Depressionen und Durchhalteparolen - Der Sommer in Deutschland

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Das war Panorama - fast. Jetzt kommt noch das, was für viele von uns am wichtigsten ist und was an den Schluß jeder guten Informationssendung gehört: das Wetter, auch wenn wir dafür noch keinen politisch Verantwortlichen gefunden haben.

Depressionen und Durchhalteparolen: Sommer in Deutschland
Reportage über die verregnete Feriensaison im Sommermonat Juli.

KOMMENTAR:

Die Ostsee bei Prerow in Mecklenburg-Vorpommern. Luft- und Wassertemperatur: 16 Grad. Bilder eines Sommers, es ist Juli.

Durchhalteparolen aus dem Regionalstudio:

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"16 Uhr und 18 Minuten Radio MV, zu Haus und unterwegs, gleich wollen wir hören, wie das Wetter in der kommenden Woche wird. Ich meine, Sie wissen ja: Es gibt eigentlich kein schlechtes Wetter, sondern nur die nicht richtig passende Kleidung."

KOMMENTAR:

Spanische Folklore vor ostdeutscher Sommerkulisse. Ein vorsichtiger Versuch, der Sonne etwas näher zu kommen. Kläglich gescheitert. Mal wieder. Ein plötzlicher Schauer beendet das musikalische Zwischenhoch. Knirpse statt Kastagnetten. Nur einige wenige hoffen noch auf eine Fortsetzung des Kulturprogramms - vergebens. Wieder einmal sind die Bemühungen der Kurverwaltung, die Touristen bei Laune zu halten, gescheitert. So hat man sich den Sommer in Prerow nicht vorgestellt. Die Stimmung schwankt zwischen Aufbrechen und Aussitzen.

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TOURISTEN:

"Ich fahre morgen nach Hause, ich komme irgendwann noch mal her, wenn das Wetter besser ist."

"Das macht doch nichts, wir haben ja einen Regenschirm da. Frische Luft ist hier, also was kann ich weiter verlangen?"

KOMMENTAR:

Auch sie sieht das ganze eher heiter. Doch die weiteren Aussichten: trübe.

Deutschlands Süden. Selbst hier: der Himmel hält sich bedeckt. Der Gipfel in Oberstdorf: Nieselregen, 5 Grad. Die Bergsteiger gehen Baden.

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TOURISTEN:

"Drei Tage Regen."

"Also Montag sind wir hergekommen bei schönem Wetter, und dann war das Wetter gemischt, aber wir haben jeden Tag etwas gemacht."

"Jetzt ist es heute ein bissel besser. Aber kein blaues Fleckle haben wir gesehen."

"Wir gehen bei Wind und Wetter, bei Regen und Sturm wandern wir oder fahren Fahrrad."

KOMMENTAR:

Vor einer Woche lag hier noch Schnee - und das mitten im Sommer. Die Gäste von Hüttenwirt Schorsch Säckel trinken dementsprechend das, was normalerweise zum Après-Ski im Winter gehört. Wärme - wenigstens von innen.

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TOURIST:

"Naja, Jägertee, heiße Schokolade mit Rum, das braucht man auch bei diesen Temperaturen."

KOMMENTAR:

Aber wer so hoch gekommen ist, der möchte sich die Stimmung auf keinen Fall vermiesen lassen."

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TOURISTIN:

"Wenn wir dann da oben stehen und den schönen Ausblick haben, und wenn es nur für eine Sekunde aufreißt und du siehst das schöne Panorama - das gibt uns so viel, also ehrlich."

KOMMENTAR:

Aber es reißt nicht auf.

Auch im Spreewald sieht es trübe aus. Der Himmel ist nur auf ihrer Schürze blau. Saure-Gurken-Zeit für das Geschäft. Aber wie so oft in Gegenden, die vom Tourismus abhängen, ist nicht das Wetter schuld, sondern die Wettervorhersage.

