Hecken kürzen, Steine suchen - Das Jobwunder im Wahljahr

von Bericht: Thomas Görlitzer und Stefan Wels

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Links und dürftig sitzen seine Kontrahenten dann da, so sagte der CDU-Generalsekretär. Weniger links, aber dürftig - so beurteilen wohl viele in seiner eigenen Partei seine Verdienste. Deshalb ja der neue Chef-Berater Tiedje in Kohls Riege. Der wird sich auch schwer tun, dem Volk zu erklären, wie es denn um das wichtigste Thema im Wahlkampf steht: Arbeitsplätze. Unsere Regierung hielt - das wissen wir alle - nicht viel von staatlichen Einmischungen und Bemühungen. So sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, kurz: ABM, unerwünscht. Vielleicht erinnern Sie sich daran:

ABM - Das Jobwunder im Wahljahr
Soll mit den umfassenden Maßnahmen und vielen ABM-Arbeitsplätzen die Arbeitslosenstatistik im Wahljahr geschönt werden?

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GÜNTER REXROTH:

(Wirtschaftsminister)

"Ich sage deshalb, mit Augenmaß, langsam und mit großer Differenzierung werden wir ABM zurückfahren, immer unter Berücksichtigung der jeweiligen Situation in der jeweiligen Region."

PATRICIA SCHLESINGER:

ABM zurückfahren, das sagte der Wirtschaftsminister vor zwei Jahren. Alles Geschwätz von gestern, denn besondere Zeiten - Wahlkampfzeiten - erfordern besondere Maßnahmen. Nun, wie kurz vor jeder Bundestagswahl, werden die Arbeitslosen zwar nicht von der Straße, aber aus der Statistik gebracht, mit vielen neuen ABM-Stellen.

Thomas Görlitzer und Stefan Wels berichten.

KOMMENTAR:

Die Landschaften im Osten. Gewiß sind sie schön, aber noch blühen sie nicht, wie einst versprochen. Deswegen schwärmen jetzt, wie hier am Mellensee bei Berlin, unzählige ABM-Brigaden aus. Ihr Auftrag ist es, Grünflächen und Arbeitslosenstatistiken zu verschönern. Mehr ABM-Projekte als je zuvor gibt es. Sie dürfen hier gerade Steine und Müll aus dem Wasser fischen, für 1.800 Mark im Monat, und sind dennoch nicht glücklich.

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ABM-KRÄFTE:

"Jetzt zu den Wahlen wird noch ein bißchen was gesponsert, werden Förderungsgelder locker gemacht, um die Leute, sag' ich mal, ein bißchen den Honig um den Mund zu schmieren, und das hat mir nicht so gefallen."

"Das ist jedesmal so gewesen, bei jeder Wahl, da werden eben die Bonbons verteilt. Es wäre schön, wenn das immer so bliebe, und nicht nur kurz vor der Wahl."

KOMMENTAR:

Sie sind die Chefs der ABM-Brigade vom Mellensee. Arbeit haben sie schon mal beschafft, nur Werkzeuge fehlen noch. Denn im Wahljahr mußte alles ganz schnell gehen. Jetzt wird nachbestellt. So lange wird die Hecke noch mit der Rosenschere bearbeitet.

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MANN:

"Es wäre schön, wenn die Heckenschere schon da wäre oder?"

ABM-KRAFT:

"Ja, klar, klar, das wäre günstig. Jedenfalls auch mit dem Saubermachen, das wäre alles eins. So muß man doppelt gemoppelt arbeiten. Das ist es ja eben."

INTERVIEWER:

"Kommt das häufiger mal vor?"

ABM-KRAFT:

"Ja, ja, möchte ich sagen."

KOMMENTAR:

Zur gleichen Zeit im Hauptquartier des ABM-Trägers. Schon wieder ein Projekt genehmigt, fast täglich werden hier Arbeitslose dutzendweise eingestellt.

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ANGESTELLTE:

"Herr Kremm, wir haben die Zuweisungen für die ABM-580 bekommen, das sind hier die Stücke für museale Zwecke."

KOMMENTAR:

Vom Arbeitsamt genehmigt wird neuerdings fast jeder Antrag. 60.000 neue ABM-Kräfte sollen dieses Jahr im Osten eingestellt werden.

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JÖRG KRÄKER:

(Arbeitsfördergesellschaft Brandenburg)

"Es gibt also zwei Schnellbezeichnungen in Telefonaten, die dann also sagen: Hast du auch eine Kohl-ABM abgekommen? Oder unter Beschäftigten ist also auch wirklich in der etwas makabren Art und Weise schon gesprochen: Früher gab's Bananen, heute gibt's ABM."

KOMMENTAR:

Nein, nein, mit der Wahl hat das alles nichts zu tun, sagt das Arbeitsministerium, man habe nur dieses Jahr zufällig sehr viel Geld.

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DR. WERNER TEGTMEIER:

(Staatssekretär Arbeitsministerium)

"Das mag jemand mit dem 27. September in Verbindung bringen - ich sehe das ganz anders, ich sage: Arbeitsmarktlich muß ich das versuchen, in Wirtschaftsform umzusetzen, in Beschäftigung, was ich als finanziellen Rahmen habe."

