Klauen, lügen, schikanieren - Boulevardreporter auf Bilderjagd

von Bericht: Stephan Wels

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Ein Fotograf mit einer digitalen Spiegelreflexkamera © picture alliance / dpa Themendienst

Haben Sie ihn auch gesehen, den betrunkenen Harald Juhnke im Interview? Er beschwert sich jetzt, läßt seinen Manager von "Bild-Beschaffungs-Kriminalität" reden, denn er fühlt sich vom

SAT-1-Kamerateam, das ihn überrumpelt hat, sehr schlecht behandelt - und zu Recht. Der Entertainer mit Alkoholproblem wehrt sich jetzt öffentlich. Aber was ist eigentlich mit den Medienopfern, die das nicht können, mit denen, die den journalistischen Katastrophenverwertern in die Hände fallen? In der Branche nennt man diese Bildbeschaffer "Witwenschüttler". Sie pressen, bevor ein Arzt den Tod überhaupt festgestellt hat, den Hinterbliebenen Fotos der Opfer ab. Im Namen des öffentlichen Interesses wird vielfach so die Grundversorgung der Bevölkerung mit Katastrophen sichergestellt und mit Bildern.

Klauen, lügen, schikanieren: Boulevardreporter auf Bilderjagd
Prominente wehren sich zunehmend gegen unseriöse Art und Weise der Bildbeschaffung durch Journalisten.

Jagdszenen aus der Medienlandschaft von Stefan Wels.

KOMMENTAR:

Jeden Tag aufs neue kämpft BILD Stuttgart um seine Leser. Mal vergewaltigt ein 13jähriger, dann stirbt ein Jugendlicher beim Todesrennen. Sensationsträchtige Fotos und Geschichten - immer wieder beteiligt die gleiche Redakteurin: Alexandra von U. Das ist die adlige Dame, von Beruf Polizei- und Gerichtsreporterin. Aber als Journalistin ist sie selbst immer mal wieder ein Fall für die Strafverfolger. Drei Ermittlungsverfahren in den vergangenen drei Jahren. Opfer klagen über hemmungslose Sensationsberichterstattung.

Esther Hermez ist die Schwester des jungen Mannes, der beim angeblichen Todesrennen starb.

0-Ton

ESTHER HERMEZ:

"Wie soll ich sagen, ich fühle Haß. Im Endeffekt, wenn ich das jetzt so sehe, habe ich Haß, Kummer, Trauer."

KOMMENTAR:

Trauer und Kummer fühlt Esther Hermez, weil ihr Bruder ums Leben kam. Haß, weil die BILD-Zeitung einen tragischen Verkehrsunfall zum Todesrennen verzerrte. Sie wollten Spaß um jeden Preis, so heißt es, und die Familie weint. Natürlich weint sie, aber sie weint noch viel mehr, als sie das Foto des Sohnes in der Zeitung entdeckt. Die Familie erinnert sich: Kurz nach dem Unglück gab es Besuch von einer unbekannten Frau.

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ESTHER HERMEZ:

"Ich habe sie gesehen, indem sie vor meiner Mutter gekniet ist und sie so gestreichelt hat und sie gesagt hat: Beruhigen Sie sich. Und daraufhin bin ich auf sie gekommen und habe gesagt, wer sie ist, und da hat meine Mutter gesagt: Das ist eine Krankenschwester, sie ist eine Krankenschwester von dem Krankenhaus, wo dein Bruder liegt."

KOMMENTAR:

Die Seelentrösterin war eine BILD-Redakteurin namens Tina S., Co-Autorin der Alexandra von U. Als Krankenschwester habe sie sich eingeschlichen, schildert Esther Hermez, und ein Fotoalbum verlangt, um den Toten zu identifizieren. Als sie geht, fehlt ein Foto - Tage später schickt es die BILD-Zeitung zurück.

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ESTHER HERMEZ:

"Mir geht's auch darum - das Bild - sie hat ja im Endeffekt das Bild geklaut, sie hat ja nicht gefragt: Darf ich es haben. Sie hätte von mir kein Bild gekriegt."

KOMMENTAR:

Einige Zeit zuvor hatte Frau von U. über eine sensationelle Vergewaltigung geschrieben. In einer Stuttgarter Trabantensiedlung soll sich der Fall ereignet haben - der Täter 13, das Opfer 7 Jahre alt. Eine Vergewaltigung hat es nach Auskunft der Justiz nie gegeben, wohl aber einen Hausfriedensbruch. Diesmal geht Frau von U. mit einer Fotografin selbst an die Front und klingelt bei dem 13jährigen, als die Eltern nicht zu Hause sind. Der Junge öffnet und spricht mit den Reporterinnen - warum wohl, das notiert später ein Polizist:

Die Reporter haben vorgebracht, mit dem Jungen über das Mädchen sprechen zu wollen. Sie haben sich nicht vorgestellt. Der Junge vermutete, es handele sich um Polizeibeamtinnen.

Monate später akzeptiert Alexandra von U. einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch. 3.000 Mark kostet die Recherche.

Vor sechs Wochen landete die Journalistin wieder einen Coup, sie berichtete über Stuttgarts schlimmsten Pflegeskandal. Rentnerin Erna, so schrieb Frau von U., hatte am rechten Bein offene Wunden, eitrig, Maden krochen heraus. Prompt ist auch ein Bild von Rentnerin Erna in der Zeitung - wir zeigen es leicht verfremdet. Ihr Sohn erzählte uns, wie der Artikel und das Foto zustande kam. Diese Angaben hat er auch bei der Polizei gemacht. Uns schildert er, wie er Besuch von der Redakteurin Alexandra von U. bekam:

"Die Frau legte mir während des Gesprächs ein DIN A4-Blatt mit dem Kopf der Staatsanwaltschaft Stuttgart vor. Auf dem Blatt stand, daß es sich um eine Genehmigung der Staatsanwaltschaft Stuttgart handelt, mit der Berechtigung, ein Interview durchzuführen."

Die Behörde ermittelt jetzt wegen Urkundenfälschung. Offen, was das Verfahren ergibt. Immer wieder jedenfalls fühlen sich die Opfer unsauberer Recherchemethoden letztlich ohnmächtig. Vor sechs Monaten stand hier in Esslingen Tina S. vor Gericht, die sich als tröstende Krankenschwester eingeschlichen haben soll. Esther Hermez traf sie im Gerichtssaal wieder.

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ESTHER HERMEZ:

"Ich war eigentlich - ich muß wirklich sagen, ich war voller Haß. Wenn es in meiner Macht gestanden wäre, ich hätte sie am liebsten erwürgt, weil sie kam nicht auf uns noch mal zu und hat sich vielleicht mal entschuldigen wollen oder so. Stolziert kam sie an, sie kam richtig: Ich bin's doch, ich hab' was Gutes gemacht, was wollt ihr denn, ich hab' damit Geld gemacht."

KOMMENTAR:

Das Verfahren gegen die Redakteurin Tina S. wurde eingestellt. Ihre Schuld sei gering. Ganze 3.000 Mark mußte sie an die Familie Hermez bezahlen.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Der Springer-Verlag schreibt uns dazu, in keinem der drei Fälle haben sich die beiden Redakteurinnen - ich zitiere - "unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder durch andere unlautere Methoden in den Besitz von Fotomaterial gebracht". Das Gericht sah es ja wohl anders. Die 3.000 Mark wegen Hausfriedensbruch, die zahlt dann wahrscheinlich wohl auch der Verlag.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 28.08.1997 | 21:00 Uhr