Vergammeltes Fleisch statt Bargeld - Deutsche Firmen zocken Flüchtlinge ab

von Bericht: Beate Greindl

PATRICIA SCHLESINGER:

Noch mal zum Wahlkampf. Differenzierungen sind da ja bekanntlich nicht mehr so gefragt, und deshalb wird es auch lautstark und werbewirksam verkündet: Ausländer mögen wir hier nicht, Asylbewerber schon gar nicht. Geht es nach unserer Regierung, soll diese Botschaft nach draußen in die ganze Welt dringen. Und da ist ihr ein aufwendiges Abschreckungs- und Bestrafungsinstrument eingefallen, "Asylbewerberleistungsgesetz" genannt. Das hat man gerade noch mal etwas verschärft. Wer Asylbewerber ist, soll nicht mehr in einem normalen Geschäft einkaufen. Reis, Seife, Konserven bekommt er - zumindest in einigen Bundesländern - nur noch in besonderen Läden. Und das ist nicht nur ein probates Mittel, um den hier Unerwünschten ihren besonderen Status klarzumachen, sondern auch eine gute Möglichkeit für miese Geschäfte zu Lasten der Ausländer, aber auch zu Lasten von uns Steuerzahlern.

Deutsche Firmen zocken Flüchtlinge ab
Abzocke von Asylbewerbern, die statt finanzieller Zuwendung minderwertige Lebensmittelpakete kaufen müssen.

Das hat Beate Greindl herausgefunden.

KOMMENTAR:

Wenn diese Frauen einkaufen wollen, sind sie vier Stunden quer durch Berlin unterwegs, zwei Stunden hin, zwei zurück, mit fünf verschiedenen Bussen und U-Bahnen. Weil diese Frauen Asylbewerberinnen sind, dürfen sie jetzt nur noch in zwei speziellen Läden einkaufen. Diese werden von der Privatfirma Sorat betrieben, so will es der Berliner Senat.

Der ganz normale Wahnsinn in diesem neuen Laden für Asylbewerber. 2.200 Flüchtlinge drängeln sich in den Sorat-Läden. Seit der verschärften Gesetze für Asylbewerber gibt es kein Bargeld mehr, sondern nur noch ein Einkaufskonto über etwa 260 Mark monatlich. Das Sortiment ist bescheiden. Vieles, was die Flüchtlinge brauchen, gibt es nicht.

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MANN: (Übersetzung)

"Mein Kind braucht eine Babyflasche, und es gibt keine. Aber mein Kind braucht doch was zu essen. Jeden Tag bin ich hier. Auch frisches Obst gibt es viel zu wenig."

KOMMENTAR:

Gerade günstige Artikel sind ausverkauft. Einen ganzen Tag lang kommt kein Nachschub. Warten auf Hähnchen, die gehen immer schnell weg. Das Personal kommt nicht nach.

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VERKÄUFERIN:

"Es ist eben wie zur DDR-Zeit, wollen wir mal so sagen."

KOMMENTAR:

Aber auch die Qualität ist oft mies. Dieses Fleisch ist an den Rändern schon grün, offenbar angegammelt. Und trotzdem ist vieles superteuer. Eine Flüchtlingsorganisation kaufte dieselben Artikel bei den Sorat-Läden und bei normalen Geschäften. Das unglaubliche Ergebnis: Jetzt zahlen Flüchtlinge 63 Mark für das, was für 32 zu haben wäre.

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GEORG CLASSEN:

(Passionsgemeinde Berlin)

"Da war ich also selber erschrocken, als ich festgestellt hab', daß es hier tatsächlich also nicht nur teuer ist, sondern tatsächlich also fast doppelt so teuer ist wie bei dem Discounter."

KOMMENTAR:

Dabei muß Sorat in allen Fällen die eigenen Einkaufspreise an den Kunden weitergeben. Aufschläge, um Gewinn zu machen, sind verboten. Sämtliche Betriebskosten für die Läden übernehmen schließlich die Behörden. Doch beispielsweise 10,95 DM für ein Pfund Kaffee scheint als Einkaufspreis zu viel. Eigentlich müßten das die Behörden kontrollieren, doch wir fragen selber beim Lieferanten nach. Und siehe da: Derselbe Kaffee, selbst für die kleine Abnahmemenge von 100 Stück, wird uns für ganze 8,95 angeboten. Sorat müßte ihn eigentlich noch billiger kriegen. Wir konfrontieren den Abteilungsleiter.

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HANS-JÜRGEN HAEHNSEN:

(Sorat GmbH)

"Müßte man noch mal nachprüfen, ob das tatsächlich so ist, daß es da einen Preisunterschied gibt. Ich will es jetzt erstmal nachforschen wollen, ob dem so ist."

KOMMENTAR:

Auch die Behörden wollen den Vorwürfen von PANORAMA in mehreren Fällen nun nachgehen.

Die fragwürdige Berliner Versorgungspraxis wird von anderen Bundesländern aber noch getoppt. Hier im bayerischen Nürnberg gibt es nur noch Freßpakete, die Flüchtlinge dürfen gar nichts mehr selbst aussuchen, nicht einmal, wenn sie gegen bestimmte Lebensmittel allergisch sind, zum Beispiel gegen Apfelsaft, wie dieses Kind.

