Frauenfrust nach Männerklüngel - Der Streit um Johannes Rau als Bundespräsident

von Bericht: Jochen Graebert und Christoph Mestmacher

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Wir haben eine neue Koalitionsvereinbarung - das haben wir eben gesehen -, einen neuen Bundeskanzler, neue Minister - und wer wird nun unser neues Staatsoberhaupt? Die SPD hat fast alle wichtigen Posten an Männer vergeben, und so wie es aussieht, wird auch diesen einer bekommen. Johannes Rau ist das Amt schon lange versprochen. Sein Traum wird in Erfüllung gehen, die Krönung für sein geglücktes Lebenswerk. Als Bundespräsident soll er dann sensibler Kritiker, Inspiration, Visionär und Vermittler sein - aber ist er das Signal zum Aufbruch, zur Erneuerung? Das Rhetorik-Repertoire der SPD will nicht so recht zu dieser längst getroffenen und nur noch nicht verkündeten Entscheidung passen. Und so manchem Sozialdemokraten - von den Grünen ganz zu schweigen - ist dabei schon etwas klamm. Der Kandidat nimmt’s - angeblich - gelassen. Jochen Graebert und Christoph Mestmacher haben Johannes Rau begleitet.

Frauenfrust & Männerklüngel: Streit um Rau als Bundespräsident
Um die Besetzung des Amts als Bundespräsident ist ein Streit auch innerhalb der SPD ausgebrochen.

KOMMENTAR:

Die Tränen konnte er nur mühsam zurückhalten. Im Mai mußte Johannes Rau als Ministerpräsident abtreten, weil er nicht mehr so recht passen wollte zur Aufbruchstimmung der Genossen. Ein Opfer für die Partei, versüßt durch ein Gegengeschäft: Die SPD-Führung versprach, seinen Lebenstraum zu erfüllen. Rau soll Bundespräsident werden. Nun tourt der Pensionär quer durchs Land. Hier eine Festrede zum Jubiläum, dort ein Grußwort zur Einweihung. Zwischendurch gibt’s einen Orden am Bande vom Staatschef aus Lettland. Abends geht’s weiter nach Krefeld, diesmal das Ganze umgekehrt. Eine Medaille für einen verdienten Genossen.

Längst fragen sich auch Parteifreunde, ob der 67jährige noch den nötigen Schwung mitbringt beim Aufbruch ins nächste Jahrtausend. Politiker beider Regierungsparteien fordern Rau auf, zu verzichten.

0-Ton WERNER SCHULZ: (Bundestagsabgeordneter "Die Grünen")

"Ich glaube, Johannes Rau wäre gut beraten, wenn er sich hier aus diesem Diskussionsprozeß rausnehmen würde. Ich denke nicht, daß er es wird, er ist schon mal angetreten, ist durchgefallen. Bundespräsident ist kein Versorgungsposten, auch wenn es da innerhalb der SPD interne Absprachen dazu geben sollte."

0-Ton MONIKA GRIEFAHN: (Bundestagsabgeordnete, SPD)

"Es ist eine neue Zeit, wir gehen ins nächste Jahrtausend. Deswegen schlage ich vor, daß sich eine Frau bewirbt."

KOMMENTAR:

Es sind die Querschüsse aus der eigenen Partei, die Rau verletzen. Bei ihm, dessen Verdienste unbestritten sind, wirkt Kritik wie Demontage. Und die Parteispitze läßt die Debatte laufen, obwohl sie sich längst auf Rau geeinigt hat.

0-Ton INTERVIEWER:

"Würden Sie einen Satz zum Thema Bundespräsident noch sagen?"

GERHARD SCHRÖDER: (Bundeskanzler, 21.10.98) "Oh Gott, bestimmt. Es wird einen geben."

INTERVIEWER:

"Ja, aber Sie hatten gesagt, sobald das Kabinett schließt, werden Sie sich darum kümmern."

GERHARD SCHRÖDER:

"Ich habe überhaupt nicht gesagt, daß ich mich kümmern werde. Das ist Sache derer, die da in erster Linie mit befaßt sind. Und da gilt der alte gute Satz: Man wird dann entscheiden, wenn die Entscheidung nötig ist."

KOMMENTAR:

Nötig sei eine Frau an der Staatsspitze, sagen SPD-Politikerinnen. In den höchsten Ämtern sitzen nur Männer, der Frust wächst und damit auch der Druck auf den Kandidaten Rau.

0-Ton HANNA WOLF: (Bundestagsabgeordnete, SPD)

"Ich hoffe und erwarte eigentlich von meiner Partei, daß sie jetzt diesen Schritt ins neue Jahrtausend tut, daß der Bundespräsident eine Frau ist."

