Freie Fahrt für faules Fleisch - EU reduziert Einfuhrkontrollen

von Bericht: Inge Altemeyer und Beate Greindl

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Untersuchung einer Fleischprobe © dpa

Nach Rasse und Klasse sortiert, versehen mit Ohrenmarken, Mikrochips und EU-Pass: Im Zeitalter von Rinderwahnsinn werden die Behörden alles tun, um die in der Europäischen Union sogenannte "Volksgesundheit" unter Fleischessern sicherzustellen und jedes Vieh, tot oder lebendig, kontrollieren - oder?

Freie Fahrt für faules Fleisch
Weitestgehend unbemerkt wurde die Fleischkontrolle an den EU-Außengrenzen so gut wie abgeschafft, ein Bericht von 1997.

Weit gefehlt. Fast klammheimlich haben Euro-Bürokraten jetzt die Fleischkontrollen an den Außengrenzen der Union so gut wie abgeschafft. Viehtourismus ohne Grenzen ist möglich - freie Fahrt für faules Fleisch. Ein Kuhhandel zu unseren Lasten. Verschimmeltes Schwein, gammelige Shrimps, verdorbenes Lamm - nicht aus deutschen Landen, aber direkt auf den Tisch.

Guten Appetit wünschen uns Inge Altemeyer und Beate Greindl.

KOMMENTAR:

Der Steakesser von heute ist wählerisch. In Zeiten von BSE ist Rindfleisch aus Europa out. Doch deshalb muß man auf den Fleischgenuß noch lange nicht verzichten. Es gibt ja noch Rinder am anderen Ende der Welt. Argentinien, das Rindfleischparadies.

Auch Lamm aus Neuseeland hat den besten Ruf. Doch der Weg nach Deutschland ist weit. Bis zu vier Wochen dauert die Weltreise zwischen Oakland und Hamburg. Da kann allerlei passieren. Wenn die Kühlanlage ausfällt, ist das Fleisch hinüber. Damit die Gammelware nicht auf deutsche Teller gelangt, wurde hier bisher jede Ladung vom Veterinäramt Grenzdienst überprüft.

Unappetitliche Funde. Leichte Gefrierschäden bis hin zu völlig verdorbenen Waren - wie etwa Rinderhaut für die Gelatineproduktion. EU-weit werden rund 4.600 Tonnen Fleisch jährlich an den Grenzen zurückgewiesen. Millionen Kilo faules Rind, Schwein und Lamm, das zum Glück nicht auf unseren Tellern landete. Die Dunkelziffer liegt noch wesentlich höher, weil vieles gar nicht gemeldet wird.

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PETER MIELMANN: (Veterinäramt Grenzdienst)

"Wir haben Gelatine gehabt mit Fremdgeruch, wir haben Fleisch gehabt mit Fremdgeruch, wir haben Histamin gehabt in Thunfischkonserven, wir haben verfaulte Rehe gehabt, wir haben Salmonellen auch gehabt oder Staphylokokken-Befunde in Milchpulver. Also es ist eine bunte Palette."

KOMMENTAR:

Doch jetzt werden die erfolgreichen Veterinäre von der EU zurückgepfiffen. Statt hundert Prozent dürfen sie seit Anfang des Jahres nur noch zwanzig Prozent der Fleischeinfuhren aus Nicht-EU-Ländern checken. Für 29 Länder gelten laut EU-Bestimmung diese sogenannten "reduced checks". Wieder einmal hat sich die Europäische Union auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Andere Länder wollten sich den hohen deutschen Standard nicht anpassen, sie kosten schließlich Geld. Ganz im Sinne des vereinten Europas stimmte auch Deutschland vor zwei Jahren für die "reduced checks". In der heutigen Zeit der Fleischskandale wirkt das absurd. Doch jetzt müssen sich die Behörden daran halten.

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FRANZ FISCHLER: (EU-Kommissar)

"Die Kernfrage besteht darin: Machen wir eine Gemeinschaftsregelung oder nicht. Wir haben eine Gemeinschaftsregelung gemacht, und wir haben gesagt, ab 1.1.97 soll sie angewendet werden. Daher haben wir keine Alternative, als diese gemeinschaftliche Regelung nunmehr auch anzuwenden."

KOMMENTAR:

Die Fleischindustrie kann sich freuen, für sie sind die "reduced checks" eine feine Sache.

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KARL HEINZ NEUMANN: (Fleischhandelsverband)

"Die Fleischimporteure, für die ich hier spreche, Fleischeinfuhren aus Dritten Ländern, begrüßen diese 'reduced checks', weil die Abfertigung von Importware im Ankunftshafen wesentlich schneller geht. Der Umgang mit der Ware ist pfleglicher, und es ist auch eine leichte Reduktion der Kosten zu verzeichnen."

KOMMENTAR:

Dem Fleischfreund wirds schon trotzdem schmecken, der weiß schließlich nichts davon. Wie so oft geht es bei der EU-Politik nicht um die Gesundheit des Verbrauchers.

Die Zukunft im Veterinäramt gehört dem Computer. Er soll die Stichproben festlegen und für Datentransfer sorgen. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, daß die EDV hier immer noch Steinzeitniveau hat. Wenn im Hamburger Hafen faules Fleisch gefunden wird, wissen Rotterdam oder andere EU-Häfen davon noch lange nichts.

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PETER MIELMANN: (Veterinäramt Grenzdienst)

"Hamburg hat auch immer den Standpunkt vertreten, wir können die 'reduced checks' eigentlich nicht machen, bevor nicht dieses Warnsystem funktioniert, richtig gut funktioniert. Aber die EG hat da anders entschieden."