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MANN:

"Eine Frau hat gebracht Attest, wo draufsteht, was sie nicht essen darf.

Apfelsaft ist nix gut?"

MANN:

"Nix gut für Kind."

KOMMENTAR:

Für dreieinhalb heiße Sommertag gibt es ein Wasser, ein Apfelgetränk und eine H-Milch. Das muß reichen. Schwangere Frauen kriegen einen Apfel, einen Joghurt und eine H-Milch dazu. Das soll den Extrabedarf an Mineralien und Vitaminen decken.

Firmen wie der Großanbieter Weigl können immer dann verdienen, wenn an den Lebensmitteln gespart wird, denn die Behörden zahlen ja Fixpreise. Auch wenn Journalisten und Flüchtlingsorganisationen immer wieder nachweisen konnten, daß die Weigl-Preise überhöht sind. Waren, für die die Behörden zum Beispiel 25 DM an Weigl zahlen, kosten im Supermarkt ganze 13,60 Mark. Das geht zu Lasten des Flüchtlings, aber auch des Steuerzahlers. Denn die Behörden zahlen fleißig und kontrollieren wenig und lasch. Hier eine offizielle Kontrolle der Regierung von Oberfranken. Anschauen, abtasten, fertig. Die Ernährungswissenschaftlerin stellt fest:

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ERNÄHRUNGSWISSENSCHAFTLERIN:

"Und zwar ist es ein Apfelfruchtsaftgetränk."

KOMMENTAR:

Für die Firma Weigl ist das Geschäft mit den Flüchtlingspaketen eine einträgliche Quelle. In mindestens fünf Bundesländern ist sie aktiv. Aber vor allem in Bayern konnte sie sich einnisten und das schon seit Jahren.

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RICHARD ZILCH:

(Weigl Holding KG)

"Wenn man über Jahre hinweg wieder die Pakete von uns bezieht, dann bedeutet das natürlich, daß die Regierungen und Landkreise mit uns zufrieden waren."

KOMMENTAR:

Doch daß sich die Nürnberger Firma in fast allen Bezirken derart konkurrenzlos ausbreiten durfte, ist schon merkwürdig. Laut Gesetz sind Monopole auf diesem Gebiet jedenfalls absolut unzulässig.

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MEDARDUS M. HUEMER:

(Sozialministerium Bayern)

"Monopole gibt es nicht, die kann es auch nicht geben, weil die jeweiligen Lieferanten für diese Sachleistungen durch eine öffentliche Ausschreibung gewonnen und gesucht werden."

KOMMENTAR:

Das Sozialministerium hätte nur mal ein paar Straßen weiter nachfragen müssen, denn auch in Oberbayern durfte Weigl fünf Jahre lang Alleinanbieter sein, ohne Ausschreibung. Doch vielleicht will man das gar nicht so genau wissen.

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CHRISTOPH SPINDLER:

(Regierung Oberbayern)

"Wir haben natürlich unsere übergeordneten Stellen gefragt, ob wir hier von der Ausschreibungspraxis abweichen dürfen."

INTERVIEWERIN:

"Und was war die Antwort?"

CHRISTOPH SPINDLER:

"Wir durften."

KOMMENTAR:

Auch die Regierung von Oberfranken hat laut eigener Aussage eine Sondererlaubnis von höchster Stelle aus dem Ministerium für ihre fragwürdige Praxis erhalten.

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INTERVIEWERIN:

"Seit '82 haben Sie nie ausgeschrieben?"

STEFAN KRUG:

(Regierung Oberfranken)

"Seit 1982 bestehen diese Verträge, und es hat sich an der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Firma Weigl und uns nichts geändert."

KOMMENTAR:

Das Sozialministerium will diesen Recherche-Ergebnissen von PANORAMA nun nachgehen, genau wie der bayerische Rechnungshof. Denn es geht um eine riesige Verschwendung von Steuergeldern. Erst seitdem die Heime in Oberbayern von der Konkurrenz versorgt werden, kommt heraus, wieviel man gespart hätte, hätte man schon eher zum Beispiel die Firma Tischlein Deck Dich aus Bobingen engagiert. Während Weigl pro Flüchtling und Woche 65,80 nahm, verlangt der Neue 52,90, also 12,90 DM weniger. Das macht über vier Millionen Mark pro Jahr rausgeschmissenes Geld in einem einzigen bayerischen Bezirk.

Doch auch das Paketsystem an sich macht keinen Sinn. Verwaltungskosten in Millionenhöhe und das Ergebnis der Zentralversorgung: zum Beispiel diese Mehlsammlung eines Flüchtlings. Andauernd Mehl, obwohl es im Heim nicht mal einen Backofen gibt. Verschwendung vom feinsten.

Eigentlich haben laut Gesetz auch Flüchtlinge ein Recht auf ausreichende Ernährung. Hier gibt's höchstens Gnade. Erstmal schön bitte-bitte machen.

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MANN:

"Bitte."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.08.1997 | 21:00 Uhr