Postraub leicht gemacht - Millionenschäden durch fehlende Kontrolle bei Postfächern

von Bericht: Thomas Berndt

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Briefkasteneinwurf © dpa

Der Inbegriff des deutschen Beamtentums und deutschen Kundenfeindes ist die Bundespost. Auch wenn deutsche Schalterbeamte in Seminaren inzwischen Lächeln lernen, auch wenn die deutsche Mammutbehörde inzwischen "fast wie ein Privatunternehmen" agiert - so sagt es zumindest der Vorstandschef der Deutschen Post AG - so richtig wohl fühlt man sich als Kunde vor dem Schalter nur selten. Da geht es umständlich, langsam und ebenfalls bürokratisch zu, und die Freundlichkeit wird noch geübt - mit einer Ausnahme: Wenn Sie einen ganzen Sack voller Briefe abholen möchten, die vielleicht noch nicht einmal Ihnen gehören, sondern irgendeiner Firma, dann geht alles ganz schnell, unbürokratisch und sogar mit einem Lächeln. Da kann im wahrsten Sinne des Wortes jeder kommen und die Firmenpost mit Geld, Schecks und Überweisungen einsacken.

Postraub leicht gemacht
Mitarbeiter der Deutschen Post händigen Sendungen ohne Abholer-Legitimation aus - Panorama macht 1997 den Selbstversuch.

Über den modernen Postraub Thomas Berndt.

KOMMENTAR:

Dieser Mann leer täglich das Postfach 1554 in der Postfiliale Memmingen. Helmut Küchel ist Fahrer der Firma Kolb. Eigentlich aber müßte man ihn Geldbote nennen, denn in zahlreichen Briefumschlägen verbergen sich Schecks. Viele Kunden der Firma bezahlen auf dem Postweg.

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MANFRED LINK:

(Hans Kolb Wellpappe)

"Über unser Postfach wird im Jahr eine wertmäßige Summe von etwa 130 Millionen abgewickelt.

KOMMENTAR:

Wenn die kostbaren Briefe nicht ins Fach passen, oder wenn zu viel angekommen ist, wird die Post am Schalter ausgegeben. Unbürokratisch, alles Routine, so schien es auch vor wenigen Monaten an einem Montagmorgen zu sein, war es aber nicht - vor Küchel war schon ein anderer da. Am Samstag zuvor hatte, so seine Telefonrechnung, ein gewisser Herr Z. um 7.35 Uhr bei der Postfiliale Memmingen angerufen. Der Mann soll sich als Geschäftsführer der Firma Kolb vorgestellt haben, er warte auf dringen Briefe, müsse das Postfach eilig abholen. Später soll er die Dame am Schalter gebeten haben, ihm die Post auszuhändigen. Kein Problem, keine Nachfrage. Drei Briefe mit Schecks soll er gestohlen haben, insgesamt rund 180.000 Mark.

Inzwischen wird Peter Z. per Haftbefehl gesucht.

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MANFRED LINK:

"Man fühlt sich sehr hilflos, man bekommt Wut, man ärgert sich, weil man ja auf die Post als Monopolist angewiesen ist. Wir hatten uns im Traum nicht vorstellen können, daß ein Postfach so wenig Sicherheit bietet."

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JÜRGEN HESEMANN:

(Post AG-Generaldirektion)

"Den Vorwurf muß ich zurückweisen, die Postämter sind sicher, Sicherheit wird bei uns groß geschrieben."

KOMMENTAR:

Das hat auch die Firma Schöller Textil in Düren lange Zeit geglaubt. Über 50 Mio. Mark laufen im Jahr über das Postfach. Mittlerweile ist das Vertrauen allerdings etwas gestört, denn für den Fahrer Bernd Kaiser gab es vor einigen Monaten eine böse Überraschung: Das Postfach war nicht so voll wie sonst.

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BERND KAISER:

(Schoeller Textil)

"Ich bin montags hierher gefahren, montagsmorgens, und wollte die Post aus dem Schließfach holen, habe das Schließfach geöffnet, waren nur drei, vier Briefe drin plus eine Zeitung."

KOMMENTAR:

Das war mehr als ungewöhnlich. Kaiser ging sofort zum Schalter, erkundigte sich nach seiner Post.

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BERND KAISER:

"Da sagte die junge Dame zu mir, da war wohl schon am Samstag ein Herr hier, der ist schon öfter hier gewesen und hat sich als Mitarbeiter von der Firma Schoeller ausgegeben und hat sich die Post schon mal geben lassen."

KOMMENTAR:

Auch hier soll es Peter Z. gewesen sein. Die Firma Schoeller beschwerte sich bei der Post. Immerhin wurden drei Schecks gestohlen, über 270.000 Mark. Als Antwort gab es keine Entschuldigung, dafür aber die allgemeinen Postfachbedingungen.

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GEORG FAST:

(Schoeller Textil)

"Dann sind wir erstmals auf diese sehr, sehr ausführlichen Postfachbedingungen gestoßen, allerdings auch etwas erstaunt, daß darin enthalten ist, daß eigentlich jeder, der sich meldet, die Post bekommt."

KOMMENTAR:

Und tatsächlich, was kein Kunde ahnt: Auf den Postfachverträgen steht im Kleingedruckten unter 5: "Die Post ist berechtigt, die Sendungen ohne Legitimationsprüfung an die Person auszuhändigen, die sich zur Abholung meldet." Postraub - leicht gemacht.

