Aids-Aktivist

von Bericht: Irene Stratenwerth

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Rote Aidsschleife © Deutsche AIDS-Stiftung Foto: Deutsche AIDS-Stiftung

Im Zeitalter der Immunschwäche gehört es fast schon zum guten Ton, sich für Aids-Aufklärung einzusetzen, für bereits Erkrankte Geld zu sammeln. Ob Diner, Tombola oder Wohlfahrtsball, ein paar Promis sind auch immer gern dabei, schließlich engagiert man sich ja für die gute Sache. Und jenseits des Rampenlichts? "Wir müssen lernen, daß der Tod zum Leben gehört. Jeder muß das Recht haben, sein Leben bis zum Ende so zu gestalten, wie er es sich selber wünscht."

Das hat ein Theologe gesagt, der hier in Norddeutschland als Aids-Aktivist bekannt wurde. Und für diese Überzeugung hat er jahrelang gekämpft, sich mit den Nöten von Aids-Kranken auseinandergesetzt, versucht, ihnen zu helfen.

Er, der vielen den einsamen Tod in der weißkalten Atmosphäre eines Krankenhauses erspart hat, stirbt jetzt selbst an der Immunschwäche. Irene Stratenwerth hat ihn besucht.

KOMMENTAR:

Musik gehört zu den wenigen Dingen, die noch wichtig sind im Leben von Helmut Zander. Er ist aidskrank, seit mehr als zehn Jahren. Sein Immunsystem bietet keinen Widerstand mehr gegen ein Virus, das sein Gehirn angreift und fortschreitend Körper und Sinne lähmt. Der Tod selbst aber hat für Zander längst seinen Schrecken verloren.

0-Ton

HELMUT ZANDER:

"Das stört mich überhaupt nicht mehr. Ich habe so viel Gelegenheit gehabt, und es hat mich auch allerlei erschreckt. Aber ich denke, ich habe also mehr Angst vor diesem ganzen Ausgeliefertsein und Hilflosigkeit."

KOMMENTAR:

Vor zehn Jahren war er einer der ersten, die öffentlich über ihre Krankheit sprachen. Daß Aidskranke in Würde leben und sterben können, mit diesem Anliegen wurde der Hamburger Theologe bundesweit bekannt. Als die Ärzte ihn schon für todkrank hielten, nahm er Reißaus aus dem Krankenhaus. Er überlebte alle Prognosen, wurde zum mutmachenden Leitbild für andere Infizierte.

Doch jetzt, wo er selbst am Ende ist, ist Helmut Zander allein. Für andere hat er oft getan, was jetzt jemand für ihn tun müßte: Einkaufen, Aufräumen, Essenkochen, Wäsche und Post erledigen - das alles kann der Schwerkranke nicht mehr. Die Wohnung verkommt, Schimmelpilze wuchern an den Wänden, der Putz fällt von der Decke. Damals hatte er viele Verbündete. Manche gaben entmutigt auf, andere sind schon tot. Was bleibt, sind ein paar bescheidene Wünsche

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HELMUT ZANDER:

"Eine ganz normale Wohnung, alles behindertengerecht, und eine abrufbare Pflegestation, dann, wenn ich Hilfe brauche, pflegerisch. Und sonst, so weit und so gut ich mein Leben, und so viel ich kann, meine Freunde sehen, und nicht unter solchen Bedingungen, daß ich funktionalisieren muß die Sachen, die ich auch gar nicht mit ihnen machen möchte."

KOMMENTAR:

Ein eigenes Haus für aidskranke Menschen, das war schon früh Helmut Zanders Idee. Seine Initiative für ein Hospiz in Hamburg bekam prominente Unterstützung quer durch alle Parteien, aber nie ein geeignetes Gebäude. Sein Traumobjekt wurde von einer Behörde bezogen. Ein Hintergebäude soll jetzt, acht Jahre später, zum Hospiz ausgebaut werden. Helmut Zander wird das nicht mehr helfen. Weil er sich engagiert hat, ohne nach Geld oder Posten zu fragen, ist er heute völlig verarmt. Eine Renovierung der Wohnung, eine für ihn geeignete Einrichtung - für all das fehlt es an Geld und an Menschen, die sich darum kümmern. Die Notwendigkeit einer behindertengerechten Wohnung - längst wurde sie ärztlich bescheinigt, aber die Wartefristen sind länger als Zanders Lebenserwartung.

Menschliche Zuwendung und praktische Hilfe - was Zander zusteht, hat der medizinische Dienst der Krankenkassen geprüft. Der Bescheid kam am 28. Januar: Die niedrigste der drei Pflegestufen, Hilfe für höchstens 45 Minuten am Tag oder 750 Mark im Monat, genehmigt die Pflegekasse. Dagegen angehen, Widerspruch einlegen, neue Gutachten ertragen, das alles wird Helmut Zander zu viel. Ein Abschied in Ruhe und die Zeit, um eine Beziehung zu seinen Pflegern zu knüpfen, solange er sie noch sehen und hören kann - das ist alles, was er noch will. Für andere hat er immer gekämpft, doch jetzt ist er verbittert und gibt sich geschlagen.

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ANRUFBEANTWORTER:

"Anschluß von Helmut Zander, der sich im Augenblick in einem kriegsähnlichen Zustand befindet. Meine Versuche, mit schwerer Krankheit zu leben, werden systematisch tagtäglich zunichte gemacht."

KOMMENTAR:

Wer ihn anruft, bekommt das zu hören - aber viele rufen hier schon lange nicht mehr an

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Nachdem die AOK erfahren hat, daß wir einen Film über Helmut Zander produzieren, hat sie sich schnell entschlossen, ihm "ausnahmsweise", wie es hieß, eine höhere Pflegestufe zu gewähren.

Übrigens: Das Bundesgesundheitsministerium hat vor wenigen Tagen bestätigt, daß im Haushalt 1997 das Geld für Aids-Vorbeugung von 18 auf 13,5 Millionen gekürzt wurde.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 13.03.1997 | 21:15 Uhr