Polenhaß an der deutsch-polnischen Grenze

von Bericht: Gesine Enwaldt und Margarete Wohlan



Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Seit knapp sechs Jahren dürfen unsere polnischen Nachbarn ohne Visum zu uns nach Deutschland kommen. Aber ein deutsch-polnisches Miteinander gibt es nicht, die mentale Kluft zwischen unseren Völkern besteht noch immer. Die Grenze wird von vielen hier als Bedrohung empfunden und auch so dargestellt: Staus, Autoklau, Huren, Diebe, Schieber, Schleuser, und hinter dem Schlagbaum lauern nur Misere, Mafia und Mord. Das Bild des schlitzohrigen polnischen Untermenschen hält sich nachhaltig. Und die Polen? Sie denken an steinewerfende und ausländerfeindliche Parolen brüllende Jugendliche, an überhebliche und kalte Nachbarn - und neuerdings noch an etwas anderes: Die Deutschen, so nehmen sie es wahr, verspielen ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten an der Grenze. Sie machen Polenwitze und die Polen das Geschäft.

Ausländerfeindlichkeit an der deutsch-polnischen Grenze
In der deutschen Grenzstadt Frankfurt/Oder herrschen Vorurteile und Feindseligkeit gegenüber den polnischen Nachbarn.

Gesine Enwaldt und Margarete Wohlan haben sich an der Grenze Frankfurt/Oder-Slubice umgesehen.

KOMMENTAR:

Die polnischen Händler haben ein Schnäppchen gemacht: einen Sonderposten billiger Tischdecken. Sie kommen aus dem polnischen Inland, 120 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Es ist Samstagmittag auf dem Parkplatz eines Frankfurter Einkaufscenters. Die Szene ist typisch, aber die Polen sind hier nicht gerne gesehen, obwohl er schon etliche Hunderter hier ausgegeben hat.

0-Ton

POLNISCHER HÄNDLER: (Übersetzung)

"Ich denke, den Polen liegt mehr daran, Geschäfte zu machen, als den Deutschen."

KOMMENTAR:

Man läßt ihn hier kaufen, wohl oder übel, umworben wird er nicht.

0-Ton

POLNISCHER HÄNDLER: (Übersetzung)

"Ja, mir kommt es vor, als wäre den Polen mehr daran gelegen, zu verdienen, und die Deutschen hier scheinen das nicht nötig zu haben."

KOMMENTAR:

Die Polen bringen Geld nach Frankfurt, aber ihr Besuch kann zum Spießrutenlauf böser Blicke werden, Abneigung aus dem Bauch heraus.

0-Ton

FRAU:

"Ich finde es nicht in Ordnung, wenn sie das hier kaufen bei uns und drüber eben für mehr Geld verkloppen."

INTERVIEWERIN:

"Warum nicht?"

FRAU:

"Weil wir denn.... die kaufen das hier billig auf, und drüben verkaufen sie das für 'ne Mark mehr."

INTERVIEWERIN:

"Aber das ist doch eigentlich ganz geschickt oder?"

FRAU:

"Schon, aber wenn das jeder so machen würde."

KOMMENTAR:

Auch im Dunstkreis Frankfurter Stammtische dumpfe Töne zu dem, was die Deutschen von polnischer Kundschaft halten - typische Antworten.

0-Ton

FRAU:

"Wirklich, man fühlt sich schon selber als Ausländer hier, das ist zu viel."

INTERVIEWERIN:

"Was ist es genau, was Sie stört an den Polen?"

MANN:

"Die gehen in den Laden und klauen einfach, wer gibt ihnen das Recht dazu? Ich meine, wenn das ein Deutscher macht, der keine Arbeit hat, nehme ich es mal hin, aber doch nicht ein Pole."

KOMMENTAR:

Ein großes Trauma hält die Deutschen hier gefangen. Zu DDR-Zeiten durften die Polen die Oder überqueren und kauften den Frankfurtern die subventionierte Ware vor der Nase weg. Der Ärger darüber sitzt tief. Die Grenze heute mit Frankfurt auf der einen und Slubice auf der anderen Seite. An manchen Tagen wechseln bis zu 40.000 Menschen die Seiten, von Polen nach Deutschland und umgekehrt - immer auf der Suche nach Waren, die jeweils drüben billiger oder besser sind. Es sind vor allem die Frankfurter, die sich schwer tun, Vorurteile zugunsten des Geschäfts zu überwinden. In diesem angeblich polenfreundlichen Kaufcenter bringen die Polen mitunter bis zur Hälfte des Umsatzes in die Kassen. Trotzdem - jeder Pole ist erstmal der Dieb und dann der Kunde und steht unter besonderer Beobachtung.

0-Töne

VERKÄUFERINNEN:

"Wir gucken schon extra hin, sobald wir merken, das sind Polen, gucken wir noch mit einem Auge mehr hin als bei Deutschen."

"Wenn man Polen hört oder polnische Bürger, kommt gleich von unten her der negative Touch: Diebstahl, Autoklau."

KOMMENTAR:

Wer so denkt, verscherzt es sich mit diesem hier, dem neuen polnischen Mittelstand von Slubice. Zu Hause bei Twardys, gute Zeiten sind angebrochen, Twardys Kaufkraft wächst und gedeiht. Das Geschäft floriert. Bis zu 1.000 Mark könnte er im Monat in Frankfurt ausgeben, nicht für Ramsch, sondern für Mode, Kosmetik, Elektronik, schöne Sache eigentlich, wäre die Familie nicht schon mal am Kauf von 15 Tafeln Schokolade gescheitert: 15 Tafeln, so viel gönnte man ihnen nicht.

