Verbrechen lohnt sich - Wie Mörder und Bankräuber von Medien abkassieren

von Bericht: Ilka Brecht, Jochen Graebert und Stephan Wels

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Presseausweis, Kugelschreiber und Ringbuch liegen auf einer Tastatur © picture alliance/chromorange Foto: CHROMORANGE / H. Richter

Verbrechen bringen Auflage, Einschaltquoten und volle Kinokassen - eine alte Medienweisheit. Klar, ekelerregende Gewalt in handliche Portionen zerstückelt und gut verpackt, so ist sie erträglich, ja geradezu unterhaltend für uns, ein angemessen angewidertes Publikum, das ansonsten auch schon viel erlebt hat. Und, mal ehrlich: Faszinierend ist das erst recht, wenn es sich nicht um bunte Fiktion, sondern um einen echten Killer handelt.

Serienmörder werden hier in Deutschland zunehmend zu Medienstars, zu teuflischen Zeremonienmeistern des Todes. Ob Titelblatt oder Talkshow, der Mörder wird zur Killer-Ikone, der Bankräuber zum diabolisch-charmanten Rosenkavalier. Und die Fratze des Grauens bekommt so ein menschliches Gesicht.

Medien, Anwälte und Verbrecher machen aus Perversionen eine Goldgrube, und die Opfer gehen leer aus - das berichten Ilka Brecht, Jochen Graebert und Stephan Wels.

KOMMENTAR:

Thomas Holst, dreifacher Frauenmörder, will heiraten - trotz Handschellen. Die Auserwählte ist seine frühere Therapeutin. Einen Sponsor hat der Heidemörder offenbar auch gefunden: Gerüchten zufolge soll es RTL sein. Quote mit einer Knasthochzeit. Für die Exklusivrechte soll sich Hilmer Rolff, Magazinchef bei RTL, interessieren. Von 120.000 Mark ist die Rede. Den Reiz der Holst-Hochzeit beschreibt er so:

O-Ton

HILMER ROLFF: (RTL-Magazinchef)

"Holst ist ein Monster, würde ich mal sagen, und man möchte gerne wissen, was motiviert eine scheinbar normale Frau, ein Monster zu ehelichen, und was treibt dieses Monster, das brutal Frauen gemetzelt hat, dazu, jetzt eine Hochzeit einzugehen mit seiner Therapeutin?"

KOMMENTAR:

Wie man ein Monster erfolgreich vermarktet, weiß diese Frau ganz genau: Elke Ochs-Gruissem, Anwältin des siebenfachen Mörders Thomas Rung. Seine Geschichte hat sie sowohl an RTL, als auch an den "stern" verhökert. Kaum war Rung verhaftet, erfuhren die Leser aus erster Hand, wie Rung seine Opfer ermordet hat. Was zahlte der "stern" für Deutschlands brutalsten Mörder?

INTERVIEWER:

"Der Gesamtumfang bewegte sich unter 100.000 Mark?"

THOMAS OSTERKORN: (stern-Ressortleiter)

"Ja, deutlich."

INTERVIEWER:

"Aber auch deutlich über 10.000?"

THOMAS OSTERKORN:

"Ja."

INTERVIEWER:

"Könnte bei 50.000 gelegen haben?"

KOMMENTAR:

Frank Kussatz, ein Leidtragender der Mordserie. Seine Lebensgefährtin wurde vor zwei Jahren von Rund vergewaltigt und ermordet. Seitdem versorgt er die zwei Kinder allein. Das Verbrechen wird er wohl nie verwinden. Während der Mörder Rung zum Medienstar avancierte, hat sich bis heute um ihn kaum jemand gekümmert.

O-Ton

FRANK KUSSATZ: (Angehöriger)

"Es ist leider Gottes so, daß die Täter eine Wahnsinnslobby haben, die Leute ja auch wahnsinnig dran interessiert sind, ständig über die Täter was zu lesen, was zu sehen, was zu hören. Und um die Opfer oder die Hinterbliebenen schert sich keiner, das interessiert eigentlich auch gar keinen, das interessiert eigentlich auch gar keinen, das interessiert gar keinen, denn da ist nichts Action, da ist nur Leid, Leid will keiner sehen."

KOMMENTAR:

Statt dessen machte Rung mit seinen Grausamkeiten Kasse, verkaufte sich auch als liebevoller Vater. Die Angehörigen seiner Opfer gingen leer aus. Trotz des hohen Honorars: keinen Pfennig Schmerzensgeld hat Frank Kussatz bisher gesehen.

