Der Pate aus Baden-Baden - Bundeskriminalamt verhaftet mutmaßlichen Mafia-Boss

von Bericht: Stephan Wels, Stefan Rocker und Ilka Brecht

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Innere Sicherheit, darum geht es bei uns heute.

Guten Abend, willkommen bei PANORAMA in der Spät- und Kurzausgabe.

Schatten eines Mannes mit Pistole in der Hand © picture-alliance/scanpix Foto: Thomas Wester

Nicht nur wir reden über Kriminalität und deren Bekämpfung, zur Zeit mühen sich in erster Linie die Parteien aller Couleur um die Besetzung dieses beliebten Themas im Vorwahlkampf-Theater. Indessen ist der Polizei nun offenbar ein echter Schlag gegen das organisierte Verbrechen gelungen. Der wichtigste Vertreter der italienischen Mafia in Deutschland, so das Bundeskriminalamt, ein renommierter Geschäftsmann im Edelkurort Baden-Baden, wurde verhaftet. Bisher galt Deutschland als Zufluchtsort für Mafia-Gestalten, eher als Ruhesitz. Doch in Wirklichkeit ist unser Land wohl bereits Drehscheibe, lukrativer Aktionsplatz für Aktivitäten der italienischen Mafia. Das ist das eine. Im Zuge der Ermittlungen kommt nun noch etwas anderes ans Licht: eine neue, eine weitere Theorie über den Tod Uwe Barschels.

Stephan Wels, Stefan Rocker und Ilka Brecht haben monatelang recherchiert - dies ist das Ergebnis.

KOMMENTAR:

Er soll der Capo dei Capi sein, der Boss der Bosse der italienischen Mafia auf deutschem Boden. So wird der harmlos aussehende Mann in Zeugenaussagen geschildert. Zwei Jahre haben Fahnder des Bundeskriminalamts gegen ihn ermittelt, am Dienstag verhaften sie den reichen Baden-Badener Geschäftsmann Sabatino Ciccarelli.

0-Ton

PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Wir haben Ciccarelli am 9. September aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Offenburg verhaftet. Wir werfen ihm die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Verstöße gegen das Waffengesetz und die Verabredung von zwei Tötungsdelikten vor. Gleichzeitig haben wir am 9.September in Italien, der Schweiz und Deutschland mehrere Objekte durchsucht."

KOMMENTAR:

Säckeweise beschlagnahmen die Fahnder Unterlagen. Verdacht auf Waffenhandel, Drogenhandel, Geldwäsche. Die Ermittler tauchen bei insgesamt zwanzig Adressen auf, beste Adressen in den teuersten Lagen. Der Geschäftsmann Sabatino Ciccarelli ist Inhaber einer ganzen Kette nobler Modeläden in Baden-Baden und Umgebung mit dem Firmennamen "moda classica". Alles nur Kulisse, meinen die Ermittler.

0-Ton

PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Wie haben bei den Durchsuchungen, die wir am 9. September vorgenommen haben, keine Hinweise gefunden, die auf eine umfangreiche Geschäftstätigkeit schließen lassen."

INTERVIEWER:

"Das heißt, es war mehr oder weniger Tarnung?"

PETER ZIMMERMANN:

"Das könnte man so sehen."

KOMMENTAR:

In Prospekten posiert Ciccarelli als Modell. In den Akten der Staatsanwaltschaft Karlsruhe heißt es über ihn:

Er ist der Chef der Cosa Nostra in Deutschland. Sein Einflußbereich umfaßt drei Viertel des Staatsgebietes. Er ist der Capo dei Capi.