HEIDI MERK: (Bundestagsabgeordnete, SPD)

"Ich denke, da ist es wirklich an der Zeit, daß man ein modernes junges Deutschland hat, das in der Mitte des Europäischen liegt. Das haben uns ja schon Entwicklungsländer vorgemacht, daß sie an der Spitze Frauen haben, die gut sind. Dann wird es Zeit, daß ein Nichtentwicklungsland das auch macht."

KOMMENTAR:

Ginge es nach den meisten SPD-Frauen, Raus Lebenstraum wäre zerplatzt. Eine PANORAMA-Umfrage aber zeigt, daß die Bundesbürger anders denken. Auf die Frage, ob Rau zugunsten einer Frau verzichten sollte, sagen nur 34 Prozent ja. Dagegen wollen 59 Prozent, daß Rau kandidiert.

Noch größer die Zustimmung für Rau unter SPD-Wählern: Nur 32 Prozent bevorzugen eine Frau, aber 62 Prozent wollen Rau.

Wir haben auch gefragt, wie Rau im Vergleich mit Frauen abschneidet, die als Kandidaten im Gespräch sind. Für Rau votierten 42 Prozent der Bundesbürger. Platz 2 für Rita Süßmuth, weit abgeschlagen mit 15 Prozent, gefolgt von Jutta Limbach: 8 Prozent.

0-Ton INTERVIEWER:

"Glauben Sie, daß die eigene Partei noch hinter Ihnen steht?"

JOHANNES RAU:

"Dazu möchte ich mich jetzt nicht äußern, dazu kann sich diese Partei äußern, aber nicht ich."

KOMMENTAR:

Solange das nicht geschieht, melden sich fast täglich neue Parteigenossinnen zu Wort. TAGESTHEMEN am Dienstag vergangener Woche:

0-Ton RENATE RENNEBACH:

"Ich wäre sehr dafür, daß wir mit Johannes Rau reden, daß er von sich aus erklärt, daß er nicht mehr zur Verfügung steht. Und dann bin ich heftig dafür, daß es eine Frau wird."

KOMMENTAR:

Am Morgen danach sprechen Reporter Rau auf die Sendung an. Der gibt sich ganz gelassen.

0-Ton INTERVIEWER:

"Und ärgert Sie nicht, daß jetzt auch schon Hinterbänklerinnen anfangen rumzumobben und Sie auffordern, Sie sollten das Amt nicht antreten?"

JOHANNES RAU:

"Das habe ich nicht mitgekriegt, und ich blende solche Dinge aus, weil ich mit der Frage der Kandidatur gegenwärtig nicht beschäftigt bin."

KOMMENTAR:

Einen Tag später. Wie tief Rau die Forderung der Genossin Rennebach in den TAGESTHEMEN wirklich trifft, zeigt ein Gespräch am Rande. Akustisch schwer zu verstehen, deshalb genau hinhören. Ein Parteifreund fragt Rau zur Kandidatur: "Aber du machst das doch oder?" Antwort Rau: "Ja." Rau hakt sofort nach, fragt: "Wer war das?" Antwort: "Renate Rennebach." Rau will es genau wissen, er bohrt weiter: "Wer ist das, wo ist die her?" Der Genosse klärt Rau auf: Die Abgeordnete Renate Rennebach komme aus Berlin. Er bietet Rau an, alles genau aufzuschreiben. Die eine oder andere Kritikerin, sagen uns SPD-Frauen, spüre den Druck von Parteifreunden aus Nordrhein-Westfalen, eine öffentliche Debatte über Rau zu verhindern.

0-Ton INTERVIEWER:

"Die Debatte in Bonn über das Amt des Bundespräsidenten, wie empfinden Sie die?"

JOHANNES RAU:

"Ich nehme an der nicht teil, und will mich auch nicht zu dieser Frage äußern, weil ich glaube, daß eine solche Debatte würdig geführt werden muß, und je mehr dazu Stellung nehmen, desto weniger ist das gesichert."

KOMMENTAR:

Auch hier geben die Bürger Rau Recht. Auf die Frage, ob die Debatte um Raus Kandidatur angemessen geführt wird, sagen nur 30 Prozent ja, dagegen finden 49 Prozent die Debatte nicht angemessen. Etwas knapper, aber immer noch eindeutig votieren SPD-Wähler.

Daß die SPD Johannes Rau nominieren wird, gilt als sicher. Spannend wird es, wenn die CDU gegen Rau eine Frau ins Rennen schickt. Dann müssen sich die Frauen aus dem neuen Regierungslager entscheiden: entweder Parteiräson oder Frauensolidarität.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 29.10.1998 | 21:00 Uhr