0-Ton

ZENEK TWARDY: (Übersetzung)

"Wir hatten sie im Korb, brachten sie an die Kasse, aber die Verkäuferin tippte nur zwei Schokoladen ein. Sie zeigte auf mich und meine Frau, zwei Erwachsene, es sei nur eine pro Person möglich. Wir beharrten darauf, daß wir 15 Schokoladen wollten, zwei sind uns zu wenig. Sie aber ist so egoistisch und lustlos an uns herangetreten, oder sie mochte vielleicht die Polen nicht. Auf jeden Fall hat sie uns die Schokoladen nicht verkauft."

KOMMENTAR:

Twardys und viele ihrer Freunde meiden Frankfurt und vor allem das Einkaufszentrum Oderturm direkt hinter der Grenze, Symbol des Kapitalismus, der neuen Zeit, der freien Marktwirtschaft. Die Polen werden mit einer polnischen Übersetzung der deutschen Hausordnung begrüßt. Sicherlich, mancher läßt sich mittlerweile zu einem polnischen Eingangsschild herab - eine Ausnahme. Gleich nebenan die Regel: Dankes- oder Hinweisschilder in reinem Deutsch, die Ladendiebstahlswarnung dagegen ins Polnische übersetzt, einfach so, ohne nachzudenken.

0-Ton

LUTZ NATHER:

(Filialleiter)

"Das soll eben nur als ....."

KOMMENTAR:

Das soll eben - naja, Erklärungsnotstand, was Wichtiges fällt ihm dazu nicht mehr ein.

0-Ton

ZENEK TWARDY: (Übersetzung)

"Nicht klauen, nicht ohne Einkaufswagen gehen, hier das nicht, dort jenes nicht - überall sehe ich als Pole nur Verbotsschilder. So etwas wie 'Herzlich willkommen' gibt es hier nicht."

0-Ton

JANINA TWARDY: (Übersetzung)

"Ich würde nicht dorthin zum Shopping oder in die Cafes gehen. Diejenigen, die gut Deutsch können, gehen gelassen rüber und fühlen sich dort okay. Aber die, die kein Deutsch können, haben Minderwertigkeitskomplexe, weil sie nicht wissen: Wie wird der Kellner reagieren, wird er freundlich sein und wohlwollend?"

KOMMENTAR:

Janina Twardy kauft, was sie braucht, nur noch in Polen. Die Frankfurter vermasseln sich mit ihren Ressentiments das Geschäft, das beklagen auch die Wirtschaftsleute.

0-Ton

REINHARD PETZOLD:

(deutsch-polnische Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft)

(Polnische Bürger suchen also hochwertige Waren, sind also bereit, auch viel Geld auszugeben und nicht nur Aldi-Geschäfte und ähnliches zu nutzen, um Billigwaren in großen Mengen zu kaufen. Und ich glaube, in Frankfurt/Oder ist auch ein Grund dafür, daß man diesen Kundenstrom aus Polen und diese Kaukfkraft noch unzureichend nutzt."

KOMMENTAR:

Auf der anderen Seite wird die Chance gesehen. Der Bürgermeister von Slubice ist immer in Eile. Er weiß, daß die Slubicer die Zeichen der Zeit besser verstehen als die Deutschen.

0-Ton

RYSZARD BODZIACKI: (Übersetzung)

(Bürgermeister Slubice)

"Wenn man sich hier bei unseren deutschen Nachbarn umschaut, hat man den Eindruck, daß sie viel eher Hilfe erwarten, Hilfe seitens der Regierung. Sie wollen, daß man ihnen Arbeitsplätze schafft, schon allein aus der Gewohnheit heraus. Wir haben uns das längst abgeschminkt, denn das entbehrt jeder Realität. Man muß sich selber helfen."

KOMMENTAR:

Das heißt, hinter der Brücke in Slubice ist alles möglich. An jeder Ecke wird gebaut. Slubice ist mittlerweile eine der reichsten Städte Polens. Beschäftigungslose soll es hier angeblich nicht geben. Die Polen haben keine Berührungsängste, wenn es um die deutschen Kunden geht. Die Slubicer bedienen alles, was die Deutschen wollen, aufgeschlossen und mit deutschem Text, wo immer es geht.

Die polnischen Grenzmärkte sind mittlerweile zum wichtigsten Wirtschaftsmotor geworden. Slubice - eine Boomtown, die ihren Aufschwung im Gegensatz zu Frankfurt aus der Grenze zieht. Die Händler stellen sich auf ihre Kunden ein mit besonderen Waren und zunehmender Qualität. Keine Frage, die Deutschen gelten hier als überheblich, unfreundlich und hinterhältig, aber niemals würde das jemand sagen. Man spricht Deutsch und vor allem niemals schlecht über die, die das Geld bringen.

0-Ton

POLNISCHE HÄNDLERINNEN:

"Ich spreche Deutsch, ich sprech' so, wie sprech' ich, aber sprech' ich."

"Nein, hab' ich kein Problem, sind immer sehr gut. Ich kann nicht sagen schlecht auf Deutsch, ich kann nicht sagen."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.06.1997 | 21:00 Uhr