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KAHNFAHRER:

"Es ist ja eigentlich ein Schön-Wetter-Betrieb, diese Kahnfahrerei, und die Wettervorhersage ist entscheidend für den Betrieb und nicht das Wetter. Heute hat man auch wieder überall ringsrum Regen angesagt, und es regnet auch teilweise, und hier ist einigermaßen gutes Wetter, und es kommen dann wenig Gäste."

KOMMENTAR:

Ein ganzer Kahn voller Wetterfühligkeit.

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TOURISTIN:

"Ja, es ist sehr traurig, ein bißchen mehr als kalt. Naja, kann man nicht ändern, man hat den Urlaub gebucht, und dann muß man eben durch."

TOURIST:

"Das Wetter ist super. Wenn mir jetzt der Schweiß laufen würde, würde ich unzufrieden sein. Also wenn man jetzt am ganzen Körper - ich meine, man kann sich ja was ausziehen, aber trotzdem schwitzt man ja immer weiter."

KOMMENTAR:

Die Fährleute warten auf den Sommer - im nächsten Jahr.

Die Hochburgen blau-weißer Geselligkeit. Bayerns Biergärten - einfach abgesoffen.

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MANN:

"Sind schon Gäste da, aber es ist einfach zu wenig. Im Vergleich, was weiß ich, dreihundert, vierhundert Leut’ vielleicht, und sonst sind es über zweitausend, fünftausend Leut’, je nach dem. Das findet ja jeder zum Kotzen, schlägt aufs Gemüt. Jeder ist sauer, jeder ist - weil der Sommer fehlt."

KOMMENTAR:

Hochsommer im Schlick vor Norderney. Wattwandern an der Nordsee. Expeditionen in die Natur bei Windstärke 7.

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FRAU:

"Der tut nichts, die sind dressiert. Auf die Hand nehmen, schau, so. Jetzt hat er meinen Geruch, jetzt kennt er uns, und jetzt tut er dir nichts mehr."

KOMMENTAR:

So sieht er aus, der ganz normale Urlaubstag im norddeutschen Reizklima.

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"Ja, man macht eigentlich alles so wie immer, nur alles viel nasser."

KOMMENTAR:

Für die Camper ist das schwierig. Ferien auf zwei Quadratmetern bei Sturm und Dauerregen - ein Härtetest für die Urlauber und ihre Zelte.

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URLAUBERIN:

"Als wir hier ankamen, haben sie gesagt, hier wären einige schon weggeweht, also die sind denn hoch, und weg waren sie, auch ein großes Zelt. Und wir hatten alle diese kleinen, dünnen Heringe, hier, solche. Und jetzt haben wir so breite gekauft, und das hält."

URLAUBER:

"Wir sind hier zum Surfen hingefahren, hier klappt überhaupt nichts."

"Ungerecht, das Leben ist ungerecht."

KOMMENTAR:

Nachdem der Wind die Zelte zerfetzt hat, suchen auch die letzten Zuflucht. Sie schlafen diese Nacht im Auto.

Ein deutscher Sommer - zwischen Depression und Durchhalteparolen.

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URLAUBER:

"Man muß das mal so hinnehmen, wie es ist. Kann man nicht groß irgendwie rütteln und schütteln, man denkt: Naja, morgen wird’s wieder besser. Naja, wir werden es überstehen."

URLAUBERIN:

"Wieder auf das nächste Jahr freuen, aber, wie gesagt, es ist jetzt nicht so, daß man jetzt sagt: Mensch, das war jetzt der Urlaub, wir buchen direkt wieder und kommen im nächsten Jahr wieder, wo wir jetzt auch schon zum sechsten Mal hier sind."

URLAUBER:

"Naja, jetzt hatte ich hier schon den Strandkorb bestellt für drei Wochen, und das ist eben auch dann ein Muß."

URLAUBERIN:

"Muß man hin und wieder mal absitzen."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Eine Reportage über die wahre deutsche Misere.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 16.07.1998 | 21:15 Uhr