O-Ton

FRANK KUSSATZ:

"Mein Anwalt hat sofort in Verbindung mit der Staatsanwältin, mit der damaligen Staatsanwältin, versucht, gleich aufzuklären: wo sind die Gelder hin. Und die Staatsanwältin sagte dann eben halt bloß: Das ist in die Taschen der Verteidiger geflossen, von dem Geld wäre nichts mehr da."

KOMMENTAR:

Auch er konnte sich eine teure Verteidigung leisten: der Bankräuber und Geiselnehmer Sebastian Vierrath. Den spektakulären Coup der Berliner Tunnelgangster verkaufte Vierraths Anwalt als dreiteilige Serie an den "stern". Was zahlte das Blatt für dieses Gewaltverbrechen?

O-Ton

THOMAS OSTERKORN: (stern-Ressortleiter)

"Also weit über 10.000 Mark, aber weit unter 100.000 Mark, also irgendwo in der Mitte."

INTERVIEWER:

"Wollen Sie es uns sagen?"

THOMAS OSTERKORN:

"Nee."

KOMMENTAR:

Der Bankraub, die spektakuläre Geiselnahme, der Trick mit dem Tunnel - eine Traumstory für die Medien, ein Trauma für die Geiseln.

O-Ton Radio

GEISEL:

"Wir sind hier seit fast acht Stunden, die sind schwer bewaffnet, und die machen keine Späße, und wir liegen hier auf dem Boden. Es muß was passieren, wir haben Angst."

KOMMENTAR:

17 Stunden waren die Geiseln in der Gewalt der Gangster. Eines ihrer Opfer: Christine Liere. Für sie unvorstellbar, daß ihr Peiniger mit der Tat Geld verdient."

O-Ton

CHRISTINE LIERE: (Geisel)

"Zum einen, weil er ja im Prinzip ein Angeklagter, ein Täter war, finde ich das unmöglich, daß der daraus einfach Kapital schlägt, das finde ich erstmal schon in allererster Linie. Und zum zweiten finde ich, animiert es ja auch ein bißchen, denke ich mal, Außenstehende, die vielleicht ähnliche Gedanken haben, mal sowas zu machen: Da können wir ja noch richtig bei verdienen, dann bleiben wir eben ein paar Jahre, sitzen wir eben, und dann haben wir nachher noch ein bißchen Geld, das ist doch toll."

KOMMENTAR:

Der "stern"-Artikel diente Vierrath auch zur Image-Pflege. Eine home-story über den netten Bankräuber von nebenan. So haben die Geiseln den Täter nicht erlebt. Auf sie wirken diese Fotos wie Hohn.

O-Ton

CHRISTINE LIERE:

"Er war unberechenbar meiner Meinung nach, für mich unberechenbar. Ich wußte nicht, was der im nächsten Moment macht, weil der ist da aufgetreten wie der Boß, und eben so ein bißchen Brutalität schon so in seinem ganzen, ja, was er gesagt hat und wie er sich benommen hat. Also das war eine brenzlige Situation mit dem. Also am liebsten war es mir, wenn ich den nicht gesehen habe, wenn er weit weg war."

KOMMENTAR:

Für die Leiden von Geiseln gibt es selten viel Schmerzensgeld. Und für Auflage und Quote sorgen exklusiv die Täter.

O-Ton

DIETER EPPENSTEIN: (Weißer Ring)

"Die eindeutigen Gewinner auf dieser Seite sind auf der einen Seite die Medien, die damit ihre Auflagen steigern, und - das darf man nicht vergessen - es sind die Anwälte, die hier quasi als die Makler dazwischen diese Geschäfte einfädeln und dann in Form von Honoraren nicht schlecht verdienen."

KOMMENTAR:

Jizak Goldfine vermakelt Straftäter wie andere Immobilien. Ein Interview kam nicht zustande, telefonisch nannte er PANORAMA Zahlen.

Beispiel Thomas Holst: Seinen Marktwert in Deutschland taxiert Goldfine auf 150.000, in den USA auf 3 Millionen. Goldfine will die Geschichte des Heidemörders in Hollywood verkaufen.

Beispiel Jürgen Schneider: Auch ihn betreute Goldfine. Seinen Marktwert schätzt er auf rund zehn Millionen Mark.

Sein größter Coup: Mathias Rust, der Kreml-Flieger. Der habe rund 300.000 gebracht, sagt Goldfine. Rust hatte auf eine 18-Jährige mit einem Messer eingestochen, das Mädchen überlebte nur knapp.