KOMMENTAR:

Nur bei einzelnen Waren und Ländern ist die EU noch vorsichtig, zum Beispiel bei Hühnerfleisch aus China werden nach wie vor hundert Prozent untersucht. Ansonsten gilt die Devise: Die Tierärzte aus den Erzeugerländern sind genauso gut wie bei uns. Man verläßt sich auf ihre Papiere.

Um Transportschäden, die bei solchen Temperaturmessungen sofort auffliegen, sollen sich die Importeure wie hier selber kümmern. Selbstkontrolle - das Modell für die Zukunft.

Gunter Bagowski, Großimporteur von neuseeländischem Lamm, ist davon begeistert. Endlich bekommt Neuseeland von der EU die gebührende Sonderbehandlung. Bald werden nur noch ganze zwei Prozent der Fleischimporte vom Veterinäramt gecheckt.

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GUNTER BAGOWSKI: (Fleischimporteur)

"Man muß auch ganz deutlich sagen, daß diese Vereinbarung, die besteht zwischen Neuseeland und der EU oder die jetzt kommen soll und in Kraft gesetzt werden soll, ja eine Vereinbarung ist aufgrund der Tatsache, daß bisher nie etwas gefunden worden ist."

KOMMENTAR:

Doch das ist eben nicht richtig, denn auch neuseeländisches Lammfleisch ist vom Veterinäramt in der Vergangenheit nicht nur rot, sondern auch schwarz gestempelt worden. Nicht einfuhrfähig. Ganze 22 Tonnen solcher Lämmer wurden vor wenigen Monaten konfisziert. Seither gibt es Streit, was damit passieren soll. Das Fleisch ist mit dem Lösungsmittel Toluol belastet. Beim Veterinäramt war es beim Geruchstest durchgefallen. Nur der Importeur will das nicht wahrhaben.

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GUNTER BAGOWSKI: (Fleischimporteur)

"Jetzt muß ich mal sagen, wir hatten doch vorher vereinbart, daß wir keinen Toluolfall haben, und ich würde Sie auch bitten - auch ich habe den nicht. Das ist doch -"

INTERVIEWERIN:

"Aber die Lämmer sind ja gekommen, und Sie konnten sie nicht weitergeben."

GUNTER BAGOWSKI::

"Nein, die Lämmer sind gar nicht gekommen, Entschuldigung."

KOMMENTAR:

Doch sie müssen wohl gekommen sein, denn sonst hätte das Veterinäramt die 22 Tonnen Lammfleisch kaum testen und konfiszieren können.

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GUNDELA SCHOO: (Veterinäramt Grenzdienst)

"Wir haben anhand des Fremdgeruchs schon entschieden, daß dieses Fleisch zurückzuweisen ist. Ein Geruch darf nicht auf Fleisch übergehen, das ist ganz klar im Fleischhygienerecht so festgelegt. Es kann immer ein Übergang von Stoffen sein. Auf Wunsch der Firma wurde dann auch in einem anderen Labor festgestellt, wo der Geruch her kam. Es wurde Toluol nachgewiesen, das auch auf das Fleisch übergegangen ist. Und von daher war das Ergebnis, daß die Ware zurückzuweisen ist."

KOMMENTAR:

Jetzt harren die Lämmer in diesem Gefrierhaus auf bessere Zeiten. Filmen würden wir sie nicht. Keine Versicherung hat für den Schaden bisher bezahlt, und eine Ausfuhrgenehmigung für Osteuropa hat es bis jetzt auch nicht gegeben. Schlecht gelaufen für den Importeur. Und auch nicht gerade ein gutes Beispiel dafür, daß die staatliche Fleischkontrolle durch Selbstkontrolle der Importeure ersetzt werden sollte.

Das Toluol-Fleisch wäre wohl in unseren Supermärkten gelandet, hätte es im vergangenen Jahr schon die reduzierten Kontrollen von zwei Prozent gegeben. Doch die EU will solche Minimalkontrollen in Zukunft sogar noch sehr viel mehr Lieferländern gewähren. Die Verhandlungen laufen in Brüssel.

Und es könnte sogar noch schlimmer kommen, denn die Kommission und einzelne Länder, allen voran Großbritannien, wollen noch viel weniger Kontrolle. Wenn sie sich durchsetzen, dürfen staatliche Veterinäre nicht mal mehr die Warennummern und die Einfuhrpapiere abgleichen. Der Schieberei mit Fleisch sind Tür und Tor geöffnet, wenn diese Identitätskontrolle fällt.

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PETER MIELMANN: (Veterinäramt Grenzdienst)

"Das bedeutet, daß wir einfach nicht den Container mehr haben, das heißt, wir haben die Papiere, aber nicht den Container. Papiere und Container bzw. Container und Tierarzt treffen sich nicht mehr."

KOMMENTAR:

Beanstandetes Fleisch wurde bisher entweder vernichtet, zurückgeschickt oder kam zum Schiffsausrüster, denn auch mit Gammelware läßt sich noch ein Geschäft machen. In Zukunft könnten die Gewinnspannen dafür durchaus noch größer werden, denn die Händler können dann so einiges wohl auch zu offiziellen Preisen verkaufen.

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Vielleicht hat sich der Rinderwahnsinn doch schon in größerem Maße auf Menschen übertragen, aber Irrsinn ist ja noch kein Straftatbestand.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 20.02.1997 | 21:00 Uhr