Gerechtigkeit nur für Promis - Zweierlei Maß beim Schmerzensgeld

von Bericht: Gesine Enwaldt und Peter Kleffmann

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Sie erinnern sich an Ramstein, das Flugschauunglück, bei dem 67 Menschen starben und 350 verletzt und zum Teil dauerhaft geschädigt wurden? Die überlebenden Opfer solcher Katastrophen und ihre Familien bekommen in der Regel kaum Ausgleich, nur wenig Geld für das erlittene Leid. Aber wie man in den Genuß von Schmerzensgeld kommt, auch ohne schwer zu leiden, das zeigen uns die Schönen und Reichen dieser Gesellschaft. So werden heimlich geschossene und in bunten Blättern gedruckte Fotos, die zum Beispiel das flexible Liebesleben des Hochadels zeigen, mit viel Geld kompensiert. Wenn es um die pikierte Prominenz geht, dann ist die gängige Rechtsprechung sehr engagiert - und die Gesetzeslage läßt das auch zu. Aber Normalbürger, denen wirklich Leid und Schmerz zugefügt wird, können von dieser Art der Genugtuung nur träumen. Gesine Enwaldt und Peter Kleffmann berichten.

Zweierlei Maß beim Schmerzensgeld
Ein Bericht über die unfaire Verteilung von Schmerzensgeld.

KOMMENTAR:

Matthias Prinz, der Hamburger Anwalt der Oberen Zahntausend, auf dem Weg zum Gerichtstermin, geschultert das, was er eine Waffe nennt. Mit so einem schweren Gerät wurde mal wieder die Persönlichkeit seiner Mandantin Prinzessin Caroline verletzt. Heute geht es um Fotos in der Zeitung GALA.

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MATTHIAS PRINZ: (Prominenten-Anwalt)

"Die sind vor Mallorca aufgenommen, auf einem Schiff."

INTERVIEWERIN:

"Wieviel wird dabei rauskommen?"

MATTHIAS PRINZ:

"Ich rechne mit einem sechsstelligen Betrag, wie hoch das nun im einzelnen wird, werden wir sehen."

KOMMENTAR:

Einen sechsstelligen Betrag für Caroline, ein Schmerzensgeld oder im Juristendeutsch eine Geldentschädigung; denn das abfotografierte Küssen sei heimlich gewesen, sagt er, und die Veröffentlichung Geschäftemacherei und schwere Ehrverletzung. Das Geld soll Caroline für den angeblichen Schmerz entschädigen.

Was Schmerzen wirklich bedeuten, weiß Sybille Jatzko. Seit zehn Jahren kümmert sie sich um die Opfer der Flugkatastrophe von Ramstein. Diese Bilder wollten die Hinterbliebenen immer wieder sehen, in unzähligen Therapiestunden. Sie suchten darauf nach ihren Verwandten, die in den Flammen umkamen - ein Versuch, das Unvorstellbare zu begreifen.

Wer in dieser Hölle dabei war oder jemanden dort verlor, sagen alle, dessen Leben hat sich von Grund auf geändert. Es ist nicht nur die körperliche Verletzung, es ist vor allem das Trauma, der seelische Schmerz, die unendliche Trauer über den Tod eines Verwandten, quälend bis heute.

Mario war 16, als er in Ramstein umkam. Der Tod hat seine Eltern für viele Jahre aus der Bahn geworfen. Sein Vater wurde krank und verlor seinen Beruf. Als Schmerzensgeld blieben ihnen ganze 5.000 Mark, für den Ausgleich und die sogenannte Genugtuung.

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ALFRED WITT: (Vater eines Ramstein-Opfers)

"Das ist alles so niederschmetternd, daß man sich einfach so als Nichts vorkommt. Man hat uns ja auch gesagt: Das Leben eines Menschen ist so kostbar, man kann es mit Geld nicht aufwiegen. Das stimmt ja auch. Aber man kann entschädigen dafür, was man verloren hat. Das müssen ja keine Unsummen sein."

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SYBILLE JATZKO: (Psychotherapeutin)

"Also ich denke, dieses Schmerzensgeld ist sicherlich immer wieder symbolisch zu sehen. Es kann ja nicht ersetzen, aber es kann symbolisch diesen Menschen das Gefühl geben, es wird von der Gesellschaft, von der Gerichtsentscheidung, von - wer es auch immer dann treffen wird, es wird gewürdigt, was in ihnen passiert ist, auch wenn es nicht sichtbar ist."

KOMMENTAR:

Was Marios Eltern und die anderen Opfer nicht begreifen können: Die Trauer und der psychische Schmerz werden im deutschen Recht nicht anerkannt. Nur weil der Vater in einem Prozeß bewies, daß er durch die Trauer auch körperlich erkrankte, bekam er überhaupt etwas.

