Versager, Zuhälter, Hornochsen - Der Frust der Bonner Abgeordneten

von Bericht: Gesine Enwaldt und Christoph Mestmacher

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Demokratie lebt von Volksvertretern, die uns als Abgeordnete im Bundestag vertreten. Nun wird diese demokratische Institution vom Gähnen beherrscht: gähnende Leere im Plenarsaal, gähnende Langeweile bei den Debatten und im besten Fall noch gähnende Abgeordnete, die sich wie gutbezahlte Komparsen auf den hinteren Bänken herumdrücken, dort Zeitung lesen, ein Schwätzchen halten, Urlaubsfotos sortieren und die bemüht originellen Zwischenrufe der Parlamentskollegen kraftvoll ignorieren. So das Klischee. Wie kommen eigentlich unsere hochbezahlten Volksvertreter selbst mit ihrem schlechten Image zurecht? Oder ist die Realität doch ein wenig anders?

Frust der Bonner Abgeordneten
Panorama befragt die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach ihrem Image.

Gesine Enwaldt und Christoph Mestmacher fanden, daß man am Jahresende die Abgeordneten einmal selbst zu Wort kommen lassen sollte. Erstaunlich nachdenkliche Töne bekamen sie zu hören - allerdings auch wenig Erfreuliches über den Zustand unseres Parlaments.

0-Töne

CEM ÖZDEMIR:

(Bündnis 90/Die Grünen)

"Jetzt komme ich praktisch in diesen Bundestag mit vielen großen Absichten, mit vielen Sachen, die ich mir zurechtgelegt habe, was ich alles hier machen möchte, und werde konfrontiert mit einem Negativ-Image, das oberhalb des Zuhälters oder manchmal sogar noch unterhalb des Zuhälters rangiert."

NORBERT RÖTTGEN:

(CDU)

"Es ist ja auch sehr bequem, in einer Zeit der rasanten Veränderung zu sagen: Wir sind alle veränderungsbereit, wir sind überhaupt die Besten, aber dort sitzen nur Hornochsen im Parlament. Diese Wahrheit ist ein bißchen zu einfach, als daß es zutrifft."

MANFRED OPEL:

(SPD)

"Es ist schon richtig, daß die Politiker nicht unbedingt zu den Lieblingen der Nation gehören."

ULRIKE MEHL:

(SPD)

"Ich war vorher in einem großen Umweltverband und habe da erlebt, daß ich da als eine sehr glaubwürdige Person wahrgenommen wurde. Als ich nominiert war als SPD-Kandidatin für den Bundestag, hatte sich das komplett umgedreht, nur weil ich die SPD-Bundestagskandidatin war.

Schwierig wird es dann, wenn es einfach nur ein Gefühl ist, was ausgedrückt wird, wenn die gar nicht konkret sagen können, sondern wenn dann gesagt wird: Die in Bonn machen immer das und das. Das empfinde ich als ungerecht, ich fühle mich dann ungerecht behandelt und versuche, die Leute dahinzubringen zu sagen: Was, wer, wer, wann, was und warum - dann können wir uns darüber auseinandersetzen."

PETER ALTMAIER:

(CDU)

"Es gab sicherlich zu Anfang des Jahres Kritik an der Unfähigkeit der Politik, Probleme zu lösen. Mein Eindruck ist: diese Kritik wird inzwischen schwächer, weil viele Bürger uns gar nicht mehr zutrauen, mit Problemen wie Arbeitslosigkeit, Steuer-, Rentenproblematik fertig zu werden."

GISELA STAHL:

(Mitarbeiterin)

"Ja, dann heißt es immer: Ihr. Dann fallen also die Mitarbeiter mit in den gleichen Topf rein: Ihr habt's gut, und: Ja, so ein Leben, und: Ja, der Abgeordnete, viel Geld, wenig Arbeit - und so."

Zitat: "Abgeordnete sind doch alle faul."

MANFRED OPEL:

(SPD)

"Wir sind hier zu finden von morgens sieben bis um Mitternacht, fast jeden Tag."

ULRIKE MEHL:

(SPD)

"Nee, also Entspannung ist das überhaupt nicht. Also diese Sitzungswochen sind wahnsinnig anstrengend."