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JÜRGEN HESEMANN:

(Post AG-Generaldirektion)

"Sicherheit wird bei uns groß geschrieben und ist auch bei den Postfächern natürlich gewährleistet."

KOMMENTAR:

Nicht unbedingt in München. Auch hier scheint man die Postfachverträge wörtlich zu nehmen. Schecks gleich mehrerer Firmen verschwanden. Betroffen zum Beispiel Edelschneider Bogner, möglicherweise auch ein Postfachopfer. Das gleiche gilt für weitere Firmen, mindestens zehn bundesweit, wie zum Beispiel Karstadt-Essen oder die Bosch-Telekom.

Letztlich tauchte das Geld auf Peter Z.'s Konten wieder auf. Noch ist der Mann flüchtig. Einen Haftbefehl hat die Staatsanwaltschaft Essen erwirkt. Ihm wird Betrug vorgeworfen. Der Gesamtschaden soll allein in diesem Fall bei rund einer Million Mark liegen - ergaunert offenbar bei der Post in mehreren Filialen bundesweit.

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NORBERT GOLSONG:

(Staatsanwaltschaft Essen)

"Ich will das, sagen wir mal so, nicht dementieren. Zu den einzelnen Begehungsweisen des Täters kann ich im Hinblick auf die laufenden Ermittlungen natürlich keine erschöpfende Auskunft geben."

KOMMENTAR:

Auskunftsfreudiger ist da ein Wirtschaftsdetektiv aus dem westfälischen Hagen. Im Auftrag eines großen Unternehmens recherchierte die Agentur ZED in Sachen Postraub. Chefermittler Joachim Habighorst, der sein Gesicht aus beruflichen Gründen nicht gern vor der Kamera zeigt, kennt Herrn Z. mittlerweile sogar persönlich.

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JOACHIM HABIGHORST:

(Wirtschaftsdetektei ZED)

"Der Herr ... hat mit dieser Masche recht gut gelebt. Und wenn jemand oder ein Täter einmal festgestellt hat, daß die und die Masche gut funktioniert, gibt es kaum einen Grund das Prozedere zu ändern. Ich gehe also davon aus, daß er bundesweit unterwegs gewesen ist und sich in allen möglichen Postämtern auf diese Art und Weise bereichert hat."

KOMMENTAR:

Der Coup war denkbar einfach - dank organisierter Nachlässigkeit der Post. Freier Zugriff auf die Postfächer, ohne Legitimationsprüfung, man muß sich nur am Schalter melden, so der Vertragstext.

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JÜRGEN HESEMANN:

"Die Post hat ja entsprechend reagiert, weil dieser Passus mißverständlich formuliert war."

KOMMENTAR:

Der Posträuber war offenbar eine Lehre, denn jetzt hat die Post AG einen neuen, überarbeiteten Postfachvertrag ausgetüftelt. Der neue Text kann, muß aber nicht mehr Sicherheit bringen, denn dort steht schwarz auf weiß: Die Post kann von der die Sendung entgegennehmenden Person verlangen, sich auszuweisen.

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INTERVIEWER:

"Das heißt, kann kontrolliert werden, muß aber nicht, warum machen Sie da nicht deutlich: Es muß kontrolliert werden, wenn jemand das Postfach abholt, warum nicht?"

JÜRGEN HESEMANN:

"Ganz einfach deshalb, weil wir mit dem Kunden diese Vereinbarung auf diese Art und Weise getroffen haben und wir ja auch nicht in jedem Einzelfall immer noch die Identität überhaupt prüfen könnten. Das ist ja auch nicht gewünscht, der Kunde will ja auch ein schnelles Abholen. Sie unterstellen, daß grundsätzlich keine Legitimation eingefordert wird, das ist nicht der Fall. Die Legitimation wird dort eingefordert, wo sie vonnöten ist."

KOMMENTAR:

Wie nötig eine Legitimation jetzt ist, wollten wir wissen, haben den Postfach-Coup selbst ausprobiert, mit versteckter Kamera. Ein Postamt in Hamburg vor wenigen Tagen. Hier hat der Norddeutsche Rundfunk sein Postfach. Der richtige Fahrer wurde ausgetrickst, wir waren eine halbe Stunde vor ihm da. Zuerst ganz plump am Schalter.

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MANN:

"Ich möchte die Post für den NDR abholen. Der Kollege ist krank heute, ich muß sie holen."

KOMMENTAR:

Freundlich weist man uns darauf hin, daß wir am Schalter falsch seien, das Postfach bekommt man hinten.

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MANN:

"Wo ist die Großpost für den NDR?"

FRAU:

"Die steht da."

KOMMENTAR:

Legitimationsprüfung - Fehlanzeige.

Die zweite Runde - Postkisten voll mit Briefen, alles ganz unbürokratisch, kein Problem.

Als Zugabe noch ein Einschreiben, auch hier keine Legitimation nötig, keine Nachfrage, eine unleserliche Phantasieunterschrift genügt.

Postraub leicht gemacht - alles streng nach Vorschrift und den Regeln.

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MANFRED LINK:

(Hans Kolb Wellpappe)

"Es wäre eigentlich der konsequente nächste Schritt, das Postfach abzumelden, wenn die Post nicht schleunigst ihre Bedingungen ändert und für mehr Sicherheit auf diesem Sektor sorgt."

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JÜRGEN HESEMANN:

(Post AG-Generaldirektion)

"Die Postämter sind nicht unsicher, Sie unterstellen, daß die Postämter unsicher sind, den Vorwurf muß ich zurückweisen, die Postämter sind sicher."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.06.1997 | 21:00 Uhr