Osterfest beim KKW Krümmel

von Bericht: Andreas Hilmer

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Ostern ist gut überstanden - was haben Sie da gemacht? Wahrscheinlich bunte Eier gesucht, am liebsten irgendwo draußen in noch möglichst intakter Natur - solange es die noch irgendwo gibt. Nein, ich will Ihnen jetzt nicht das erste saftige Frühlingsgrün vermiesen, aber daß einige große Konzerne noch immer die Umwelt belasten, daran gibt es wohl keinen Zweifel. Und da ist es doch beruhigend zu sehen, wie gut sich dieses Familienfest mit Umweltschutz und einem Hauch von Wohltätigkeit verbinden läßt.

Ostereier-Suchen am Kernkraftwerk
Das Kernkraftwerk Krümmel hat Ostern zu einer PR-Veranstaltung für Kinder und Eltern geladen, Panorama berichtet 1997.

Von einem strahlenden Osterspaziergang der besonderen Art - aber inklusive Eiersuchen und Lämmerstreicheln - berichtet Andreas Hilmer.

KOMMENTAR:

Ostern in Geesthacht an der Elbe. Sauber die Häuser, sanft geschwungen der Deich, und von drüben grüßt malerisch das AKW Krümmel. Locker trifft man sich bei Kernkrafts am Gitterzaun, ein Reaktor bat zum PR-trächtigen Ostermarsch mit Luftballonbeilage. Ei, ei, ei am Lüftungsrohr, auch ohne Sonne strahlt die Organisatorin.

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JUTTA OLIVIER:

(Mitarbeiterinitiative KKW Krümmel)

"Hier ist eigentlich ein Osterbrunch veranstaltet worden jetzt, und da wir erfahrungsgemäß sehr viele Kinder mitgebracht bekommen von den Angestellten, von den Mitarbeitern aus dem Kraftwerk, haben wir uns gedacht, weil auch Ostern ist und Ostern ein Familienfest ist, machen wir halt auch viel für Kinder. Wir haben hier eine Hüpfburg aufgebaut. In dem Zelt dahinten werden nachher Ostereier versteckt."

KOMMENTAR:

Hüpfen gegen Langeweile und Leukämie. Nebenan werden AKW-Ostereier als Kinderköder in Stellung gebracht. Wochentags suchen die Erwachsenen hier nach Strahlung - heute suchen die Kinder nach Ostereiern. Hoppe hoppe Reiter, wenn er fällt, dann strahlt er - ein lustiger Streichelzoo am Reaktorblock.

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BESUCHER:

"Das ist ein ganz normales Osterfest. Daß das Kernkraftwerk was macht für die Umgebung und so, finde ich schon in Ordnung."

"Der Lütte ist zu Besuch aus Bamberg bei Oma, und da ist Oma selig. Mein Mann arbeitet hier. Und dann mußte er natürlich auch hierher."

INTERVIEWER:

"Sie wissen, daß hier Radioaktivität freigesetzt wird?"

BESUCHERIN:

"Ja, sicherlich, kann ich mir denken."

INTERVIEWER:

"Da haben Sie keine Angst vor?"

BESUCHERIN:

"Nee, weiß ich nicht, so schlimm ist das vielleicht gar nicht."

KOMMENTAR:

Der werkseigene Propagandasaal lockt mit Bier und Boogie Woogie, Kuchen und Kernenergie in österlich-beschwingter Symbiose. Noch nie war ein Brennkreislauf so niedlich wie heute. Ein paar Hinweistafeln weiter wird professionell erklärt und überschminkt.

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HEW-MITARBEITER:

"Diese Wärme wird direkt bei uns im Reaktor erzeugt und die Strahlung auch, und wir haben natürlich entsprechende Abschirmmaßnahmen getroffen."

KOMMENTAR:

Gegen dumme Nachfragen gibt's Jazz auf die Ohren. Ein strahlendes AKW als Erlebnispark für die ganze Familie. Die Organisatoren lassen sich nicht in die Pfanne hauen.

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ORGANISATORIN:

"Ich halte das für unbedenklich. Ich arbeite hier im Strahlenschutz, ich denk' mal, das kann man gut machen. Wenn Sie in den Urlaub fliegen, dann kriegen Sie bestimmt mehr Radioaktivität ab, als wenn Sie hier mit uns Ostern feiern."

ORGANISATOR:

"Das Risiko hier ist gleich Null, genauso wie auf dem Campingplatz und auf dem Grillplatz, der hier 500 Meter weiter liegt."

KOMMENTAR:

Nur eine Besucherin störte unübersehbar die "heile Welt auf dem Kinderspielplatz Kernkraftwerk". Sie philosophierte über den Zusammenhang von hoher Ostereidichte und hoher Leukämierate."

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BESUCHERIN:

"Also, ich finde es makaber. Also, ich denke nicht, daß man Kinder für sowas mißbrauchen darf. Es ist bekannt, daß Kernkraftwerke radioaktive Stoffe freisetzen. Das ist ja auch in einem gewissen Rahmen erlaubt. Und daß insbesondere Kinder gefährdet sind, zu erkranken durch Radionuklide, und es gibt keine harmlose Dosis."

KOMMENTAR:

Fragt man beim vorpubertären Ostervergnügen nach möglicher Strahlengefahr, reagieren die Eierleger rhetorisch eher schlank.

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ORGANISATOREN:

"Ich glaube, da unterstellen Sie irgendwas, das ist wissenschaftlich noch lange nicht erwiesen."

"Ich bin nicht bereit, diese Diskussion in diesem Zusammenhang weiterzuführen."

KOMMENTAR:

Unter der Schutzplane war inzwischen eiertechnisch der Fall X eingetreten: viel Stroh, aber wenig Schokolade, und als Belohnung immer wieder nur Smarties, Smarties, Smarties. Die meisten AKW-Eier waren vorsichtshalber abwaschbar, der Osterhase kam im Strahlenschutz-Outfit daher. Doch alles war ja für einen guten Zweck: 1.500 Mark Ostergeld geht als Spende nach Weißrußland in ein Krankenhaus für Strahlenopfer. Und das ist nicht alles: Rosenmontag verkaufte man am Werkszaun bereits erfolgreich "Pappnasen für Weißrußland", und in ein paar Wochen heißt es hier vielleicht schon wieder: "Himmelfahrt am Kernkraftwerk".

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Wenn man einer Umfrage trauen darf, dann glauben in Deutschland rund 55 Prozent aller Kinder an den Osterhasen. Vielleicht glauben sie ja jetzt auch an sichere Atomkraft oder zumindest an die Notwendigkeit von Spenden für strahlengeschädigte Kinder.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 03.04.1997 | 21:00 Uhr