Deutsche Botschaften - Drehscheiben internationaler Schleuserringe

Anmoderation

JOACHIM WAGNER

Deutsche Botschaft © ARD/Panorama Foto: Screenshot

Guten Abend, meine Damen und Herren, seit der Verschärfung des Asylrechts 1993 ist die Zahl der Asylbewerber Jahr für Jahr gesunken. Gestiegen ist dagegen die Zahl jener, die ganz legal mit einem Visum in die Bundesrepublik einreisen und hier dann teilweise untertauchen, unter ihnen Asylsuchende und Wirtschaftsflüchtlinge, Kriminelle und Prostituierte. Ihre Einreisen organisieren internationale Schleuserringe. Daß die Hamburger Kriminalpolizei jetzt den ersten großen Ring enttarnt hat, ist auch das Verdienst einer PANORAMA-Recherche aus dem Jahre 1994. Warum, erklären Gita Ekberg und Jochen Graebert.

KOMMENTAR:

Die deutsche Botschaft in Teheran. Jeden Tag drängen sind hier hunderte Iraner. Sie warten, manchmal tagelang, um ein Visum für Deutschland zu bekommen. Viele warten vergeblich, andere sind erfolgreich - weil sie Schmiergeld zahlen. Das jedenfalls berichteten Iraner in einer PANORAMA-Sendung vor zwei Jahren.

PANORAMA-Bericht vom 23.6.1994

Kommentar: Mutter und Sohn in Deutschland. Vor vier Jahren konnte sie aus dem Iran fliehen, ihren Sohn wollte sie nachkommen lassen, seine Großmutter sollte ihn nach Deutschland bringen. Ganz legal versuchte die Familie, an ein Visum zu kommen - abgelehnt. Einen Tag später wandte sich die Familie an einen sogenannten Vermittler.

Mutter (Übersetzung): "Er sagte, er kenne jemanden in der deutschen Botschaft, und so kann er ein Visum besorgen. Aber das kostet 400.000 Toman, so viel wie ein Luxusauto. Von dem Geld muß der Vermittler normalerweise die Hälfte an die Mitarbeiter in der Botschaft abgeben."

Kommentar: Die Familie legte zusammen, um das Geld aufzubringen. Vier Wochen später bekamen Großmutter und Sohn das Visum.

Mutter (Übersetzung): "Die Oma und der Vermittler gingen zusammen in die Botschaft. Dort wurden sie bereits erwartet. Ohne Probleme händigte man ihnen ein Visum aus. Es war eine Frau, eine Deutsche."

Frage: "Eine deutsche Frau am Schalter?"

Mutter: "Deutsche Frau, ja."

KOMMENTAR:

Der Bericht machte Kripo-Beamte in Hamburg hellhörig. Seither ermitteln sie in Teheran. Das ganze Ausmaß wird jetzt offenbar: Zehn deutsche Mitarbeiter der Botschaft werden beschuldigt, Visa gegen Schmiergelder verhökert zu haben. Geständnisse liegen vor, Strafbefehle sind bereits ergangen.

Er habe alle erforderlichen Papiere dabei, beklagt sich dieser Iraner vor der Botschaft, und trotzdem habe er kein Besuchsvisum bekommen. Gut möglich, daß er seine prall gefüllte Reisekasse noch in Teheran erleichtern muß - für das Visum. Denn deutsche Botschaftsangestellte haben, so die Ermittler, selbst genehmigte Visa nicht ausgehändigt, mit der vorgetäuschten Begründung, daß Probleme aufgetaucht seien.

Die wurden gleich nebenan gelöst, auf dem Basar in Teheran. Hier baten deutsche Angestellte zur Kasse. Über einen iranischen Mittelsmann wurden die Visa doch noch übergeben - gegen Schmiergeld, 3.000 Mark und mehr.

Auch bei bereits abgelehnten Visaanträgen bewirkte Geld in der deutschen Botschaft offenbar Wunder. Inzwischen haben Iraner über den Deal Visa gegen Bares bei deutschen Kripo-Beamten ausgesagt. Auszug aus Vernehmungsprotokollen:

Frau: "Meine Familie und ich standen in der Schlange vor der deutschen Botschaft. Ein Landsmann sprach uns an und fragte, ob er unsere Papiere sehen könnte. Wir haben sie ihm gezeigt. Er meinte, daß wir kein Visum bekommen würden. Er könnte uns aber für 15.000 Mark Visa von den Deutschen beschaffen. Als wir am Schalter die Deutschen nach den Visa fragten, wurden wir abgewiesen. Dann verließen wir die Botschaft, und der Mann sprach uns wieder an. Wir haben bezahlt und nach zehn Tagen die Visa bekommen."

