Wie ein Todesurteil - Eine deutsche Behörde verweigert ärztliche Hilfe

von Bericht: Gesine Enwaldt

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Krankenschwester bei einem Hepatitis-Bluttest © newscom Foto: Wang Jun

Was kostet ein Menschenleben? oder: Ist die Gesundheit eines Deutschen mehr wert als die eines Ausländers?

Wie ein Todesurteil: deutsche Behörde verweigert ärztliche Hilfe
Behörden verhindern eine Lebertransplantation, die der Asylbewerber Turan Yildiz dringend benötigt.

Dieser Mann hat Gelbsucht, er ist Kurde, und hier in Deutschland bekommen Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber nur eingeschränkte medizinische Versorgung. Da werden behinderten bosnischen Flüchtlingskindern Rollstühle und Gehhilfen versagt oder Afrikanern, denen man in der Folter fast alle Zähne gezogen hat, der Zahnersatz. Die Begründungen sind perfide, zum Beispiel - ich zitiere: "Bei Nichtgewährung dieser Leistungen besteht nicht Gefahr an Leib und Leben." Gefahr an Leib und Leben - Leben oder Tod, genau darum geht es für diesen Kurden.

Gesine Enwaldt berichtet.

KOMMENTAR:

Die Augen sind der Spiegel seiner Krankheit. Bleierne Müdigkeit, unerträgliche Kopfschmerzen, jede Bewegung wird für den Kurden Turan Yildiz zur Qual. Die Gelbsucht hat ihren gefährlichsten Grad erreicht, sein Arzt gibt ihm nicht mehr viel Zeit.

0-Ton

PROF. DR. WOLFGANG F. CASPARY:

(Universitätsklinik Frankfurt)

"Für mich ist es ein 29jähriger Patient mit einer schweren Lebererkrankung, der nur noch einen eingeschränkten Zeitraum seines Lebens verbringen kann, wenn ihm nicht durch eine Transplantation geholfen wird."

KOMMENTAR:

Seit einem Jahr lebt der politische Flüchtling mit der Familie seiner Schwester in einem Asylbewerberdorf im Hochtaunuskreis. Als er aus den Folterkellern des türkischen Militärs floh, war seine Hepatitis B schon weit fortgeschritten. 200.000 Mark kostet die Lebertransplantation, das einzige, was die Zerstörung seines Körpers noch aufhalten könnte.

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SCHWESTER: (Übersetzung)

"Von Stunde zu Stunde wird sein Zustand schlechter, und ich wünsche mir so bald wie möglich eine Lösung. Das belastet uns, wir sind auch schon ganz krank. Und dann kommen die Briefe mit Antworten, daß sie ihn nicht behandeln können. Das ist schwer für uns, weil das ist doch ein Staat mit Menschenrechten, das verstehen wir einfach nicht."

KOMMENTAR:

Der, der helfen könnte, verweigert jedes Interview.

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INTERVIEWERIN:

"Herr Banzer..."

JÜRGEN BANZER:

"Keine Zeit."

KOMMENTAR:

Der Landrat des Hochtaunuskreises, Jürgen Banzer, gibt keinen Kommentar zum Fall Turan Yildiz. Seine Sozialbehörde müßte für die Rettung von Yildiz die 200.000 Mark zahlen.

Zeit hat er für die Begrüßung des Innenministers Kanther - sein CDU-Ortsverband feiert Geburtstag.

Seit Januar weiß der Landrat, daß die Ärzte Yildiz transplantieren wollen. Wochenlang reagierte sein Amt nicht auf die Bitte, die Kosten zu übernehmen. In einem Eilverfahren wurde eine Stellungnahme vom Kreis verlangt, die Entscheidung: Die Transplantation wird nicht gezahlt. Die Zeit läuft. Immer seltener können die Kinder mit ihrem Onkel zusammen sein. Manchmal erschrecken sie, über Nacht hat sich dann Wasser in seinem Körper gesammelt, und er hat große Schmerzen.

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REGINE TRENKLE-FREUND:

(Flüchtlingsrat Friedrichsdorf)

"Also ich finde das ganz schrecklich und grauenvoll, zu sehen, wie eine Akte hin und her geschoben werden kann und vielleicht der Mensch in der Zwischenzeit stirbt. Man muß sich natürlich fragen, ob das nicht auch System hat, daß man die Akte so lange hin und her schiebt, bis sich das Problem "erledigt hat". Das wäre grauenvoll."

