Der Absturz des Zeppelins Hindenburg - Neue Enthüllungen nach sechzig Jahren

von Peter Bardehle

Anmoderation:

CHRISTOPH LÜTGERT:

Gar nicht erst der Versuch einer Überleitung, sondern ganz einfach Ansage eines anderen Themas.

Der Zeppelin LZ 129 "Hindenburg" in einer Luftschiffhalle auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen im Jahr 1937. © picture-alliance / dpa Foto: Goettert

Gestern wurde in Friedrichshafen am Bodensee die Wiedergeburt des Zeppelin gefeiert. Die fliegende Zigarre mag im Düsenzeitalter altmodisch wirken, sie soll aber neue Perspektiven für die Luftfahrt eröffnen. Und fast auf den Tag genau vor sechzig Jahren ging der Renommier-Zeppelin "Hindenburg" im amerikanischen Lakehurst bei New York in Flammen auf. Ein Trauma für Nazi-Deutschland, das der Welt mit dem Riesenluftschiff imponieren wollte. Aber erst jetzt, sechzig Jahre nach dem unvergessenen Flammeninferno von Lakehurst, hat ein Wissenschaftler der US-Raumfahrtbehörde NASA die wirkliche Ursache für die Katastrophe herausgefunden.

Peter Bardehle berichtet.

KOMMENTAR:

New York, 6. Mai 1937, kurz vor der Katastrophe.

0-Ton

Amerikanischer Film:

"The German Zeppelin 'Hindenburg', queen of the skies..."

KOMMENTAR:

Die "Hindenburg", der Stolz des Dritten Reiches. Nichts läßt auf das Inferno schließen, das den 97 Menschen an Bord bevorsteht.

0-Ton

Amerikanischer Film

KOMMENTAR:

Die Katastrophe von Lakehurst, gefilmt vor sechzig Jahren - jetzt erstmals zu sehen in den Fernsehfarben von heute.

Ein deutscher Traum ging zu Bruch. Ein mysteriöser Absturz, der nie richtig aufgeklärt werden konnte. War es Sabotage, eine Bombe oder ein Konstruktionsfehler deutscher Ingenieure? Binnen weniger Minuten nur noch Schrott und Asche. 35 Passagiere sterben in den Flammen. Viele Augenzeugen haben den Geruch lichterloh brennender Menschen noch sechzig Jahre danach in der Nase.

0-Ton (Übersetzung)

FRAU:

"Der Geruch von menschlichem Fleisch, den werden Sie nie wieder los."

KOMMENTAR:

Lakehurst, 100 Kilometer entfernt von New York, heute, sechzig Jahre nach der Katastrophe, ein verschlafenes Nest. An seine goldene Zeit als größter Luftschiffhafen der Welt erinnern nur die Geschichten der Veteranen. In ihrem Stammlokal, bei McDonald's, hat ein Wandmaler die "Hindenburg" künstlerisch verewigt. Die Hakenkreuze mußten nach Beschwerden jüdischer Nachbarn überstrichen werden. Das Luftschiff durfte bleiben. Immerhin wurde Lakehurst durch die "Hindenburg" erst bekannt.

Am Nachmittag auf der Marinebasis. Hier gedenken die Veteranen einmal im Jahr der Toten aus der "Hindenburg". An der Stelle, wo am 6. Mai 1937 die ersten Teile des deutschen Luftschiffs auf den Boden schlugen. Schmerzhafte Erinnerungen:

0-Ton

WERNER FRANZ:

(Kabinenjunge der "Hindenburg")

"Das war schon schlimm, für einen 14jährigen Buben war es halt besonders schlimm. Das hat sehr lange angehalten, und jedes Erlebnis, ob das nun die Verschiffung der Toten war oder nachher die Feier, die Abschiedsfeier, an Bord des Schiffes, an Bord der "Europa", das hat uns immer wieder so mitgenommen, daß wir doch schwer darüber hinwegkamen. Heute, wenn ich darüber spreche, ist mir das noch nicht angenehm."

