Frust bei den Nazis - Ursachen für die Wahlschlappe der Rechtsradikalen

von Bericht: Volker Steinhoff

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Die Bundestagswahl war in Mecklenburg-Vorpommern ja auch Landtagswahl, und dort wollten die Rechtsradikalen ins Parlament einziehen. DVU und NPD überschwemmten die Haushalte mit Flugblättern, und es gab kaum einen Laternenpfahl ohne ein Plakat mit ihren simplen Parolen. Die Rechten sahen sich - gestärkt durch Umfrageergebnisse vor der Wahl - schon als Sieger. Es kam - zum Glück - ganz anders. Nach der Stimmenauszählung fand man sie - zusammen mit den bibeltreuen Christen und der Pro-D-Mark-Partei - auf den "Unter-ferner-liefen"-Plätzen. Jung- und Altnazis sind aber sicher nicht über Nacht zu Demokraten geworden, das rechte Wählerpotential gibt es noch. Was ist also dort passiert? Volker Steinhoff hat sich mit dieser Frage beschäftigt.

Wahlschlappe der Rechtsradikalen
Stimmungsbild bei DVU und NPD nach Wahlniederlage und dem misslungenen Einzug in den Landtag in Mecklenburg-Vorpommern

KOMMENTAR:

Erst die Wahlschlappe, dann der Frust. Die NPD am Wahlabend. Statt im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sitzt man bei den Skinheads in der Kneipe. Der Spitzenkandidat ist sauer, besonders auf den NDR.

0-Ton

INTERVIEWERIN:

"Wie sehen Sie denn die Zukunft des rechten Spektrums?"

TORSTEN KOWALSKI:

(NPD-Spitzenkandidat Mecklenburg-Vorpommern)

"Schicken Sie mir das ZDF her, dann sage ich ihnen das, mit dem NDR nicht mehr."

KOMMENTAR:

Er, der sich beim Wähler als Biedermann präsentieren wollte, hatte Pech. Weniger Wochen vor der Wahl zeigte der NDR dieses Video: der NPD-Spitzenkandidat als Kampfsporttrainer der Nazis. Das Medienecho war groß und die Wirkung bei den Wählern offensichtlich auch.

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INTERVIEWER:

"Warum haben die Rechtsradikalen bei den Wahlen so schlecht abgeschnitten?"

RICHARD STÖSS:

(Politologe)

"Der wichtigste Grund war sicherlich die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern. Öffentliche Auseinandersetzung heißt kritische Medienberichterstattung, heißt aber auch Initiativendiskussion vor Ort."

KOMMENTAR:

Dabei war der Trend nach rechts am Anfang des Wahlkampfes noch eindeutig: den Braunen wurde ein Traumergebnis wie in Sachsen-Anhalt vorausgesagt. Doch dann waren die ersten Landtagskandidaten im Fernsehen zu sehen und zeigten, daß sie zu ihren wichtigsten Themen wenig zu sagen hatten. Beispiel innere Sicherheit.

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KARL-HEINZ KOSTREWA:

(DVU-Landtagskandidat)

"Ja, innere Sicherheit - - - innere Sicherheit, auf jeden Fall Polizeipräsenz, auf jeden Fall, muß sein. Wir haben zu wenig, wird auch noch aufgebaut, etwas wird aufgebaut noch."

KOMMENTAR:

Auch nicht sehr vertrauenerweckend der Fernsehauftritt eines DVU-Kandidaten, der Interviews nur gegen Geld geben wollte.

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JÖRG WILCKE:

(DVU-Landtagskandidat)

"Wenn Sie nicht auf der Stelle das Haus verlassen, rufe ich die Polizei, auf der Stelle."

INTERVIEWER:

"Warum wollen Sie nur für Geld Interviews geben?"

JÖRG WILCKE:

"Halten Sie sich da raus, auf das Stelle das Haus verlassen."

KOMMENTAR:

Die Meinungsforscher von Infratest haben herausgefunden, daß diese Berichte Wirkung hatten.

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RICHARD HILMER:

(Infratest dimap)

"Was die Kompetenzzuschreibung anbetrifft zur DVU bzw. zu den anderen rechtsradikalen Parteien, ist eine deutliche Desillusionierung erkennbar."

KOMMENTAR:

Das war in Sachsen-Anhalt ganz anders.

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DVU-Spot:

"So wird der Stimmzettel zum Denkzettel."

KOMMENTAR:

< In Sachsen-Anhalt konnte die DVU ihre millionenschwere Propaganda verbreiten, die Medien nahmen es kaum zur Kenntnis. Dann das böse Erwachen: DVU-Boß Frey zog mit seinen Rechtsradikalen in den Landtag ein. Die Kompetenz der neuen Abgeordneten hatte niemand zuvor geprüft.

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RICHARD HILMER:

(Infratest dimap)

"In Sachsen-Anhalt schrieben noch 10 Prozent der Wähler der DVU die größte Kompetenz in Sachen Verbrechensbekämpfung und auch die größte Kompetenz in Sachen Ausländerpolitik zu. All dies hat sich völlig gewandelt: In Mecklenburg-Vorpommern haben wir nur sehr geringe Kompetenzwerte für die DVU wie für die Republikaner und auch die NPD."

KOMMENTAR:

Erst nach der Wahl in Sachsen-Anhalt wurde bekannt, wer da im neuen Landtag sitzt.

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HORST MERTENS:

(DVU-Landtagsabgeordneter)

"Das deutsche Volk wird sich nicht auswechseln lassen, das deutsche Volk wird die Regierung auswechseln. Und wir sind dazu da, daß das deutsche Volk nicht ausgewechselt wird. Ich meinte - so kann man das so formulieren."

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RICHARD STÖSS:

(Politologe)

"In Sachsen-Anhalt ist ja so gut wie nicht über den Rechtsextremismus berichtet worden. Im Grunde genommen herrschte wohl die Auffassung - übrigens nicht nur bei den Medien, auch bei den wahlkämpfenden Politikern -: Nur nicht drüber reden, dann spielen wir das hoch. Und im Nachhinein hat sich gezeigt, gerade an der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern, daß dieser Ansatz falsch ist."

KOMMENTAR:

Das wurde auch den Nazis klar. In Mecklenburg-Vorpommern ließen sie ihre braunen Kameraden sogar extra gegen die Presse aufmarschieren - diesmal vergeblich. Doch das große Wählerpotential gibt es nach wie vor - und natürlich Wahlen.

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RICHARD STÖSS:

"Ich denke, daß die Medien sich Mecklenburg-Vorpommern zum Vorbild nehmen sollten und auch ebenso ausführlich und kritisch über den Rechtsextremismus berichten sollten. Ich glaube, das ist die beste Möglichkeit, deren Wahlchancen einzugrenzen."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Diese Parteien so zu zeigen, wie sie sind, ihre Kandidaten zu Wort kommen zu lassen, das hat offensichtlich einen Meinungsumschwung bewirkt. Wir werden weiter über die Machenschaften, Unzulänglichkeiten und das pseudo-demokratische Erscheinungsbild der rechtsradikalen Parteien berichten.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 08.10.1998 | 21:00 Uhr