High-tech-Pleite

von Bericht: Thomas Bernd und Stefan Wels

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Ein strahlender Mercedes-Benz-Stern vor dem Himmel © dpa - Bildfunk Foto: Arno Burgi

Mercedes Benz und unser Innenminister haben eines gemeinsam: Sie glauben uneingeschränkt an die sogenannte elektronische Wegfahrsperre - ein bei allen Edeltypen inzwischen serienmäßig eingebautes Sicherungssystem, das Autodiebe ausbremsen soll, besonders wenn es um Autoknackers Lieblinge, nämlich Nobelrenner und Geländewagen geht. Die Kolonne der geklauten Karosserien ist kleiner geworden, und nun verkündet man stolz, die Wegfahrsperre sei einfach nicht zu knacken.

High-tech-Pleite Elektronische Wegfahrsperre
Ein Bericht von 1997 über die Sicherheit elektronischer Wegfahrsperren - auch sie sind vor Autodieben nicht sicher.

Irrtum, fanden Thomas Bernd und Stefan Wels heraus.

KOMMENTAR:

Für jeden Eigentümer ein Prestigeobjekt, für jeden Autodieb ein Lustobjekt. Die S-Klasse von Mercedes. Rund 100.000 Mark auf Rädern, das garantierte lange einen Spitzenplatz in den Top-Charts der geklauten Autos - bis '94 diese Anzeige erschien.

Gute Freunde der Marke wurden gezielt verprellt, all die Gauner und Ganoven, denn jetzt gab's sie serienmäßig: die elektronische Wegfahrsperre. Triumph der Technik über den Autodieb. Sogar Bundesinnenminister Kanther, selbst S-Klasse-Fahrer, verkündete vor vier Wochen:

"Der Polizei ist nach wie vor kein Fall bekannt, in welchem die elektronische Wegfahrsperre am Ort des Diebstahls überwunden wurde und der Dieb anschließend mit dem Kraftfahrzeug wegfahren konnte."

Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedanken - ein Irrtum der Sonderklasse.

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KURT SCHRIMM: (Staatsanwaltschaft Stuttgart)

"Der Staatsanwaltschaft Stuttgart ist mindestens ein Fall, möglicherweise aber auch ein oder zwei weitere Fälle bekannt, in welchen die Wegfahrsperre am Ort der Tat überwunden wurde und der Dieb mit dem Fahrzeug wegfahren konnte."

KOMMENTAR:

Landgericht Stuttgart heute mittag. Hier im Gerichtssaal wurde auch für die Staatsanwaltschaft klar: italienisches Handwerk schlägt High-tech, made in Germany. Angeklagt: der gelernte KFZ-Mechaniker Carlo Locatelli und seine Freunde. Über dreißig geklaute Mercedesse sollen auf ihr Konto gehen, darunter offenbar auch solche mit der neuesten High-tech-Sperre. Der Vorsprung durch Technik ist dahin.

Zu den Beweismitteln im Prozeß zählen solch beschämenden Bilder: Autos mit angeblich unüberwindlicher Wegfahrsperre werden einfach so aus Parkhäusern herausgefahren. Dabei braucht man dafür eigentlich so einen Schlüssel mit Computerchip. Aber es geht auch anders: Die italienischen Handwerker knackten offenbar die Türen und machten dann kurzen Prozeß. Die gesamte Elektronik der Wegfahrsperre wurde einfach ausgewechselt gegen ein Original-Ersatzteil von Mercedes.

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CHRISTIAN ARNSPERGER: (Rechtsanwalt" )

"Es soll von einem Mercedes-Händler in Italien bestellt worden sein. Wie es in die Händler der betreffenden Personen gekommen ist, kann ich auch nicht sagen. Meine Mandanten erklären - oder mein Mandant erklärt, und die anderen sagen das wohl auch, daß es solche Geräte auf dem Schwarzmarkt auch zu haben gibt."

KOMMENTAR:

In der High-tech-Zentrale aber wird der Vorgang heftig dementiert. Per Fax teilt man uns mit, solche Diebstähle kenne man nicht, es bleibt dabei, daß Mercedes kein Fall bekannt ist, in dem die elektronische Wegfahrsperre bei einem Fahrzeug überwunden werden konnte. Doch eigentlich, so glaubt Locatellis Anwalt, müßte der Konzern das mittlerweile besser wissen.

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CHRISTIAN ARNSPERGER: (Rechtsanwalt)

"Ich weiß nur aus den Ermittlungsakten, daß sowohl die Sonderkommission der Kriminalpolizei in Esslingen als auch das Landeskriminalamt in enger Verbindung mit Daimler- Benz diese geknackten Autos untersucht hat. Und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß Mercedes Benz das nicht genau verstanden hat, was da passiert ist."

KOMMENTAR:

Vielleicht ist Mercedes der ganze Vorgang aber auch nur peinlich - gehört doch eins der fraglichen geknackten Autos keinem geringeren als Herrn Manfred Remmel, Vorstandsmitglied von Mercedes Benz. Der Mann ist zuständig für die Produktion und damit sozusagen der Meister aller Wegfahrsperren.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 20.02.1997 | 21:00 Uhr