Noch vor Haftantritt war Rust schon wieder Medienstar. Sein Jawort vor laufenden Kameras.

Das junge Glück, inszeniert vom Fernsehsender Premiere wie großes Kino. 130.000 Mark Medienhonorare wurden damals aktenkundig. Als das Opfer Schmerzensgeld verlangte, spielte Rust die arme Kirchenmaus, wollte nicht zahlen. In Hamburg versuchte der Anwalt des Rust-Opfers monatelang, die geflossenen Gelder aufzuspüren. Täter, Medien, Vermittler - alle schwiegen. Der Opferanwalt befand sich in einer paradoxen Lage.

O-Ton

FALK VOGLER: (Anwalt Rust-Opfer)

"Ja, eigentlich in der absurden Situation eines Ermittlers insoweit, als das Opfer sehen mußte, wie es hinter dem Anspruch, Schmerzensgeldanspruch, herläuft, d. h. wie es ihn realisieren kann. Und Herr Rust hatte damals alles getan, um zu verschleiern, daß diese Gelder, die er ganz offensichtlich von Medien empfangen hat, zutage gefördert wurden."

KOMMENTAR:

Luxus-Flitterwochen in der Karibik. Während Rust an Traumstränden plantscht, hat sein Opfer noch immer keinen Pfennig gesehen, drei Jahre nach der Tat. Als Beweise für seine Honorare auftauchen, will Rust sein Opfer billig abspeisen: 30.000 Mark sind mehr als genug, findet er.

O-Ton

MATHIAS RUST:

"Ich meine, 30.000 Mark ist sehr, sehr viel Geld. Ich meine, andere Leute in meinem Alter - wer hat das? Keiner hat das. Für einen Studenten 30.000 Mark, das ist ein unbeschreibliches Vermögen. Ich meine, irgendwann muß man sich zufrieden geben, man kann mich nicht ausquetschen wie eine Zitrone."

KOMMENTAR:

Gequetscht haben andere: Jizak Goldfine zum Beispiel, der Medienmakler, dem die Hochzeitsreise sichtlich Spaß macht. Laut Rust kassierte er fünfzig Prozent, macht 65.000 Mark. Ein abgekartetes Spiel.

O-Ton

FALK VOGLER: (Anwalt Rust-Opfer)

"Die Medien haben einen Trick insoweit angewandt, als sie mit Herrn Rust oder einem seiner Hintermänner - in diesem Fall muß man das wohl so sagen - die Verträge abgeschlossen haben, so daß Herr Rust nach außen nicht in Erscheinung getreten ist, und dann natürlich sagen konnten, Herr Rust hat von uns kein Geld zu bekommen."

KOMMENTAR:

Gegen dieses Kartell von Medien, Vermittlern und Tätern wagen die wenigsten Opfer, ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen. Jahrzehntelang duldete die Rechtsprechung diesen Mißstand. Jetzt soll ein neues Gesetz den Opfern helfen. Künftig, so der Entwurf, müssen Straftäter und Medien gezahlte Honorare offenlegen. Das Geld wird so lange eingefroren, bis die Schmerzensgeldansprüche der Opfer vor Gericht geklärt sind.

Da muß der Heide-Mörder sich mit seiner Hochzeit beeilen, denn wenn das Gesetz in Kraft tritt, hätten die Angehörigen seiner Opfer Anspruch auf das Medienhonorar.

Doch selbst wenn Verbrecher ihre Honorare offenbaren - sie bleiben Gewinner, denn im Verhältnis zu dem, was die Täter kassieren, bekommen die Opfer nur Kleingeld.

O-Ton

FALK VOGLER: (Anwalt Rust-Opfer)

"Wenn man bedenkt, daß für eine schwere Vergewaltigung mit oftmals jahrelangen psychischen Folgen über Beträge gesprochen wird von 10.000 Mark oder 7.000 Mark oder in ähnlichen Größenordnungen, und wenn man bedenkt, daß ein 15jähriger Junge, der einen Kopfschuß erlitten hat, nachher mit 45.000 Mark davonkommt, obwohl er lebenslänglich behindert ist, bis zu hundert Prozent möglicherweise, dann sind das also extrem niedrige Beträge, die in keinem Verhältnis stehen zu dem, was die Täter abkassieren für Taten, die spektakulär genug sind."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Und wir, das Publikum? - wir goutieren das Grauen, genießen es und hassen uns dafür.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 20.02.1997 | 21:00 Uhr