Fälschung, Verleumdung, Betrug - Wie das Hörgeräte-Kartell um Patienten kämpft

von Bericht: Ilka Brecht und Jochen Graeber

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

11 bis 14 Millionen Menschen in der Bundesrepublik haben einen irreparablen Hörfehler. Anders als Beethoven, der seine Schwerhörigkeit zu verbergen suchte, gibt es heute mehr und mehr bekennende Schwerhörige. So verzeichnen die Hersteller von Hörgeräten seit Beginn der neunziger Jahre gute Umsatzsteigerungen. Eine Branche wie aus dem Bilderbuch: geschützt vor dem Unbill des Wettbewerbs, mit einem Monopol für Hörgeräte zu Höchstpreisen - und alles von Krankenkassen und Patienten bezahlt. Doch seit kurzem gibt es einen Branchen-Neuling, der mit ganz anderen, unkonventionellen Methoden arbeitet und für neue Töne, billigere Hörgeräte und viel Unruhe sorgt. Die alteingesessene, ehrwürdige Branche wehrt sich nun mit einem hohen Maß an krimineller Energie. Schließlich geht es um den Erhalt alter Privilegien und Pfründe.

Hörgeräte-Kartell kämpft um Patienten
Seit einigen Jahren gibt es in Deutschland einen erbitterten Konkurrenzkampf zwischen den Hörgeräteherstellern.

Ganz Ohr für Ilka Brecht und Jochen Graebert.

KOMMENTAR:

Brandanschlag bei einem Branchen-Neuling. Im August 1990 verwüstete eine Benzinbombe die Geschäftsräume der Hörgerätefirma Sanomed. Die Firma, gerade frisch gegründet, schrammte knapp am Konkurs vorbei. Damals standen auch die alteingesessenen Anbieter im Verdacht, einen unbequemen Konkurrenten auf diese Weise aus dem Weg räumen zu wollen. Denn in der Branche tobt ein erbitterter Kampf, seit Sanomed gegen die etablierte Zunft der Akustiker angetreten ist. Wie einst Fielmann im Brillengeschäft schockte Sanomed die Konkurrenz mit Preisknüllern. Und noch heute gibt's hier Hörgeräte zum Nulltarif für Patienten, die bei der Konkurrenz rund 800 Mark zuzahlen müssen.

0-Ton

ANDREAS COBURGER:

(Sanomed)

"Vor unserem Eintritt in den Markt war es ein kleines Paradies, und wer läßt sich schon gern ein Paradies wegnehmen. Die Preise waren hoch, man war sich über die Preisgestaltung bundesweit einig, und wir haben erstmals in diesen quasi monopolistisch abgeschotteten Markt wie ein Kartell erstmals über die Preisschiene Wettbewerb hineingebracht. Dort schaut man natürlich nicht tatenlos zu."

KOMMENTAR:

Tatsächlich überzog die Branche Sanomed mit Prozessen, bis vor den Bundesgerichtshof. Doch Sanomed setzte sich bislang durch, gehört inzwischen zu den Marktführern in der Branche, die 1,6 Milliarden Mark im Jahr umsetzt. Dann, im Sommer, ist Andreas Coburger Zuschauer beim nächsten Schlag der Konkurrenz. In einer Fernsehsendung stellt die Lübecker Akademie für Hörgeräteakustik ein Gutachten vor, das Sanomed ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. Zitat:

0-Ton

ZDF-SENDUNG vom 20.8.97:

"An der renommierten Akademie für Hörgeräteakustik in Lübeck standen jetzt Sanomed-Produkte auf dem Prüfstand. Das Ergebnis könnte zum Riesenskandal werden. Sanomed rechnet zwar, laut einer Ortskrankenkasse, in der teuersten Kategorie 3 für Mehrkanalgerätet ab, liefere aber fast nur Produkte der einfachsten, der billigsten Kategorie. Für den Prüfer der Hörgeräteakademie, Reimer Rohweder, anerkannter Akustikfachmann, ist das offener Betrug."

REIMER ROHWEDER:

"Die Krankenkassen werden um den Zuschuß betrogen, und der Schwerhörige - das regt mich besonders auf - wird um ein Stück Lebensqualität betrogen."

0-Ton

ANDREAS COBURGER:

"Am nächsten Tag klingelten die Telefone, können Sie sich vorstellen, Ärzte riefen an, Krankenkassen. Wir standen über Nacht als Betrüger da."

KOMMENTAR:

Die im Fernsehen dokumentierten Meßergebnisse kosten Sanomed Millionenumsätze. Coburger ist ratlos. Wochenlang bekommt er das Gutachten nicht zu sehen.

0-Ton

ANDREAS COBURGER:

"Das Ungeheure war ja, daß uns zunächst nichts bekannt war, und wir fieberten dem Augenblick entgegen, wo uns erstmals überhaupt irgendwelche Einzelheiten genannt wurden, zum Beispiel die Gerätenummern der angeblich untersuchten Geräte."

KOMMENTAR:

Am 8. September treffen dann endlich die Unterlagen ein, Meßergebnisse zu insgesamt fünfzig Geräten. Coburger kann nun endlich die Vorwürfe prüfen. Unter jedem Meßergebnis steht die dazugehörige Gerätenummer. Ein Griff in die Patientenkartei, und die Daten liegen vor. Ein Beispiel: Ein Mann namens Walter Zielinski trägt das Gerät mit der Nummer A 95 4117.

