Jung, wild, erfolglos - Die neuen Hoffnungsträger der CDU

von Bericht: Thomas Berbner und Thomas Berndt

Jung, wild, erfolglos - Die neuen Hoffnungsträger der CDU

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Nach einer verlorenen Wahl ist die Suche nach dem Schuldigen das eine. Wie in der CDU zur Zeit mit Helmut Kohl umgegangen wird, zeugt von wenig Format. Das andere aber ist die Frage nach der Neuausrichtung der Partei. Hoffnungsträger der CDU sind da die sogenannten "jungen Wilden". Seit vier Jahren versuchen sie, Bewegung in die Christdemokraten zu bringen. Aber Aufbruchswille und Kritik verstummten natürlich kurz vor der Wahl, schließlich hatte ja noch der Kanzler über Karrieren zu bestimmen. Aber jetzt ist Helmut Kohl der Verlierer, jetzt sind sie wieder da, die "jungen Wilden".

Jung, wild, erfolglos - die neuen Hoffnungsträger der CDU
Nach der Wahlschlappe der CDU bei der Bundestagswahl 1998 melden sich jetzt die jüngeren CDU-Mitglieder zu Wort.

Über Aufstand und Opportunismus in der CDU berichten Thomas Berbner und Thomas Berndt.

KOMMENTAR:

Ein junger Wilder auf dem Weg nach oben. Peter Müller, 43, CDU-Chef im Saarland. Er will nach Bonn. Dort war er bisher nicht gern gesehen, zu oft hat er gegen die Altvorderen in der Partei aufgemuckt. Aber jetzt ist Kohl ja weg.

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INTERVIEWER:

"Sind Sie schon fit für’s CDU-Präsidium?"

PETER MÜLLER:

(CDU Saarland)

"Also ich trainiere, um persönlich fit zu sein. Im Präsidium der CDU muß man fit sein. Von daher ergänzt sich das ganz gut."

KOMMENTAR:

Im Hochtaunus präsentiert sich derweil noch ein Hoffnungsträger der Union: Roland Koch, mit vierzig noch ganz jung, ganz wild und dazu Parteivorsitzender in Hessen. Das sollte doch allemal reichen für eine Kandidatur zum CDU-Präsidium. Für das Parteivolk im Hochtaunus eine willkommene Abwechslung, wann bekommt man hier schon mal einen leibhaftigen jungen Wilden zu sehen.

Die Wahlschlappe macht’s möglich: über Nacht mauserte sich Roland Koch vom unbedeutenden CDU-Provinzfürsten zum politischen Schwergewicht. Die jungen Wilden, jetzt ganz selbstbewußt.

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ROLAND KOCH:

(CDU Hessen)

"Wenn jung und wild bedeuten würde, das müssen Langmähnige, wenig Rasierte sein, die über Tische und Bänke springen, dann sind wir sicher dafür nicht zu gebrauchen. Aber wir sind die nächste oder Teil der nächsten Führungsgeneration der CDU."

KOMMENTAR:

Und noch ein Mitglied der neuen Führungsgeneration: der Hamburger Ole von Beust, 43, beim Ortstermin im Einkaufszentrum Altona. Gerade versucht er, Geschäftsleuten die Vorzüge der Union nahezubringen. Nicht einfach für einen Oppositionspolitiker. Der Weg zur Macht ist lang und mühevoll.

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PASSANTIN:

"Wir zahlen doch Steuern genug, das kann doch nicht angehen, daß das nicht läuft."

OLE VON BEUST:

"Ja, wir haben versprochen ..."

PASSANTIN:

"Wunderbar, ich warte ab. Seit zwei Jahren sollte hier saniert werden, jetzt kommt das dritte Jahr, ich bin gespannt, was sich tut."

OLE VON BEUST:

"Sie wissen, die Opposition kann nur bedingt was machen. Ich kann das ansprechen und versuchen, Druck zu machen, aber die Möglichkeiten sind beschränkt."

KOMMENTAR:

Ein anderer ist da mit 39 schon weiter. Bonn, Haus der Geschichte. Der niedersächsische CDU-Vorsitzende Christian Wulff besichtigt die Reliquien der Ära Kohl. Die Weste, in der Kohl mit Gorbatschow die deutsche Einheit ausgehandelt hat. Ob sie für ihn nicht doch zu groß ist? Immerhin, die höheren Weihen der Partei hat er schon lange. CDU-Generalsekretär Peter Hinze bewies ein sicheres Gespür, schon bei der Landtagswahl in Niedersachsen vor vier Jahren.

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PETER HINZE:

"Die Plakate waren super, der Wahlkampfauftakt war super, und der Kandidat ist super. Hier steht der Prototyp für den Reformprozeß der CDU."

KOMMENTAR:

Ein Prototyp wohl eher für die Niederlagen. Gegen Gerhard Schröder hat Wulff in Niedersachsen sogar schon zweimal verloren. Zuletzt gab’s nur noch 35,9 Prozent. Noch finsterer sieht es in Hamburg aus. Bei der letzten Bürgerschaftswahl holte Ole von Beust gerade mal 30,6 Prozent.

Auch Müllers CDU hatte bei der Landtagswahl im Saarland keine Chance. Absolute Mehrheit für die SPD, der Union blieben 38,6 Prozent.

Landtagswahl in Hessen 1994: Roland Koch bei seinem ersten Auftritt als junger wilder Wahlverlierer.

