Ahnungslos und ferngesteuert - Hausbesuche bei DVU-Abgeordneten

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt war man zunächst allerorten angemessen schockiert über die rund 13 Prozent DVU-Wähler. Dann haben wir viele Erklärungen gehört und gelesen, wie es denn dazu kommen konnte, daß die Rechtsradikalen nun im Landtag sitzen werden. Arbeits- und Perspektivlosigkeit, eine enttäuschte und verunsicherte Gesellschaft und Menschen, besonders junge Menschen, die Schutz und Orientierung suchen. Über die, die ihnen genau das geben sollen, über die neuen politischen Hoffnungsträger im Osten, haben wir bisher noch recht wenig erfahren. Dieses Defizit wird jetzt behoben. Meine Kollegen haben Hausbesuche bei den neuen Abgeordneten gemacht.

Hausbesuche bei DVU-Abgeordneten
Ein Bericht von 1998 über die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt.

KOMMENTAR:

Auf dem Weg zu einem der frisch gewählten DVU-Abgeordneten. Reesdorf in Sachsen-Anhalt. Die Nachbarn können noch gar nicht glauben, daß einer von ihnen jetzt Landespolitiker ist und einige tausend Mark Diäten bekommen. Hier lebt er. Ob er sich die neue Aufgabe zutraut?

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HORST MERTENS:

(DVU-Landtagsabgeordneter)

"Ja, ich freu' mich, daß wir - Vorbereitung - ich bin jetzt ganz, sagen wir mal, ich war weggefahren, ich hab' mir ein Telefon geholt, und das im Haushalt mußte ich machen."

INTERVIEWERIN:

"Sie haben ja jetzt auch politische Entscheidungsbefugnis, was würden Sie denn zum Thema innere Sicherheit tun?"

HORST MERTENS:

"Sehr viel."

INTERVIEWERIN:

"Zum Beispiel?"

HORST MERTENS:

"Aber ich möchte kein Kommentar."

INTERVIEWERIN:

"Was bedeutet sehr viel?"

HORST MERTENS:

"Daß das Volk auf die Beine - auf die Beine - daß es aufgebaut wieder."

INTERVIEWERIN:

"Was wird aufgebaut?"

HORST MERTENS schweigt.

KOMMENTAR:

Wir versuchen woanders herauszufinden, was die zukünftigen Volksvertreter der DVU zu sagen haben. Hier in Magdeburg wohnt die Rentnerin Ingrid Spors. Tagsüber haben wir Pech, doch abends die Chance für ein Gespräch.

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INTERVIEWERIN:

"Frau Spors, wir möchten Sie gern -"

(Die Haustür wird geschlossen.)

KOMMENTAR:

Kein Einzelfall, auch der Abgeordnete Klaus-Dieter Weich aus Magdeburg läßt sich vertreten - durch seine Frau.

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FRAU WEICH:

"Tut mir leid."

INTERVIEWERIN:

"Warum nicht?"

FRAU WEICH:

"Tut mir leid."

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WAHLSPOT:

"Sachsen-Anhalt, laß dich nicht zur Sau machen."

KOMMENTAR:

Der Werbespot der DVU. Hier läßt sich der Spitzenkandidat interviewen.

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INTERVIEWERIN:

"Was bringt es konkret, wenn man DVU wählt?"

HELMUT WOLF:

(DVU-Spitzenkandidat)

"Für jeden DVU-Abgeordneten, der in den Landtag einzieht, muß ein Politbonze raus."

KOMMENTAR:

Auch wir wollen mit Helmut Wolf reden. In der Nähe von Bitterfeld ist er zu Hause. Aber der DVU-Spitzenmann will lieber schweigen, ruft die Polizei. Der DVU-Chef hat eben ein ganz besonderes Verständnis von der Pressefreiheit. Die Beamten können ihm nicht helfen. Filmen von der Straße ist nun mal legal, bisher wenigstens.

