. Aber die korrigierte Chromosomen-Studie wurde bis heute nicht veröffentlicht, auf Betreiben der Mitautorin: Inge Schmitz-Feuerhake.

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PROF. ERICH WICHMANN:

"Ich fordere Frau Schmitz-Feuerhake an dieser Stelle erneut auf, sich endlich damit einverstanden zu erklären, daß diese Daten auch publiziert werden, so daß sich jeder Wissenschaftler ein Bild davon machen kann, was bei der Studie herausgekommen ist."

KOMMENTAR:

Zu den Vorwürfen bat PANORAMA Frau Prof. Inge Schmitz-Feuerhake um eine Stellungnahme, aber unsere Anfrage blieb unbeantwortet.

Fast zehn Jahre dauert der Streit um Krümmel nun an. 10 Millionen Mark - so rechnen Wissenschaftler - sollen die Gutachten, Gegengutachten und Propagandafeldzüge in zwei Leukämie-Kommissionen gekostet haben. Zwei Jugendliche sind in der Zwischenzeit an Leukämie gestorben. Erreicht hat die Wissenschaft nicht viel, außer drei Feststellungen:

Erstens: Es gibt hier zu viele Leukämie-Fälle.

Zweitens: Niemand weiß genau, woran das liegt.

Und drittens ist bewiesen, daß Wissenschaftler in der Frage der Kernenergie genauso zerstritten sind wie der Rest der Bevölkerung.

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PROF. ERICH WICHMANN:

"Ich habe nur eine sinnvolle Forderung Ihnen anzubieten, und die lautet: Schließt beide Kommissionen so schnell wie möglich. Eine fruchtbare Arbeit ist in den Kommissionen seit Jahren nicht mehr möglich, weil die Polarisierung zu groß ist und die Bereitschaft, wissenschaftlichen Argumenten zu folgen, zu klein."

KOMMENTAR:

Und womöglich endet der zutiefst ideologische und medienwirksame Krieg um Krümmel ganz banal - wenn sich die Leukämie-Häufung, das sogenannte Cluster von Krümmel, schließlich als statistischer Irrtum erweist.

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MICHAEL CSICSAKY:

(Sozialministerium Niedersachsen)

"Im Augenblick spricht alles dafür, daß es in der Tat, daß es in der Tat ein Zufalls-Cluster gewesen sein dürfte. Aber es wäre voreilig, dies jetzt als Abschluß der Untersuchungen bekanntzugeben, denn wir arbeiten ja weiter bis zum Jahr 2000, vielleicht sogar 2001."

KOMMENTAR:

So wird also erstmal weiter geforscht, während die Betroffenen dieser Forschungsarbeit, etwa die Familie Rocker, zusehends den Glauben an die Wissenschaft verlieren.

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JUTTA ROCKER:

(Mutter)

"Man sollte tatsächlich mal in verschiedene Richtungen forschen und dann auch mal Gutachter nehmen, die nicht für irgendeine Seite arbeiten, sondern neutral sind, und die muß es ja irgendwo hier weltweit geben."

KOMMENTAR:

Bislang fällt die Bilanz aber dürftig aus: Außer Thesen nichts gewesen.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Geforscht hat die Professorin für die Gegner der Atomkraft, mit ihren unhaltbaren Thesen hat sie aber eher den Betreibern in die Hand gearbeitet.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 10.12.1998 | 21:45 Uhr