Die mondäne Kurstadt Baden-Baden, Geschäftssitz des Sabatino Ciccarelli. In kaum einer anderen Stadt gibt es so viele Millionäre, Prominente geben sich ein Stelldichein. Wann immer die feine Gesellschaft Badens etwas zu feiern hatte, war Ciccarelli mit dabei. Vergangenen Sommer der große Ball der Presse. Modenschau von Ciccarellis "moda classica". Unaufhaltsam der Aufstieg des Sabatino Ciccarelli. Seit 1990 eröffnet er in Baden-Baden ein Geschäft nach dem anderen in den teuersten Lagen. Aber die Vergangenheit des immer elegant gekleideten Geschäftsmanns kennt hier niemand.

Neapel 1972. Italienische Polizisten machen einen grausigen Fund. Ein junges Pärchen ist erschossen worden, Drogenkuriere, der Mord wird nie geklärt. Aber kürzlich wird der Fall neu untersucht, denn ein italienischer Kronzeuge hat zu Protokoll gegeben:

"Die beiden Drogenkuriere wurden direkt von Ciccarelli erschossen. Seine Waffe war ein Revolver 357 oder Kaliber 38. Der Tötungsbefehl kam vom damaligen Führer der Cosa Nostra. Nach dem Doppelmord wurde Ciccarelli Mitglied der 'ehrenwerten Gesellschaft'."

Ciccarelli bestreitet diese Tat.

Hier in den Gassen Neapels beginnt vor bald dreißig Jahren die Karriere Sabatino Ciccarellis. Er gilt als Mitglied der Mafia, wird auch verurteilt wegen Mordversuch und Zigarettenschmuggel. Die Polizei beobachtet seinen raschen Aufstieg.

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LUCIO DI PIETRO: (Übersetzung)

(Antimafia-Staatsanwalt)

"Ich erinnere mich, daß wir mit einer Razzia in einem Restaurant ein Mafia-Treffen aufgelöst haben. Die Teilnehmer waren Mitglieder der Cosa Nostra und der Camorra. Mit dabei war auch Ciccarelli. Er war damals schon mit den prominentesten Mafia-Führern verbündet wie den Gebrüdern Zaza und den Nuvolettas."

KOMMENTAR:

In den Straßen Neapels, so schildern es die Ermittler, ist Ciccarelli bald nicht mehr so häufig zu sehen. Er wandelt sich offenbar langsam zu einem der Geschäftsmänner der Organisation. Ein italienischer Kronzeuge berichtet, daß Ciccarelli Anfang der achtziger Jahre schon ganz oben steht.

Im Auftrag der Cosa Nostra verteilte Ciccarelli 100 Kilo Rauschgift pro Monat. Er war einer der führenden Köpfe der Mafia. Als er Italien verließ, verwaltete er eine Summe von 250 Millionen Mark in bar.

Tatsächlich kehrt Sabatino Ciccarelli seiner Heimat bald den Rücken. Es ist das Jahr 1982. In Neapel jagt eine Razzia die andere. Die Polizei bekämpft die Mafia wie nie zuvor. Es kommt zu spektakulären Verhaftungen. Gleichzeitig erreichen die blutigen Machtkämpfe zwischen rivalisierenden Clans ihren Höhepunkt. Ciccarelli, so die Ermittler, setzt sich ab. Er fürchtet offenbar einerseits die Polizei, andererseits die Mördertrupps der Konkurrenz. Seine Zuflucht: das Städtchen Lahr, idyllisch am Rande des Schwarzwaldes gelegen. Sein Domizil: eine Villa in bester Lage. Während in Italien gegen ihn ermittelt wird, findet er hier Unterschlupf, im Haus einer angesehenen und wohlhabenden badischen Bauunternehmerin. Sie ist seine Lebensgefährtin. Als er Ende der achtziger Jahre mit falschem Paß aufgegriffen wird, verhilft sie ihm zu einer Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. In Italien glaubt man, daß Ciccarelli auch in Lahr von Anfang an seine Geschäfte weiter betrieb.