KOMMENTAR:

Werner Franz vor sechzig Jahren, mit 14 das jüngste Besatzungsmitglied der "Hindenburg".

Die Katastrophe schockiert die ganze Welt. Tausende nehmen im New Yorker Hafen Abschied, viele mit Hitlergruß. Manche glauben zu diesem Zeitpunkt an Sabotage, an einen Anschlag auf das Deutsche Reich.

0-Ton (Übersetzung)

VERNA THOMAS:

(Augenzeugin)

"Ich habe immer gesagt, das war Sabotage. Das Schiff hatte zwölf Stunden Verspätung und wäre längst wieder draußen über dem Ozean gewesen. Es war zwölf Stunden verspätet. Tut mir leid, Sabotage. Aber das denken die meisten Leute hier in Lakehurst."

KOMMENTAR:

Der Grund für die Bombentheorie: Hitlers Politik. 1936 - die Olympischen Spiele in Deutschland. Hitler will eine Großmacht präsentieren. Die gewaltigen Zeppeline passen ihm da gut ins Konzept. Bei Großveranstaltungen kreuzt die "Hindenburg" als Werbeträger für das Hakenkreuz - hier über dem Berliner Olympiastadion. Die Nazis mißbrauchen die Faszination, die von den Himmelsgiganten ausgeht - eine Faszination, die noch heute spürbar ist im Zeppelin-Museum Friedrichshafen. Dort wurden 33 Meter "Hindenburg" nachgebaut.

0-Ton

DR. WOLFGANG MEIGHÖRNER:

(Zeppelin-Museum Friedrichshafen)

"Hier haben wir die Waschgelegenheit, ein ganz früher Kunststoff. Das wurde alles aus Ersparnisgründen für Raum und Gewicht so gemacht. Man konnte es klappen. Hier ist alles nach den Originalvorlagen rekonstruiert worden, und so war es eben auch an Bord der LZ 129 'Hindenburg'. Hier haben die Passagiere die Freizeit an Bord verbracht, versorgt mit Kaffee, Champagner und einer guten, benutzerfreundlichen Crew. Man konnte auch die wunderschönen Panoramafenster für eine Aussicht benutzen hier."

0-Ton Film:

"Über hundert Fahrgäste sind an Bord. Der geräumige Speisesaal."

0-Ton

EDITH DIECKMANN:

(Passagierin)

"Das Wunderbare am Fliegen des Luftschiffes ist ja, daß, wo es interessant ist, einfach die Motoren abgestellt werden und man alle Geräusche von unten hört, zum Beispiel das Klingeln der Radfahrer und das Jubeln der Kinder, wenn man über die Schulen und die Schulhöfe flog, dann hörte man das Geschrei und das Jubeln der Kinder."

KOMMENTAR:

Das letzte Bild der "Hindenburg". Lakehurst, der Tag danach. In dem Haufen aus verkohltem Aluminiumschrott suchen Luftfahrtexperten nach der Unfallursache. Sabotage oder Konstruktionsfehler? Viele Spekulationen, wenig Konkretes.

Der Bericht der Untersuchungskommission legt keine exakte Ursache fest. Dabei ist zumindest deutschen Wissenschaftlern klar, daß etwas mit dem Luftschiff nicht in Ordnung war. Das Kommissionsmitglied Professor Dieckmann, hier mit seiner Frau, stellt umfangreiche Versuche an, auch im Vergleich mit anderen Luftschiffen. Ergebnis: ein physikalischer Defekt der "Hindenburg". Im nachgebauten Rauchsalon der "Hindenburg" in Friedrichshafen bestätigt Edith Dieckmann, daß die deutschen Wissenschaftler mehr wußten, als damals in der Zeitung stehen durfte.