PETER ALTMAIER:

(CDU)

"Acht Uhr, Frühstück..... Plenum, anschließend die Mitarbeiter in der polnischen Botschaft. Um 11.30 Uhr das Redaktions-Team, Mittagessen mit Herrn Cooper, namentliche Abstimmung. Anschließend der Europa-Ausschuß. Da fehlt doch ein Termin.

Frau Stahl, können Sie bitte mal nachschauen, wie das mit dem Termin ist von 13 bis 16 Uhr. Und anschließend war noch ein Treffen geplant.

Die Bürger sehen nur, was hinten rauskommt, das heißt, sie sehen die Ergebnisse. Und wenn diese Ergebnisse nicht ordentlich ausfallen, nicht deutlich genug sind, dann schlägt dies zurück negativ auf das Ansehen der Politiker."

BÜRGER:

"Die Arbeit hat einen schlechten Wirkungsgrad. Die beschäftigen sich zwar, aber nicht mit dem, was eigentlich wirklich drängt.

"Die Ehrlichkeit ist irgendwo in der Politik entflohen."

"Ich denke, bei vielen, nicht bei allen, aber bei vielen Parteien, wird es so sein, daß von oben die Linie vorgegeben wird, und ich sag' mal, der kleine Bundestagsabgeordnete, der hat doch überhaupt nichts zu sagen, der hat doch nur noch die Hand zu heben, wann der große Häuptling es befiehlt."

ANSAGE:

"Durchsage im Auftrag von Frau Baumeister: In ca. fünf Minuten finden mehrere strittige Abstimmungen statt. Wir haben immer noch keine Mehrheit. Die Mitglieder der Fraktion werden dringend gebeten, sofort ins Plenum zu kommen. Ich wiederhole: Wir haben immer noch keine Mehrheit."

PETER ALTMAIER:

(CDU)

"Wir alle und auch ich persönlich tragen insofern Schuld, daß wir oftmals nicht darüber nachdenken, wie unser Verhalten draußen aufgefaßt und bewertet wird. Wir sind hier auch ein bißchen in einer Käseglocke."

HORST EYLMANN:

(CDU)

"Man wagt nichts Neues mehr, man steht in den alten Positionen und trägt immer noch mal wieder die Schlachten vor vorgestern aus."

NORBERT RÖTTGEN:

(CDU)

"Es ist viel zu langsam hier, der politische Betrieb. Das ist ein echtes Problem, und das bringt mich auf die Palme."

HORST EYLMANN:

(CDU)

"Ja, es ist im Grunde die Ängstlichkeit, daß man zu wenig seiner eigenen Überzeugung folgt, daß man immer geneigt ist, im Zweifel sich einzuordnen in die Linien der Fraktion."

CEM ÖZDEMIR:

(Bündnis 90/Die Grünen)

"Meine größte Desillusion war, daß ich gedacht habe, man kommt hierhier, und mit der Kraft seiner Argumente, mit der Kraft dessen, was mag sagt, mit dem Wort - also so habe ich das immer gelernt, für den Parlamentarier ist das Wort sehr wichtig - überzeugt man andere und gewinnt dann eine Mehrheit. Das habe ich lernen müssen, daß das hier nicht so ist, sondern hier gibt es eine Regierung, und es gibt eine Opposition, und die Mehrheitsverhältnisse sind einfach klar."

HORST EYLMANN:

(CDU)

"In anderen Staaten hat das Parlament das höchste Ansehen, das Parlament verhält sich aber auch entsprechend. Bei uns betrachtet sich das Parlament, zum Teil jedenfalls, wenn es um die Regierungsfraktionen geht, als ein Anhängsel der Regierung. Es finden keine offenen Debatten statt."

CEM ÖZDEMIR:

(Bündnis 90/Die Grünen)

"Für mich ist sehr wichtig: so oft wie möglich rausgehen aus diesem Büro, aus Bonn, viele Veranstaltungen machen, viel mit den Bürgern und mit den Bürgerinnen ins Gespräch zu kommen. Das bewahrt einen, hoffe ich zumindestens, am ehesten davor, daß man so wird, wie die Leute einen beschreiben."

PETER ALTMAIER:

(CDU)

"Die Dinosaurier sind ausgestorben, weil sie es nicht geschafft haben, sich rechtzeitig an neue Umweltbedingungen anzupassen, und deshalb müssen auch wir in der Politik überlegen, was wir tun können, wenn uns ein ähnliches Schicksal erspart bleiben soll."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.12.1997 | 21:00 Uhr