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LUCIO DI PIETRO: (Übersetzung)

(Antimafia-Staatsanwalt)

"Nach unseren Ermittlungen hat er unter anderem den Drogenhandel nach Italien abgewickelt. Mehrere Mafia-Kronzeugen haben uns über ihn berichtet. Aus ihren Aussagen ergibt sich für uns, wie seine kriminelle Karriere verlaufen ist. Wir nehmen an, daß eine der Gesellschaften, die indirekt Ciccarelli als Chef untersteht, in Deutschland wirtschaftlich bemerkenswerte Aktivitäten im Bauwesen unterhält."

KOMMENTAR:

Durchsuchungsaktion am vergangenen Dienstag. Die Villa der Bauunternehmerin, Ciccarellis Domizil, wird auf den Kopf gestellt, säckeweise Beweismaterial zusammengetragen. Für den Verdacht, daß Ciccarelli Einfluß auf die Firma seiner Lebensgefährtin hat, gibt es keinen Beweis. Das Unternehmen, das ihr nur zur Hälfte gehört, weist den Verdacht zurück.

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ARMIN KOPF:

(Geschäftsführer Vogel-Bau)

"Herr Ciccarelli konnte in keinster Weise irgendwelchen Einfluß auf die Vogel-Bau-Gruppe haben, da er ja weder hier in der Geschäftsleitung noch in der Vogel-Bau-Gruppe bekannt war, mir selber auch nicht."

INTERVIEWER:

"Keine Gelder, die von Herrn Ciccarelli in die Vogel-Gruppe reingesteckt wurden?"

ARMIN KOPF:

"Sowas habe ich überhaupt noch nie gehört."

KOMMENTAR:

Sicher aber ist: die Bauunternehmerin hat Ciccarelli geholfen, die Modekette in Baden-Baden einzurichten, übernahm anfallende Millionenverluste. Unklar bleibt bislang, ob sie weiß, was hinter der noblen Kulisse geschah. Verkäuferinnen berichten über dubiose Transaktionen mit Schweizer Franken.

Nachgestellte Szene:

MANN:

"Wir wurden von ihm gebeten, in den Keller zu gehen, immer eine einzelne Person. Dann hat er uns ganz diskret Geldscheine gegeben, und wir mußten zur Bank. Bei der Bank haben wir das umgewechselt, ohne ihn zu fragen, woher das Geld kommt und für was er das braucht, das haben wir uns gar nicht getraut, aus lauter Angst."

KOMMENTAR:

Videoaufnahmen von Ciccarelli, einige Monate vor seiner Verhaftung. Deutsche Ermittler haben ihn eingekreist. Unter extremen Vorsichtsmaßnahmen, so die Fahnder, trifft er sich mit Mitgliedern seiner Organisation, einige davon aus dem Raum Baden-Baden. Seit 1995 werden seine Läden immer wieder mit Video überwacht und sein Telefon abgehört. Dann der Durchbruch: Das Bundeskriminalamt zeichnet ein bemerkenswertes Gespräch auf. Es kommt zu der Verabredung zweier Morde, so die Ermittler. Ciccarelli will offenbar zwei Landsleute in Deutschland beseitigen lassen.

0-Ton

PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Wir haben Erkenntnisse darüber, daß er über italienische Mittelsmänner eine Waffe in die Bundesrepublik hat bringen lassen und andere Italiener damit beauftragt hat, eine bestimmte Person zu töten."

INTERVIEWER:

"Wie muß man sich das vorstellen, solch einen Auftrag, gab es da einen bestimmten Code, der verabredet wurde?"

PETER ZIMMERMANN:

"Natürlich wurde das nicht im Klartext gesprochen. Die Waffe wurde nach unserer Auffassung mit folgender Formulierung bestellt: 'Ein Ding, das keinen Krach macht, sehr speziell'."

