Kindergeld - Sture Bürokraten schröpfen Geschiedene

von Bericht: Stephan Wels

nmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

D-Mark, Scheine und Münzen © picture-alliance / dpa Foto: Nestor Bachmann

Haben wir uns eigentlich schon so ganz und gar daran gewöhnt, daß uns der Fiskus unser hartverdientes Geld mit allen Mitteln aus der Tasche zieht? Es gibt jetzt wieder eine neue Variante: Der Staat zahlt Kindergeld und holt es sich bei Geschiedenen auf ganz perfide Art zurück, zumindest teilweise. Ein neues Gesetz macht's möglich. Aber, so fragen wir uns, wer beschließt eigentlich so einen Unsinn und führt ihn dann auch noch aus? Oder hat das Methode?

Bürokraten schröpfen Geschiedene beim Kindergeld
Ein Bericht von 1997 über Behörden, die aufgrund eines neuen Gesetzes Kindergeldbeträge von Geschiedenen zurückfordern.

Über fast debile Sturheit der deutschen Bürokratie Stephan Wels.

KOMMENTAR:

Seit einem Jahr ist Hartmut Rahmer geschieden, aber noch immer hat er ein enges Verhältnis zur Ex-Gattin Reane und den Kindern. Und weil sie sich gut verstehen, beschlossen die Eltern nach der Trennung, das Arbeitsamt soll das Kindergeld weiter an Hartmut Rahmer auszahlen. Dafür soll er jetzt büßen.

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HARTMUT RAHMER:

"Das Arbeitsamt will von mir für zehn Monate Kindergeld zurück haben - das ist eine Summe, die beläuft sich auf über 4.000 Mark - mit der Begründung, daß ich nicht der rechtmäßige Empfänger des Kindergeldes gewesen wäre."

KOMMENTAR:

Nur Reane Rahmer, so das Amt, sei die rechtmäßige Empfängerin, weil bei ihr die Kinder gemeldet seien. Dabei ist das Geld bei ihr und den Kindern gelandet.

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REANE RAHMER:

"Ich hab' das von meinem Ex-Gatten überwiesen bekommen und halt auch für die Kinder verwandt. Wir haben unsere Scheidungsanwältin gefragt, ob wir das also so - ob wir jetzt noch irgendwas umstellen müßten. Die meinte, es kann also so weitergehen. Mein Ex-Gatte hat seinen Arbeitgeber gefragt, ob er das Kindergeld weiter - ob die bewährte Regelung so eben weitergeführt werden kann. Und wir haben nur gehört, daß wir das alles so handhaben können."

KOMMENTAR:

Dumm gelaufen, sagt das Amt. Selbst schuld, wer vergißt, seine Trennung zu melden. Rahmer wird richtig abkassiert. Für zehn Monate muß er zurückzahlen, insgesamt 4.120 Mark. Jetzt kann seine Frau Reane zwar Kindergeld beantragen, aber laut einer neuen Fristenregelung nur für sechs Monate rückwirkend. Macht für sie 2.640 Mark. 1.480 Mark behält der Staat einfach ein.

Fälle wie Rahmers gibt es viele. Drei Stockwerke höher, hier treibt Herr Leupold das Geld ein und gleicht tapfer die Daten der Meldebehörden ab. Bundesweites Ergebnis:

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INTERVIEWER:

"Wieviele arme Sünderlein haben Sie denn gefunden?"

KLAUS LEUPOLD:

(Arbeitsamt Hannover)

"Es sind mit Sicherheit ein paar Tausend, es geht fast in die Zigtausend."

INTERVIEWER:

"Macht es eigentlich Sinn, das alles?"

KLAUS LEUPOLD:

"Ja, macht das Sinn - wir sind eigentlich hier nur die ausführende Behörde, über den Sinn, sag' ich mal, mag ich mich also nicht auslassen."