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POLIZIST:

"War nichts. Aufforderung zu kommen - Sie möchten das hier verlassen, das Objekt. Mit Nachdruck habe ich keine rechtliche Grundlage dafür, solange Sie nicht hier die Persönlichkeit des Herrn Wolf in irgendeiner Form gefährden."

KOMMENTAR:

Zurück in Magdeburg. Wir suchen den Abgeordneten Horst Montag, der seit dem Wahlabend offenbar verschwunden ist.

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INTERVIEWERIN:

"Wir suchen Herrn Montag."

FRAU:

"Ja, er ist nicht hier. Also komm, gehen Sie, mein Mann ist nicht da."

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WERBESPOT:

"So wird der Stimmzettel zum Denkzettel."

KOMMENTAR:

Hausbesuch bei der Wirtschaftskauffrau Veronika Brandt. Sie ist die Nummer 4 auf der Liste. Die Abgeordnete kennt sich aus mit dem DVU-Programm, etwa zur Vergangenheitsbewältigung.

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VERONIKA BRANDT:

(DVU-Landtagsabgeordnete)

"Für mich gibt es diesen Nationalsozialismus - der ist für mich überhaupt gar keine Debatte. Ich denke über sowas nicht nach, ich denke national, ich möchte in Deutschland als Deutscher leben, ich möchte deutsch sprechen, ich möchte deutsch arbeiten und deutsch denken dürfen, das ist alles, was ich möchte. Und mit Nationalsozialismus habe ich nichts abzumachen, und davor wehre ich mich auch gegen, mich darüber zu unterhalten."

INTERVIEWERIN:

"Sie sind gelernte Wirtschaftskauffrau, also Sie verstehen etwas von Wirtschaftsfragen - würden Sie denn sagen, der Westen müsse mehr Geld in den Osten, also Westdeutschland müsse mehr Geld nach Ostdeutschland pumpen?"

VERONIKA BRANDT:

"Die Frage kann ich Ihnen jetzt gar nicht beantworten, kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich, weil ich da jetzt momentan noch keinen Einblick habe."

INTERVIEWERIN:

"Wissen Sie denn, wieviel Transferleistungen schon von Westen nach Osten gegangen sind?"

VERONIKA BRANDT:

"Nein, das weiß ich nicht. Jetzt fragen Sie mich - jetzt stellen Sie mir ganz unangenehme Fragen."

KOMMENTAR:

Aber sie will die politische Arbeit erlernen.

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VERONIKA BRANDT:

"Wir sind ja auf diesem Gebiet noch nicht geschult, wir nehmen ja jetzt unsere Mandate erst an, und wir haben diese Schulung jetzt bzw. was uns dort bevorsteht im Landtag, das wissen wir ja jetzt noch gar nicht, das kriegen wir erst gesagt."

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WERBESPOT:

"So wird der Stimmzettel zum Denkzettel."

KOMMENTAR:

Wir bleiben auf dem Land. Hier in Nachterstedt wohnt der Jüngste der neun Abgeordneten, gerade 19 Jahre alt. Er ist von dem Wahlergebnis noch immer begeistert.

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MIRKO MOKRY:

(DVU-Landtagsabgeordneter)

"Also das ist unbeschreiblich, also es war ein Wahnsinn, also mit richtig Glück, Glück kann man richtig sagen und Tränen in die Augen. Und da möchte ich auch gleich hier, in den Anschluß gleich noch mich bei allen Wählern ganz herzlich bedanken. Und ich hoffe, daß wir eine gute Arbeit da im Landtag durchziehen werden."

INTERVIEWER:

"Haben Sie so eine Art Sofortprogramm für den Landtag, was Sie da machen wollen?"

MIRKO MOKRY:

"Hm, da bin ich jetzt überfragt. Also wir hatten heute unseren - erstmal unseren ersten - Fraktionsvorsitzenden, also Sitzung."

INTERVIEWER:

"Und was hat er so für Ziele als Politiker?"

MUTTER:

"Wissen Sie, ich kann Ihnen dazu auch nichts weiter sagen. Ich bin zwar die Mutter, aber -"

INTERVIEWER:

"Aber Sie haben sicher mit ihm früher mal diskutiert?"

