Schwulenhatz im Park - Wie Jugendliche Homosexuelle tyrannisieren

von Bericht: Gita Ekberg

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Geballte Faust. © picture-alliance/Lehtikuva Foto: Vesa Moilanen

Wie finden Sie das? Da gehen zwei Menschen Hand in Hand durch einen Park, weil sie sich mögen, vielleicht sogar lieben. Dann kommen ein paar Jugendliche, fühlen sich dadurch provoziert und schlagen ohne Vorwarnung zu. Das Paar bleibt blutend am Boden liegen. "Scheiß-Schwule", rufen die Angreifer, bevor sie wegrennen. Das Paar, das friedlich durch's Grüne schlenderte, waren zwei Männer. Eine Ausnahme? Es sollte eine sein, aber jeder dritte Schwule wird im Laufe seines Lebens mindestens einmal Opfer von Gewalt oder Bedrohung. Für ignorante und engstirnige Schlägertrupps ist schwul gleich vogelfrei.

Gewalt gegen Schwule
Bundesweit werden im Jahr rund 30 Morde an Schwulen verübt. Panorama berichtet 1997 über die Gewalttaten und Brutalität.

Ein Film von Gita Ekberg.

KOMMENTAR:

Mord an einem Schwulen, in einem Appartementhaus in Hamburg. Die Täter stachen mit einem Küchenmesser auf ihr Opfer ein, immer wieder. Dann schnitten sie ihm den Penis ab. Die Täter: Jugendliche, der jüngste ist gerade erst 15 Jahre alt. Noch Stunden nach dem Gemetzel feierten sie in der Wohnung, neben der Leiche. Fast immer sind es Jugendliche, die gegen Schwule gewalttätig sind.

Einer der wenigen, die sich über Jahre mit solchen Tätern befaßt haben, ist Jens Uhle. Er befragte sie im Knast, veröffentlichte ihre Aussagen in dieser Studie.

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DR. JENS UHLE:

(Psychotherapeut)

"Es wird Gewalt in gewisser Weise erotisiert, es ist geil, einen Schwulen zu schlagen, es macht Spaß. Und die Opfer werden in gewisser Weise entmenschlicht, das ist kein Mensch. Einer sagte: "Auf jeden Fall haben wir mehr geschlagen als bei den normalen Überfällen und überall getreten, das war uns egal gewesen. Wir haben uns so benommen, als ob es kein Mensch ist."

KOMMENTAR:

Allein in Hamburg leben 100.000 Schwule. Einer ihrer Treffpunkte: das Café Gnosa. Hier sorgen Überfälle für Gesprächsstoff. 3.500 Taten in der Hansestadt, jedes Jahr. Dazu stellt jeder seine eigenen Überlegungen an.

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KAI REINECKE:

(Café Gnosa)

"Wenn solche Situationen anfangen, gibt man lieber klein bei, gibt sich gar nicht erst als Schwuler zu erkennen, hält man lieber die Klappe und zieht sich zurück. Da gibt es irgendwann den Punkt, wo man genau weiß, wenn man nicht reagiert, ist es auch nicht besser, auch wenn man die Gefahr läuft, irgendwie einen auf die Fresse zu kriegen."

KOMMENTAR:

Doch das bleibt eine theoretische Überlegung. Schwule wehren sich selten, stehen der Gewalt jugendlicher Gruppen hilflos gegenüber. Täter beschreiben das so:

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DR. JENS UHLE:

(Psychotherapeut)

"'Hätten die sich gewährt und so, das wäre okay gewesen, und dann hätten wir sogar abgelassen von denen. Dann hätten wir den akzeptiert, voll akzeptiert. Dann hätten wir auch ein paar Mal zugeschlagen, hätten wir eben wirklich bloß einmal gemacht, hätte der sich gewehrt.' Wenn das Opfer das nicht tut, ist es halt nicht Mann, und es muß ihm beigebracht werden, wie sich Männer verhalten, nämlich stark, hart zu sein. Und dann ist das Opfer vogelfrei gewesen."

KOMMENTAR:

Vor einem Jahr wurden er und sein Freund auf offener Straße brutal zusammengeschlagen. Einziges Motiv: der Haß auf Schwule. Die Armbrüche sind verheilt, das Trauma bleibt.

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OPFER:

"Bis heute ist es halt immer noch so, daß ich mich halt immer noch nicht frei in der Öffentlichkeit bewegen kann, weil ich immer Angst habe, es könnte jemand kommen, gleich auf mich zukommen, wenn ich zum Beispiel mit meinem Freund Hand in Hand gehen würde oder ihn auch umarmen würde, ja, oder sonstige Zutraulichkeiten, sag' ich mal. Das ist weg, also diese Unbekümmertheit, diese Unbeschwertheit, das ist weg, das geht nicht mehr."

KOMMENTAR:

Nur wenige Schwule, die Opfer von Gewalt werden, können offen darüber reden, zu tief sitzt die Scham. Fast immer wird die Tat von wüsten Pöbeleien und Beschimpfungen begleitet.