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REANE RAHMER:

"Ich find's eine mordsmäßige Sauerei, weil die Kinder waren die ganze Zeit da, sie waren zu verpflegen, zu bekleiden, und das Geld ist dafür verwendet worden."

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KLAUS LEUPOLD:

"Wenn mir vorgegeben wird durch die vorgesetzten Dienststellen, dann sind wir die ausführende Behörde, und wir müssen uns an das Recht und an das Gesetz eben halten."

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REANE RAHMER:

"Es ist stur und starr nach irgendwelchen Paragraphen entschieden worden und überhaupt nicht nachgedacht worden."

KOMMENTAR:

Doch, doch, Gedanken hat sich Herr Leupold gemacht und seinem Vorgesetzten auch gesagt, die neue Fristenregelung werde wohl Schwierigkeiten bereiten.

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INTERVIEWER:

"Das heißt, Sie haben eigentlich protestiert dagegen?"

KLAUS LEUPOLD:

"Protest, was heißt ein Protest? Man kann also da keinen solchen Protest nehmen. Wie ich schon sagte, wir sind also die ausführende Behörde, man protestiert nicht gegen Gesetze und Weisungen, jedenfalls nicht hier in einem Amt und als Beamter."

KOMMENTAR:

Daß dieses neue Sparmodell nicht ganz richtig sein kann, dämmert mittlerweile auch der Regierung. Familienministerin Nolte trat zwar nicht vor die Kamera, teilte aber mit, die Regelung sei ungerecht, man arbeite an einer Lösung. Aber wer hat die Regelung ausgeheckt, wer hat sie angewiesen, wer trägt Verantwortung? Für den offenkundigen Nonsens will keiner geradestehen. Ein Amt verweist uns ans andere. Nach Tagen schließlich geraten wir ins zuständige Bundesamt für Finanzen. Hier treffen wir den Herrn über das Kindergeld. Von dem tapferen Beamten wollen wir erfahren, wer für den unsinnigen Raubzug verantwortlich ist.

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INTERVIEWER:

"Wer hat denn eigentlich dann einen Fehler gemacht?"

DR. FRANK EBERMANN:

(Bundesamt für Finanzen)

"Ich bin der Meinung, es hat keiner einen Fehler gemacht. Wenn man das Gesetz anwendet, kann man doch nicht davon sprechen, daß man jetzt einen Fehler macht beim Vollzug des Gesetzes."

INTERVIEWER:

"Aber alle sagen doch, daß das Nonsens ist, daß jetzt das Geld zurückgefordert wird."

DR. FRANK EBERMANN:

"Vielleicht ist der Fehler in der Fassung des Gesetzes."

INTERVIEWER:

"Ist er das?"

DR. FRANK EBERMANN:

"Da kann man drüber nachdenken."

INTERVIEWER:

"Haben die Politiker einen Fehler gemacht?"

DR. FRANK EBERMANN:

"Das kann ich nicht mal sagen."

INTERVIEWER:

"Gab's keine Fehler?"

DR. FRANK EBERMANN:

"Das ist eine philosophische Frage."

KOMMENTAR:

Und müssen die Bürger tatsächlich zahlen?

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DR. FRANK EBERMANN:

"Ich sagte bereits, im Prinzip ja, aber sie können einen Antrag auf Erlaß stellen."

KOMMENTAR:

Einen Antrag hat die Familie Rahmer bereits einmal gestellt, nämlich ein Gnadengesuch. Vom Arbeitsamt Hannover kam prompt die Antwort: Für Begnadigungen sei man nicht zuständig. Mit freundlichen Grüßen.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Der Mann hat einen entscheidenden, bürokratischen Fehler gemacht: Kein "Gnadengesuch" also, sondern einen "Antrag auf Erlaß" hätte er stellen müssen, dann hätte er die Chance gehabt, diesen bürokratischen Unsinn auszutricksen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.06.1997 | 21:00 Uhr