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ROLAND KOCH:

(CDU Hessen 1994)

"Nun, wir haben unser Wahlziel in der Tag verfehlt. Und da gibt es an einem solchen Abend aus meiner Sicht auch gar nichts zu beschönigen."

KOMMENTAR:

39,2 Prozent, Rot-Grün regiert in Hessen weiter.

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CHRISTIAN WULFF:

(CDU Niedersachsen)

"Wie haben ja in den letzten Jahren Landtagswahlen in Reihe verloren und haben dann als Opposition Erfahrungen sammeln können, die wir jetzt für Bonn mit einbringen können."

KOMMENTAR:

So sinnvoll können Niederlagen sein. Die gesammelte Oppositionserfahrung der Union auf dem Weg nach Bonn.

Jetzt wollen sie Helmut Kohl wenigstens beerben, wenn sie ihn schon nicht rechtzeitig stürzen konnten. Peter Müller erinnert sich an die entscheidenden Monate vor dem Leiziger Parteitag. Da hatten die jungen Wilden immerhin einen Aufstand geplant: gegen Helmut Kohl.

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PETER MÜLLER:

(CDU Saarland)

"Ich habe ja vor Leipzig gesagt, viele in der Bevölkerung sagen, die CDU braucht ein neues Gesicht, wir müssen uns damit auseinandersetzen, wir müssen darauf eine Antwort finden. Das war damals nicht mehrheitsfähig in der Partei."

KOMMENTAR:

Und so kam es, wie es kommen mußte. Leipzig, Oktober ‘97. Die dunkelste Stunde der jungen Wilden. Im entscheidenden Moment hatte sie der Mut zum Kanzlersturz verlassen. Der Parteitag wird zur Ein-Mann-Show des Kandidaten. Die jungen Wilden bleiben in der sicheren Deckung, vom geplanten Aufstand gegen Helmut Kohl war nicht mehr viel zu hören.

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PETER MÜLLER:

(CDU Saarland)

"Der richtige Kanzlerkandidat, das ist Helmut Kohl. Nebenbei, Kanzlerwahlverein ist so schlecht gar nicht, wenn dieser Verein dafür sorgt, daß der Kanzler wieder Kohl heißt, dann hat dieser Verein etwas für dieses Land getan."

KOMMENTAR:

Auch der junge Wilde Ole von Beust plötzlich ganz zahm. Schließlich soll die eigene Parteikarriere nicht vorzeitig enden. Christian Wulff sucht in Leipzig lieber die Nähe zu den Parteimächtigen, statt für Reformen und neue Köpfe zu kämpfen. So marschiert die alte Unionsgarde mit Helmut Kohl ins Wahldesaster, und die jungen Wilden marschieren einfach hinterher.

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INTERVIEWER:

"Ihre Kritik, die Sie mit den anderen zusammen geäußert haben, haben Sie aber immer an einem bestimmten Punkt wieder zurückgezogen, zum Beispiel in Leipzig. Warum haben Sie das gemacht?

CHRISTIAN WULFF:

(CDU Niedersachsen)

"Das kann man ganz einfach erklären. Jung und wild zu sein, heißt nicht, blöd zu sein."

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PETER MÜLLER:

(CDU Saarland)

"Die Partei war mehrheitlich völlig anderer Meinung, und dann macht es einfach keinen Sinn, immer dagegen an zu schwimmen, dann kommt man in eine Nörglerecke."

KOMMENTAR:

Ankunft in Bonn. Die Gefahr ist vorbei, der Kanzler abgewählt. Die jungen Wilden, jetzt fühlen sie sich ganz stark.

Peter Müller auf dem Weg zum CDU-Bundesvorstand.

Auch Roland Koch ist guter Dinge. Stühlerücken in der Union.

Die Stunde der jungen Wilden ist gekommen. Das Warten hat sich gelohnt. Daß sie bisher nicht viel geleistet haben, egal, Hauptsache jung.

Eine Ära ist zuende. Im Haus der Geschichte aber bleibt der steile Aufstieg von Helmut Kohl jederzeit abrufbar.

Hier wird Christian Wulff eindrucksvoll vorgeführt, wie man sich in der Politik wirklich durchsetzen kann.

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FILM:

"1959 wird Kohl als jüngster Abgeordneter in den Landtag von Rheinland-Pfalz gewählt."

KOMMENTAR:

Helmut Kohl, der einzige echte junge Wilde, den die Union jemals hatte. 1969 wird er Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz. Seinen Vorgänger und politischen Ziehvater räumte er einfach aus dem Weg, weil der sich an seinen Stuhl klammerte. Danach stürzte er den CDU-Bundesvorsitzenden. Dabei nahm der junge Wilde Helmut Kohl Risiken und bittere Niederlagen in Kauf.

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INTERVIEWER:

"Haben Sie ähnlich viel Durchsetzungskraft wie er?"

CHRISTIAN WULFF:

(CDU Niedersachsen)

"Ich glaube, man kann sich mit Helmut Kohl nicht vergleichen."

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PETER MÜLLER:

(CDU Saarland)

"Helmut Kohl hat die CDU unheimlich vorangebracht, vielleicht auch deshalb, weil er jung und wild war und auf dieser Basis Politik gemacht hat nach seinen inneren Überzeugungen, auch dann, wenn es unpopulär war, wenn es am Anfang auch nicht mehrheitsfähig war. Also ich glaube schon, daß man von Helmut Kohl viel lernen kann, auch als junger Wilder."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 08.10.1998 | 21:00 Uhr