KOMMENTAR:

Und der Rahmen ist dieses Jahr gigantisch: Wahljahr ist ABM-Boom-Jahr. Viele Gesellschaften ziehen jetzt in größere Büros. Im März hat Bonn noch ein Sonderprogramm aufgelegt, das nur bis Dezember gilt. Dieser Berliner Träger hat jetzt 200 neue Stellen geschaffen. Letztes Jahr hatte er hunderte verloren - Arbeitsmarktpolitik als Achterbahn.

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LOUIS KAUFMANN:

(ABM-Träger "Low Tec")

"In diesem Jahr sollen wir die Maßnahmen wieder - also das Maßnahmenvolumen erhöhen, und wir wissen eigentlich, daß Ende des Jahres wieder Schluß ist. Das heißt also: Ich beurteile das schon so, daß in erster Linie nicht es um die Arbeitslosen geht in dem Sinne, das heißt also um die Menschen selber, sondern in erster Linie schon um die Statistik und die Bereinigung der arbeitslosenstatistischen Zahlen.

KOMMENTAR:

So war es schon immer. In Wahljahren, haben Experten errechnet, sinkt die Arbeitslosigkeit spürbar - durch einen künstlichen Aufschwung. So haben die Arbeitsämter letztes Jahr gespart - prompt sind dieses Jahr drei Milliarden mehr da. Gesetze wurden geändert, Vorschriften gelockert. Termingerecht ergießt sich nun eine ABM-Lawine über den Osten. Das verspricht Hoffnung. Allein den ABMlern fehlt der rechte Glaube.

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ABM-KRAFT:

"Die versuchen dann, die Sachen hin und her zu schieben, aber die lösen das Problem nicht, nicht im geringsten. Das wird nur noch schlimmer, schlimmer, schlimmer. Und man versucht so, den Leuten glaubhaft zu machen, daß alles noch in Ordnung ist. Aber das ist mit Sicherheit schon lange nicht mehr in Ordnung. Man versucht die Leute zu beruhigen."

KOMMENTAR:

Ein Beruhigungsprogramm mit bizarren Folgen. Langfristige und sinnvolle ABM-Projekte, wie etwa diese Schwimmbad-Renovierung, können die kurzfristigen Sondermittel gar nicht nutzen. Nur solche Projekte, die die Träger von heute auf morgen aus dem Ärmel schütteln, profitieren vom Geldregen aus Bonn.

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ULF ZIEDRICH:

(Luckenwalder Beschäftigungsgesellschaft)

"Das Doofe an diesem Sonderprogramm ist, daß in kürzester Zeit aufgrund eines Stoßes aus Bonn Mittel zur Verfügung gestellt werden in Dimensionen, daß die Arbeitsämter meiner Meinung nach in der Verteilung der Mittel überfordert sind. Es werden jetzt Maßnahmen, ABM-Maßnahmen, aus dem Boden gestampft ohne jegliche Planung, ohne jegliche Kontinuität."

KOMMENTAR:

Hauptsache, das Geld kommt schnell unters Volk. Zynischer Aktionismus, sagen manche ABM-Träger, und konsequent verzichten sie aufs Wahlgeschenk.

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MONIKA BALT:

(ABM-Träger Arbeitslosenverband)j

"Wir denken, das können wir einfach den Arbeitslosen nicht zumuten, ständig rein in eine Maßnahme, wieder raus aus einer Maßnahme. Es muß auch eine Qualität dahinter sein, so daß wir nur ganz gering diese Mittel in Anspruch nehmen werden."

KOMMENTAR:

Anderswo haben sich die sogenannten Kohl-ABMs zu voller Pracht entfaltet. Hier wird die Sportgeschichte Lockenwaldes erforscht - wehmütige Erinnerungen.

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ABM-KRAFT:

"Es waren immer Bläser am Anfang, es wurde ja alles immer in vernünftigem Rahmen gestartet damals. Es war schon recht schön, die Aufmärsche, die Betriebe kamen alle hintereinander, und dann ging's los."

KOMMENTAR:

Bis Jahresende werden hier drei Frauen von den Zeiten sportlicher Siege und sozialistischer Vollbeschäftigung träumen. Vermutlich wird es mal ein großes Fotoalbum geben. Genau weiß das noch keiner. Aber Dankbarkeit soll niemand erwarten, nicht dafür, im Wahljahr ein paar Monate arbeiten gehen zu dürfen.

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ABM-KRAFT:

"Ich freue mich, daß ich es jetzt abgefaßt habe und daß ich wieder gehe. Aber unbedingt muß ich nicht dieser Regierung oder dieser Partei die Füße küssen deswegen.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Eigentlich werden hier alle um etwas gebracht: zunächst die Wähler um die Wahrheit - das ist nicht ganz neu, aber dann die Arbeitslosen um echte Hilfe: Nur weil man sie für den politischen Machterhalt braucht, werden sie kurzfristig beschäftigt, genaugenommen aber benutzt, um dann wieder fallengelassen zu werden - vermutlich bis zur nächsten Bundestagswahl.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.05.1998 | 21:00 Uhr