Anders bei den Promis. Prinzessin Carolines Anwalt wartet auf das Gericht. Die Richter werden heute einen Vergleich in Sachen GALA-Fotos vorschlagen: 50.000 für Caroline. Aber die Prinzessin wird so eine kleine Summe wohl nicht akzeptieren. Denn ihre Geschichte ist auch die Geschichte von eisernem Durchhaltewillen. Sie trieb ihre Klagen bis zum Bundesgerichtshof. Dort erstritt sie vor vier Jahren als erste ein Urteil, das neue Maßstäbe setzte: 180.000 Mark für ein erfundenes Interview. Den Zeitungsverlag BURDA wollte die reiche Monegassin spüren lassen, wie teuer Schmuddeljournalismus werden kann. So kam es auch zu dem jüngsten Richterspruch vor drei Monaten: für ein Foto ohne Haare 50.000 Mark Schmerzensgeld.

Auch der Anwalt der Ramstein-Opfer kämpft seit Jahren um höheres Schmerzensgeld für seine Mandanten, allerdings mit weitaus weniger Erfolg.

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PROF. ELMAR GIMULLA: (Anwalt der Ramstein-Opfer)

"Der ganz, ganz überwiegende Teil der Opfer und auch ihrer Hinterbliebenen hat keinen Pfennig bekommen."

INTERVIEWERIN:

"Wie beurteilen Sie das?"

PROF. ELMAR GIMULLA:

"Ich halte das für einen Skandal, einen Makel des deutschen Rechts, des deutschen Schadenersatzrechts, der unbedingt und ganz schnell geändert werden muß. Es ist nicht einzusehen, daß es für Ehrverletzung, für inkriminierende Fotos, die Paparazzi irgendwo schießen, daß es da recht hohe Entschädigung gibt und in diesen wirklich wichtigen Fällen gar nichts gibt. Ich plädiere nicht dafür, daß man es abschaffen sollte in dem Sensationsbereich, aber man muß eben in dem anderen, mindestens ebenso wichtigen Bereich gleichziehen."

KOMMENTAR:

Das Bundesjustizministerium aber ist mit der Gesetzeslage zufrieden. Entschädigung für Trauer oder Traumata kennt das deutsche Recht eben nicht. Für seelischen Schmerz gibt es in Deutschland kein Geld.

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MATTHIAS HELLMANN: (Bundesjustizministerium)

"In der deutschen Rechtstradition, die auch dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegt, gilt normalerweise der Grundsatz, daß solche Sachen wie Schmerz und Leid nicht kommerzialisierbar sind."

KOMMENTAR:

Es sei denn, man leider unter Ehrverletzung. Da kann man durchaus dran verdienen, das zeigt der letzte große Coup des Hamburger Anwalts. Es ging um die Ehre des Prinzen Ernst August von Hannover. Streitpunkt: 20 Paparazzi-Fotos vom Prinzen, ganz intim in der BUNTEN. Und als Höhepunkt der Geschmacklosigkeit: Die Adeligen als Gewinnspielunterlage. BURDA schlägt Profit aus Ernst Augusts Herzen und delikaterweise auch aus seinem Hosenlatz. Das schreit nach Genugtuung und nach Ausgleich. 100.000 Mark gab es für den Ehrverletzten. Warum so viel? Bei Promis sei Schmerzensgeld eben etwas ganz anderes, sagen die Richter. Um die Ehre der Promis zu schützen, müsse man die Verlage mit hohen Summen abschrecken.

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MATTHIAS HELLMANN: (Bundesjustizministerium)

"Wenn eine Zeitung mit einer bestimmten Story Hunderte von Tausenden von Mark verdient, kann man schlecht mit 10.000 Mark Schmerzensgeld eine Präventivfunktion erreichen, wird man nicht erreichen, daß sie das nächste Mal solche Meldungen nicht mehr vornimmt. Deswegen haben diese Strafen eine ganz starke präventive Wirkung. Sie sollen eben abschrecken vor der Wiederholung solcher Pressedelikte."

KOMMENTAR:

Den Ramstein-Opfern ist schwer zu erklären, warum Prävention und Abschreckung nur die Presseverlage treffen soll. Tagtäglich gehen profitorientierte Veranstalter jeglicher Art Risiken ein - viel zu befürchten haben sie nicht.

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SYBILLE JATZKO: (Psychotherapeutin)

"Sagen wir mal: Flugschau oder Autofahren oder Busfahren oder Flugzeugfliegen - wir wissen, wenn da hohe Entschädigungsgelder angesiedelt werden, es einen Erziehungsaspekt hat. Das heißt: Je mehr ein Unternehmen befürchten muß, daß, wenn etwas passiert, sie ja auch noch bankrott gehen könnten aufgrund der Zahlungen, um so mehr Sicherheit bauen sie ein."