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OPFER:

"Auf der Straße wurde ich von ihnen beschimpft als schwule Sau - "Wir stechen dich ab". Und während dieser Beschimpfungen wurde ich dann von ihnen angegriffen, Faustschlag ins Gesicht, unter weiteren Beschimpfungen. Nachdem die Leute von der anderen Straßenseite schon aufmerksam wurden, gelang es mir dann auch, wegzulaufen."

KOMMENTAR:

Zerstörungswut und Intoleranz schlägt den Männern entgegen. Die Täter können das Anderssein nicht einordnen. Auszug aus dem Protokoll:

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DR. JENS UHLE:

"'Ich sage immer zu denen Fotzen, eine Fotze ist kein Mann für mich, weil das hat eine Frau, und ich sage das zu ihnen, und er ist für mich eine Frau, also nicht Frau, ich hasse den ja, ich mag die nicht, ich mag keine Schwulen.'"

KOMMENTAR:

Polizei am Tatort. Spurensicherung. Häufigste Tatwaffen sind Messer. Jedes Jahr dreißig Morde an Schwulen in Deutschland. Was nicht ins Weltbild paßt, wird zerstört. Jeder dritte Schwule wird mindestens einmal in seinem Leben Opfer von Gewalt. Oft schleichen sich die Täter unter einem Vorwand in die Wohnung. Dann schlagen sie zu. Weil sie nicht entdeckt werden, bleiben sie dabei und werden Serientäter. Denn sie wissen genau: das Risiko, gefaßt zu werden, ist gering - Schwule zeigen kaum an.

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MICHAEL SCHMIDT:

(Schwulenverband)

"Das hat zum großen Teil sicherlich damit zu tun, daß Homosexualität immer noch tabuisiert wird. Es wird zwar insgesamt sehr viel darüber geredet, aber bei den Opfern handelt es sich häufig auch um Menschen, die keine schwule oder homosexuelle Identität haben, die also in Familien leben oder auf dem Lande leben, die ihren Angehörigen nicht gesagt haben, daß sie schwul sind, die ihr Coming out eben nicht hatten, die verdeckt leben."

KOMMENTAR:

Kriminalkommissariat 1 in Essen. Ort einer stundenlangen Vernehmung. Hier packte ein Jugendlicher aus: 400 Überfälle auf Schwule, in anderthalb Jahren. Jeden Tag ein Überfall. Nur vierzig der Taten waren von den Opfern angezeigt worden. Die Angst, zur Polizei zu gehen, ist immer noch groß. Bis vor wenigen Jahren war Homosexualität strafbar, gehörte die Polizei zu den Verfolgern. Heute soll sie schützen.

Schwulenverband und Polizei. Gemeinsame Plakataktion in Nordrhein-Westfalen, gemeinsam gegen Gewalt. In fast allen deutschen Großstädten benannte die Polizei Schwulenbeauftragte aus ihren eigenen Reihen, Ansprechpartner für Opfer.

In der blauweißen Hauptstadt München ticken die Uhren wieder mal anders. Hier ist die Polizei auf einem völlig anderen Trip. Vor vier Wochen wurde dies auch bundesweit bekannt.

Stadtteil Schwabing. Die öffentliche Toilette am Elisabethplatz. Ein Schwulentreffpunkt. Nachts um eins. Ein 51jähriger Lehrer aus Berlin, Tourist in München, mußte einfach mal aufs Klo. Stockdunkel war es hier, das Licht defekt. Er tastet sich vor. Er ist nicht allein. Zwei Polizisten in Zivil warten hier offenbar auf Kundschaft. Wie aus dem Nichts krachen Schläge auf den Kopf des Mannes. Mit einer großen Taschenlampe schlagen sie ihn brutal zusammen.

Die Polizisten schleppten ihn schwerverletzt in die Wache, quälten und demütigten ihr Opfer weiter. Ein Szenario wie im Folterkeller. Er durfte nicht einmal auf die Toilette, machte sich in die Hose. Sein Anwalt erzählt:

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ANDREAS GROB:

(Rechtsanwalt)

"Er war, wenn ich mal sagen darf, fix und fertig. Er hat ausgeschaut, das war furchtbar. Er hatte ein völlig demoliertes Gesicht. Ich habe ihm dann noch mal geraten, daß er sich da fotografieren läßt. Er hatte über die Nase so Bapperl von den dreifachen Nasenbeinbrüchen. Es hat geheult. Ich habe mit ihm ganz vorsichtig umgehen müssen, weil der ganz offensichtlich unter Schock stand, der steht auch jetzt noch unter Schock. Er hat Angstzustände in der Nacht, er erbricht, er hat nachts Angst, daß er überfallen wird, er fürchtet sich vor der Dunkelheit. Ein erwachsener Mann, der sonst mitten im Leben steht, auch verbeamtet ist - seitdem völlig gebrochen."

KOMMENTAR:

Nomen est Omen. Die Polizei hat's nicht nötig. Trotz einstimmiger Beschlüsse des Stadtrats wird kein Schwulenbeauftragter ernannt. Ein kompetenter Ansprechpartner stand für uns nicht zur Verfügung. Das zugesagte Interview wurde kurzfristig abgesagt - eben die bayerische Art

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Der Umgang mit Minderheiten - ein Gradmesser für Demokratie.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 03.04.1997 | 21:00 Uhr