KOMMENTAR:

Yildiz und die Familie seiner Schwester sind aus der Osttürkei geflohen. Kurden aus diesem Gebiet gelten bei den Gerichten als politisch verfolgte Gruppe. Yildiz, das haben die Richter schon signalisiert, hat große Chancen auf ein Bleiberecht. Aber der Landrat nimmt den Ausgang des Asylverfahrens einfach vorweg: Für ihn scheint der Kranke kurz vor der Abschiebung zu stehen. In der Stellungnahme des Kreises heißt es: Yildiz sei nur "zum Zweck der Heilbehandlung" nach Deutschland gekommen. Und weiter steht dort, daß er "sein Heimatland keineswegs aus Furcht vor politischer Verfolgung verlassen hat". Auch in der Türkei sind Lebertransplantationen möglich, doch zurück kann er nicht.

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TURAN YILDIZ: (Übersetzung)

"Meine Krankheit war in Kurdistan noch nicht so schlimm, ich hätte Möglichkeiten zur Behandlung gehabt, wenn ich nicht verfolgt worden wäre. Der Arzt darf politisch Verfolgte nicht behandeln, und man kann dort nicht einfach zum Arzt gehen. Als ich hierher kam, ist mein Zustand schlimmer geworden."

KOMMENTAR:

Für Flüchtlinge gelten hier besondere Gesetze. Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt ihre eingeschränkte Gesundheitsversorgung. Bezahlt wird die Behandlung akuter Erkrankungen. Chronische Erkrankungen dagegen wie Gelbsucht sind, so interpretiert der Landrat das Gesetz, aus dem Heimatland mitgebracht und sollten hier nicht kuriert werden. Die akute Lebensbedrohung der Gelbsucht wird schlichtweg übersehen. Die Verwaltungsrichter kamen zu demselben Schluß. Zum ersten Mal, sagen Kritiker, billigt ihr ablehnendes Urteil den Tod eines Menschen. Die Entscheidung, sagen sie, sei ein Verstoß gegen das Gundgesetz.

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KLAUS SIEVEKING:

(Ausländerrechtler, Universität Bremen)

"In diesem Fall ist als verfassungswidrig anzusehen die Behandlung dieses konkreten Falles, das heißt: dieser Person, deren Leben gefährdet ist. Und da hat die Verwaltung keinerlei Handlungsspielraum: Das Leben ist gefährdet, und die Verwaltung hat hier nach Grundgesetz und internationalen Normen eine Behandlung möglichst schnell zu ermöglichen."

KOMMENTAR:

Yildiz kann nachts nicht mehr schlafen, seine Haut juckt unerträglich, ständig ist ihm übel, er hat nur noch wenig Kraft, das Denken fällt ihm immer schwerer. Vor sechs Wochen versuchte er den Gang durch die Instanzen. Sein Anwalt legte gegen das Urteil Beschwerde ein beim hessischen Verwaltungsgerichtshof. Vor zwei Wochen wurde abgelehnt. Der Grund: ein Formfehler, nicht Beschwerde hätte es heißen müssen, sondern Antrag auf Zulassung der Beschwerde.

Ein Formfehler hat den letzten Weg verbaut. Die Ärzte geben Yildiz noch sechs Monate. Er hätte schon längst in das Transplantationsprogramm der Frankfurter Klinik aufgenommen werden müssen.

Es ist Sonntag im Hochtaunuskreis, und Landrat Banzer feiert immer noch mit seinem Vorgesetzten, Innenminister Kanther, den CDU-Geburtstag. Er bleibt dabei: Kein Kommentar zum Fall Turan Yildiz.

Es ist Sonntag, und Turan Yildiz telefoniert mit seiner Mutter. Er hat keine guten Nachrichten. In der Nacht hat seine Haut geblutet, seine Gerinnungswerte sind schlecht. Die Kirchengemeinde hat ein Spendenkonto eingerichtet, jeder Tag zählt. Die lange Prozedur einer Verfassungsbeschwerde würde er nicht mehr überleben.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Artikel 3 unseres Grundgesetzes: "... alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich ..." scheint da keine Gültigkeit zu besitzen. Für Ausländer bleibt hier Minimalmedizin.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.06.1997 | 21:00 Uhr