MUTTER:

"Eigentlich - bis zum Freitag noch gar nicht so drüber, weil ich eben damit gar nicht gerechnet habe, daß er überhaupt mit aufgestellt wird und so weiter und so fort."

INTERVIEWER:

"Wie ist er denn aufgestellt worden oder wie ist er dazu gekommen?"

MUTTER:

"Ja, ich nehme an, weil er eh der Jüngste ist, die anderen sind ja alles etwas älter, und ich nehme an, das hat alles der Dr. Frey gemacht."

KOMMENTAR:

Dr. Frey, der schwerreiche DVU-Boß aus München. Sein Zögling hat auch zum Thema Geldtransfer von West nach Ost etwas zu sagen.

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MIRKO MOKRY:

"Wir müßten hier, wenn hier 'ne anständige Regierung ist, also was heißt Regierung, sondern auch 'ne deutsche Opposition wie die DVU, daß auch keine weiteren Zahlungen eigentlich mehr vom Westen erfolgen, sondern daß wir selbständig hier auch was aufbauen können durch den Geld, was wir erwirtschaften."

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WERBESPOT:

"So wird der Stimmzettel zum Denkzettel."

KOMMENTAR:

Noch ein Hoffnungsträger. Der DVU-Abgeordnete wohnt in der Nähe von Halle, in Langeneichstädt.

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TORSTEN MIKSCH:

(DVU-Kandidat)

"Ich bin stolz drauf, Deutscher zu sein, und deswegen bin ich der DVU beigetreten. Auf die Idee, zu kandidieren, bin nicht ich gekommen, sondern ein Parteifreund."

KOMMENTAR:

Auch DVU-Mann Miksch hat klare Ziele: Er möchte die Arbeitslosigkeit abschaffen.

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INTERVIEWER:

"Wie sollte das denn zum Beispiel erreicht werden?"

TORSTEN MIKSCH:

"Wie das erreicht werden sollte - da möchte ich mich jetzt drüber nicht äußern. Wenn Sie da weitere Informationen haben möchten, wenden Sie sich bitte an unseren Geschäftsführer."

KOMMENTAR:

Zum Schluß unserer Reise besuchen wir Vater und Tochter Wiechmann. Gleich beide wurden zu Landtagsabgeordneten gewählt - Familienglück.

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CLAUDIA WIECHMANN:

(DVU-Landtagsabgeordnete)

"Ich liebe meine Heimat, ich liebe Deutschland, und ich möchte, daß Deutschland weiter uns Deutschen gehört, daß die Deutschen hier in Deutschland weiter bestimmen sollen."

KOMMENTAR:

Der Vater wird der neue Alterspräsident im Landtag und dort die Eröffnungsrede halten. Eigentlich ist er begeisterter Hobbyhistoriker, doch er redet auch gern über Wirtschaftsfragen.

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RUDI WIECHMANN:

(DVU-Landtagsabgeordneter)

"Ich habe allen Leuten gesagt: Kauft keinen Audi und keinen VW. Die wollten hier ein Motorenwerk bauen, das machen sie in Ungarn, also die sollen bitte auch ihre Autos in Ungarn verkaufen."

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WERBESPOT:

"So wird der Stimmzettel zum Denkzettel."

KOMMENTAR:

Zurück bei dem Abgeordneten Horst Mertens. Ihn beschäftigen jetzt die großen Fragen.

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HORST MERTENS:

"Das deutsche Volk - wird sich nicht auswechseln lassen - das deutsche Volk wird die Regierung auswechseln. Und wir sind dazu da, daß das deutsche Volk nicht ausgewechselt wird. Ich meinte, so, so kann man das so formulieren."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

An dieser Stelle, nach diesem Film, fällt mir der DVU-Parteivorsitzende Frey ein, der vor zwei Tagen sagte, seine Partei schicke - so wörtlich - "erstklassige Leute und nur diese" in den Landtag, eine "Zierde des Parlaments" seien sie. Die wollten wir Ihnen nicht vorenthalten.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 30.04.1998 | 21:00 Uhr