0-Ton

EDITH DIECKMANN:

(Passagierin)

"Als mein Mann aus Lakehurst zurückkam, versuchte er gleich in seinem Institut, Versuche im Modell zu machen, und zwar einmal mit der Haut vom Luftschiff 'Graf Zeppelin' und einmal mit der Haut vom 'Hindenburg'. Es ging so vor sich, daß die Haut naßgemacht wurde und dann elektrisch geladen wurde. Und da passierte Erstaunliches, daß beim 'Grafen Zeppelin' eben nichts passierte und beim Luftschiff 'Hindenburg' jedes Mal die Explosion."

KOMMENTAR:

Ohne daß es die Öffentlichkeit erfuhr - in Friedrichshafen zog man nach der Katastrophe Konsequenzen. Beim Schwesterschiff der "Hindenburg" sollte sich zwischen Außenhaut und Gerippe keine elektrische Spannung mehr aufbauen.

Während die Weltpresse ausführlich über die Ursachenforschung berichtete, blieb die Öffentlichkeit in Deutschland uninformiert. Die Nazis hatten kein Interesse daran, deutsche Technik in Frage zu stellen.

0-Ton

EDITH DIECKMANN:

"Es ist ja dann wohl immer noch ein gewisses Geheimnis drum geblieben. Man wollte es nicht unbedingt an die große Glocke hängen. Einmal hatte es wohl Prestigegründe für Deutschland und zum zweiten auch Versicherungsgründe."

KOMMENTAR:

Versicherungsbetrug? - sechzig Jahre später nicht mehr nachzuweisen. Aber es gibt neue Erkenntnisse über die Unglücksursache, festgestellt - kurioserweise - im amerikanischen Raumfahrtzentrum Cape Canaveral. Was aussieht wie ein Zeppelin, ist der Treibstofftank eines amerikanischen Space Shuttle. Er enthält, ebenso wie die "Hindenburg", gefährlichen, hochexplosiven Wasserstoff.

0-Ton

Start Space Shuttle:

"Five, four, three, two, one, zero and lift-off of the space shuttle 'Endeavor' observing the changes of planet earth."

KOMMENTAR:

Der langjährige NASA-Manager Addison Bain ist ein Zeppelin-Fan und wollte ein für allemal die Ursache der Lakehurst-Katastrophe aufklären. In seinem Labor brannte er Fetzen der Außenhaut der "Hindenburg" ab und stellte fest, daß der Stoff Feuer fing wie ein trockener Heuhaufen. Eine leicht brennbare Haut, durch einen winzigen Funken entzündet - eine neue Theorie zur Unglücksursache. Auf der ganzen Welt bettelte sich Bain Stoffetzen alter Luftschiffe für seine Untersuchungen zusammen. Für den NASA-Forscher Bain steht jetzt fest, daß ein neuer Lackanstrich, der die "Hindenburg" vor Sonnenlicht schützen sollte, schuld an der Katastrophe ist. Weder die Physik noch die Chemie der Farbe stimmte, und es gab keine Erfahrung mit dem neuen Farbstoff - bis zur Katastrophe von Lakehurst.

0-Ton (Übersetzung)

ADDISON BAIN:

(NSAS-Forscher)

"Das Unglück wird immer wieder gezeigt, so daß die Bilder nicht aus unserem Gedächtnis verschwinden werden, wie die 'Challenger' und die 'Titanic'. Aber vielleicht ändert sich jetzt die Meinung über den Wasserstoff als Unglücksursache der 'Hindenburg', und darauf kommt es mir an."

KOMMENTAR:

Drei Jahre lang hat Addison Bain geforscht, achtzig Stoffstücke untersucht. Erst jetzt wissen wir, warum die "Hindenburg" in nur wenigen Sekunden von vorne bis hinten in Flammen stand. Schuld war nicht der Wasserstoff, sondern der Außenlack. Die Akte Lakehurst kann jetzt geschlossen werden - nach sechzig Jahren.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 24.04.1997 | 21:00 Uhr