KOMMENTAR:

Das BKA nimmt den Kurier, der über Belgien nach Deutschland einreisen will, an der Grenze fest. Bei ihm finden die Beamten die bestellte Waffe mit Schalldämpfer und, wie es im Haftbefehl heißt, die dazugehörige "Killermunition". Zugleich gelingt es hier im Bundeskriminalamt in langen Verhandlungen, eine zentrale Figur der Organisation als Kronzeugen zu gewinnen. Es ist Ciccarellis rechts Hand, sein ehemaliger Leibwächter, ein Neapolitaner mit Namen Vincenzo E. Tagelang wird er vernommen, lebt seither im Zeugenschutzprogramm an einem geheimen Ort. In einer Vernehmung - hier nachgestellt - gibt er den Beamten einen erstaunlichen Einblick in den mutmaßlichen Herrschaftsbereich Ciccarellis.

Nachgestellte Szene:

ZEUGE:

"Unter Ciccarellis Regie wird tonnenweise Kokain nach Deutschland gebracht. Er ist der Stadthalter der Cosa Nostra in Deutschland, über ihm steht nur noch das Oberhaupt der sizilianischen Mafia in Italien, Toto Riina."

KOMMENTAR:

Wie glaubwürdig ist dieser Zeuge?

0-Ton

PETER ZIMMERMANN:

(Staatsanwaltschaft Karlsruhe)

"Wir gehen davon aus, daß er sehr glaubwürdig ist. Wir haben bereits mehrere Anklagen erhoben, die maßgeblich auf die Angaben dieser Person beruhen. Diese Anklagen sind auch von den jeweiligen Strafgerichten zugelassen worden, so daß also zumindest diese Gerichte auch unserer Einschätzung über die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen gefolgt sind."

KOMMENTAR:

Der für die Ermittler glaubwürdige Zeuge erzählt noch viel mehr von seinem ehemaligen Boss Sabatino Ciccarelli. Auf seltsame Geschäftsreisen habe er seinen Chef begleitet. Zweimal habe er ihn nach Bonn gefahren. Und dann sind die Vernehmer irritiert und perplex. Völlig überraschend berichtet der Zeuge von einer möglichen Verbindung Ciccarellis zum Tod des Ministerpräsidenten Barschel. Über die Bewertung dieser Aussage rätseln die Ermittler bis heute. In mehreren Vernehmungen, auch vor einem Richter, berichtete der Zeuge Vincenzo E. über einen angeblichen Auftrag an die Mafia, Uwe Barschel zu ermorden. In den Akten der Staatsanwaltschaft heißt es:

Nach eigener Schilderung habe Vincenzo E. Sabatino Ciccarelli im Juli 1987 nach Bonn zu einem Treffen gefahren. Er selber sei nicht dabei gewesen, aber hinterher habe ihm Ciccarelli berichtet, er sei beauftragt worden, den Politiker Barschel zu beseitigen, weil der über Waffengeschäfte aussagen wolle. Auftraggeber sei ein Sekretär mit Namen Blink oder Bink gewesen.

Seither findet sich der Name Sabatino Ciccarelli auch in den Akten der Barschel-Ermittler. Eine der möglichen Spuren oder eine absurde Verschwörungstheorie mehr? Ein Interview lehnen die beiden Ermittler der Staatsanwaltschaft Lübeck ab. Demnächst, so viel ist jedenfalls sicher, wird die Akte Barschel um eine weitere Vernehmung dicker sein. Ein Mafia-Boss aus Palermo soll zum angeblichen Mordkomplott vernommen werden, ebenso wie Ciccarelli selbst.

Bislang hat sich Ciccarelli weder zum Barschel-Komplex noch zu den Vorwürfen seitens der Karlsruher Staatsanwaltschaft geäußert. Wo er in Untersuchungshaft sitzt, wollen die Ermittler aus Sicherheitsgründen nicht sagen.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Meine Kollegen haben vor der Festnahme mit Sabatino Ciccarelli gesprochen. Er hat die Vorwürfe bestritten. Zur Mafia habe er keine aktuellen Verbindungen, sagte er. Früher habe er nur hin und wieder mal ein Gläschen Champagner mit einem der Mafia-Bosse getrunken, mehr nicht.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 18.09.1997 | 23:00 Uhr