KOMMENTAR:

Ein glücklicher Prinz: Soeben wurde er um 100.000 Mark reicher. Und jeder kennt die Szene, die jetzt kommt: Pikante Begegnung eben jenes Prinzen mit einem Kameramann, der sich presserechtlich einwandfrei verhielt. Entfesselt schlägt der Prinz auf ihn ein. Und an dieser Stelle lohnt der Blick auf die Seite dessen, der die Prügel bezog. Mit Gehirnerschütterung und Nasenbeinbruch, Prellungen, Schürf- und Bißwunden ging Karsten Thürnau aus der Begegnung mit dem Prinzen heraus.

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KARSTEN THÜRNAU: (Opfer des "Prügelprinzen")

"Es war wirklich alles geschwollen, es war alles grün und blau im Gesicht. Es ist unglaublich, ich konnte nicht aus den Augen gucken, ich hatte dicke Lippen, ich habe während der ganzen Schlägerei ja sowieso geblutet wie ein Schwein. Ich dachte, ich muß von der Welt."

KOMMENTAR:

Für die Demütigung, den Schock wird er gar nichts bekommen, für die Körperverletzung kann er normalerweise nicht viel erwarten, höchstens 1.500 Mark. Denn in solchen Fällen schauen die Richter in die Schmerzensgeldtabellen. Sie orientieren sich an der Liste der bereits gefällten Richtersprüche, die seit Jahren konstant niedrig sind.

Bei den Promis läuft es da besser. Seit Wochen diskutiert Verona Feldbusch öffentlich, ob sie sich gegen Honorar oben ohne zeigt oder nicht. Verletzt fühlte sie sich durch dieses Paparazzifoto, kommerzialisierte rasch ihren Schmerz im Prozeß und strich 15.000 Mark Schmerzensgeld ein.

Der Schmerz dieser 39jährigen ist ungleich schwerer, aber viel mehr als 15.000 Mark wird sie nicht bekommen. Dabei hat eine medizinisch notwendige, aber verpfuschte Brustoperation ihr Leben völlig verändert. Ein Opfer nachgewiesener eklatanter Chirurgenfehler. Seit vier Jahren hat sie Schmerzen. Bei ihrer Anwältin erzählt sie von dem Verlust ihrer Arbeit, der Trennung von ihrem Mann, von drei Operationen, aber irreparablen Schäden danach.

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ARZTFEHLER-OPFER:

"Also, alles, womit man noch ein bißchen Lebensfreude hat, nicht mal das war möglich. Und psychisch hat es mich unwahrscheinlich beeinträchtigt, daß ich mir nicht die Frage gestellt habe, überhaupt noch leben zu wollen, sondern daß ich das Gefühl hatte, ich schaffe das nicht mehr, weiterzuleben."

KOMMENTAR:

In seiner Kanzlei sagt der Anwalt der Reichen und Schönen, seine Mandanten seien mutig, weil sie ihre Prozesse durchhielten und für ihre Ehrverletzungen kämpfen. Sich Gerechtigkeit erstreiten, das weiß er allerdings, dazu gehört nicht nur Mut, sondern auch Geld.

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MATTHIAS PRINZ: (Prominenten-Anwalt)

"Ich bin auch der Meinung, daß die Schmerzensgelder für Körperverletzungen zu niedrig sind und daß es an der Zeit wäre, die zu erhöhen. Aber nun müssen Sie Kläger finden, die bereit sind, die Prozeßkostenrisiken zu tragen, durch mehrere Instanzen zu gehen, um das zu verändern."

INTERVIEWERIN:

"Wie nimmt man das unter den normalen Leuten?"

MATTHIAS PRINZ:

"Schwer. Sie müssen mal eine Rechtschutzversicherung da zu motivieren versuchen, einen Musterprozeß bis zum BGH zu bezahlen. Das ist fast aussichtslos."

KOMMENTAR:

Die Katastrophe von Ramstein. Nach zehn Jahren ziehen die Opfer bittere Bilanz. Und nicht nur sie wissen: ihr Schmerz gilt nichts im deutschen Recht. Sich Gerechtigkeit zu erstreiten, dafür - das haben sie erkannt - sind sie zu schwach.

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ALFRED WITT: (Vater eines Ramstein-Opfers)

"Da sieht man den Wertunterschied. Prominente sollen geschützt werden - ist in Ordnung, daß man nicht alles über sie schreiben kann. Aber da kriegt man wieder gezeigt, welchen Wert man in der Gesellschaft dann eben hat, oder man spürt es zumindest so, hat das Gefühl, daß man einfach weniger wert ist, viel weniger wert ist.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 16.07.1998 | 21:15 Uhr