0-Ton

ANDREAS COBURGER:

"In derselben Nacht telefonierten wir im gesamten Bundesgebiet unseren Außendienst aus dem Bett, der sich bereits am nächsten Morgen mit den einzelnen Patienten in Verbindung setzte."

KOMMENTAR:

Ein Sanomed-Mitarbeiter macht sich auf den Weg. Besuch bei Walter Zielinski in Böhlen bei Leipzig. Herr Zielinski zeigt dem Sanomed-Mann sein Hörgerät.

0-Ton

WALTER ZIELINSKI:

"Das ist das Gerät."

SANOMED-MITARBEITER:

"Ja, und hier kann ich noch mal vergleichen, hier ist also die Seriennummer, entsprechend der Seriennummer, die im Gutachten aufgeführt worden ist, ganz eindeutig zu erkennen, gut lesbar."

KOMMENTAR:

Schon merkwürdig: Dasselbe Hörgerät, das Walter Zielinski stets im Ohr hatte, soll sich auf dem Untersuchungstisch in Lübeck befunden haben. Kann nicht sein, sagt Zielinski.

0-Ton

WALTER ZIELINSKI:

"Ich hab' das Gerät nie aus der Hand gegeben, es ist nie zur Überprüfung weg gewesen, überhaupt nicht, das Gerät war immer hier."

KOMMENTAR:

Walter Zielinski bestätigt das in einer eidesstattlichen Versicherung, die er gegenüber Sanomed abgibt. Am Ende hat Coburger 23 solcher Erklärungen seiner Kunden. Demnach könnten diese Geräte gar nicht untersucht worden sein. Der Verdacht liegt nahe, daß jemand Duplikate erstellt hat. Sanomed wittert Betrug.

0-Ton

ANDREAS COBURGER:

"Hier ist eine bundesweite Aktion nach Methoden einer kriminellen Vereinigung losgetreten worden gegen uns. Hier wurde ein Gutachten gefälscht und vorsätzlich den Krankenkassen und dem medizinischen Dienst der Krankenkassen zugespielt, die dieser Fälschung aufgesessen sind."

KOMMENTAR:

Der Akademie zugespielt wurden die Geräte über Jahre hinweg von Hörgeräteakustikern, denen die Patienten weglaufen, weil sie bei Sanomed nichts zuzahlen müssen. Haben Sanomed-Konkurrenten Fälschungen hergestellt? Sanomed erstattete Strafanzeige, die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt.

Auch gegen die Lübecker Akademie ermitteln Staatsanwälte. Hier wurde das Gutachten erstellt. Der Verfasser Reimer Rohweder ist keineswegs unabhängig, er arbeitet bei der Akademie, und die ist eine Einrichtung der Bundesinnung für Hörgeräteakustiker, den Konkurrenten von Sanomed. Der Gutachter ist anfangs noch optimistisch, zu allen Geräten habe er die entsprechenden Sanomed-Papiere, Irrtum ausgeschlossen.

0-Ton

REIMER ROHWEDER:

(Akademie für Hörgeräteakustik)

"Also es ist so, daß wir hier jede Menge an Unterlagen haben, ein Stapel, noch ein Stapel, noch ein Stapel. Das heißt also, die Unterlagen dafür stehen zur Verfügung. Dann ist es eben so, daß ebenfalls auch die Patientendaten bzw. die Abrechnungsdaten alle hier vorliegen."

KOMMENTAR:

Nach dieser zuverlässigen Prognose sucht Rohweder nach der Nummer 95 4117. Das ist das Gerät von Walter Zielinski. Er findet den Patienten nicht. Wenig später: Erklärungsversuch.

0-Ton

REIMER ROHWEDER:

"Manchmal sind ja diese Hefte nicht dabei, und dann kann ich das auch nicht sagen. Da kriege ich also die Geräte also lediglich so, hier, ja, einfach so, wie sie denn so sind. Und dann hat man natürlich nur die Nummern, die dann eben hier drauf stehen. Dann werden die in die Liste so eingetragen, und dann hat sich die Sache."

KOMMENTAR:

Wir fragen ihn nach weiteren vier Geräten, für die die Patienten gegenüber Sanomed eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatten. Auch hier findet er nur die Nummern - ohne Namen.

0-Ton

INTERVIEWERIN:

"Der Herr Zielinski, so die Firma Sanomed, behauptet nun oder hat versichert, daß er das Gerät nie aus der Hand gegeben hat, und er sei auch sehr zufrieden damit. Was sagen Sie dazu, zu diesen Ausführungen?"

REIMER ROHWEDER:

"Das kann ich mir so natürlich nicht erklären."

KOMMENTAR:

Wie insgesamt 23 Geräte gleichzeitig im Ohr der Patienten und zur Untersuchung in der Akademie gewesen sein können, kann sich Reimer Rohweder auch nicht erklären.

Eines ist sicher: Betrug liegt vor. Fragt sich nur von wem: vom erfolgreichen Außenseiter mit den billigen Geräten oder von der Akustiker-Branche. Deren Innung verweigerte uns jegliche Auskunft.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 09.10.1997 | 21:15 Uhr