Mann: "Als ich am Schalter in der deutschen Botschaft war und meine Papiere zeigte, sagte mir der Mann, daß ich kein Visum bekommen könne, und schickte mich weg. Von der Botschaft sprach mich dann ein Landsmann an. Er sagte, er kann mir ein Visum besorgen, weil er gute Kontakte zur deutschen Botschaft hat. Ich mußte 2.000 Mark bezahlen und bekam ein paar Tage später das Visum."

KOMMENTAR:

Die Schmiergelder liefen über einen Schleuserring, dem Deutsche, Iraner und Holländer angehörten. Der Kopf, ein iranischer Kaufmann, ging in der Botschaft ein und aus. Manche Botschaftsangehörige, so die Ermittler, hielten ihn allen Ernstes für einen Kollegen. Jetzt wird er per Haftbefehl gesucht. Sein Komplize sitzt bereits in Hamburger U-Haft.

Unter Korruptionsverdacht stehen nicht nur Angehörige der deutschen Botschaft in Teheran. Immer mehr Mitarbeiter geraten in den Verdacht, Visa gegen Schmiergeld zu verhökern. Weltweit ermitteln deutsche Kripo-Beamte wegen mangelnder Kontrolle bei der Erteilung von Visa, in der ehemaligen Sowjetunion, an den deutschen Botschaften in Minsk, Vilna, St. Petersburg und Moskau. Auch in Asien, in Peking, Neu Delhi und Kabul forscht die Polizei nach Schwachstellen. Ermittlungen auch in der deutschen Botschaft in der Dominikanischen Republik.

Lagos, Nigeria. Auch dort gibt es Vorwürfe gegen Mitarbeiter der Botschaft. Eine Zeugin, die anonym bleiben will, berichtet:

0-Ton

ZEUGIN:

"Ja, mein Verwandter, ein Nigerianer, wollte gerne in Deutschland studieren, ging zur deutschen Botschaft in Lagos, um ein entsprechendes Visum zu beantragen. Er wurde dort aber abgelehnt, weil er nicht qualifiziert genug sei, sei es völlig aussichtslos, daß er ein Visum bekommt. Dann wurde ein Mittelsmann eingeschaltet, und gegen eine Summe von ungefähr 5.000 DM erhielt er ganz problemlos dann ein Visum, mit ihm, soweit ich informiert bin, noch 16 andere Personen."

KOMMENTAR:

Auch beim Deutschen Gewerkschaftsbund liegen Beschwerden vor von Ausländern, die Visa nur gegen Bares bekamen. Debasish Samanta, Ausländerbeauftragter in Hamburg, schrieb bereits Protestbriefe an deutsche Auslandsvertretungen in Indien und Pakistan.

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DEBASISH SAMANTA: (Ausländerbeauftragter DGB)

"Also, mir ist sehr wohl bekannt, daß sehr häufig an den deutschen Auslandsvertretungen, Botschaften, Generalkonsulaten, geschmiert wird, und zwar auf die Weise, daß die indischen oder pakistanischen Angestellten das Geld entgegennehmen, leiten weiter an ihre deutschen Vorgesetzten, die sich gerne schmieren lassen. Aufgrund dessen bekommen die Einreisenden ihre Einreisegenehmigung."

INTERVIEWER:

"Wieviel wird denn da so an Schmiergeld bezahlt?"

DEBASISH SAMANTA:

"Die Schmiergelder betragen zwischen 30.000 bis 100.000 Rupien, vergleichbar zwischen 1.000 bis 5.000 Mark."

KOMMENTAR:

Wer nach Deutschland reisen will, wer Freunde oder Verwandte besuchen will, braucht eine Einladung und jemanden, der für ihn bürgt.

Verstrickt in den illegalen Handel mit Visa sind neben Privatpersonen auch deutsche Geschäftsleute. Die Herren in feinem Tuch schreiben Scheineinladungen, die sie an Schleuserorganisationen in aller Welt verkaufen. Allein der Schleuserring in Teheran verfügt über ein Netz von mehr als einhundert Privatpersonen und Geschäftsleuten. Diese täuschen auf den Formularen geschäftliche oder private Gründe für die Einladung vor. Pro Einladung kassierten die Deutschen bis zu 6.000 Mark. Auch in anderen Ländern haben sich Schleuser solche Einladernetze aufgebaut.

Akkordarbeit in deutschen Botschaften: drei Millionen Visaanträge bewilligten die Sachbearbeiter allein im vergangenen Jahr. Deutsche Kripo-Beamte stellten fest: Kontrolle findet in fast allen Botschaften kaum statt.

Beispiel: Prostitution: Der Traditionsclub Salambo auf St. Paulis Großer Freiheit. In der Garderobe junge Frauen aus allen Erdteilen, vor allem aus Lateinamerika. So manche wurde hergelockt mit der Aussicht, als Tänzerin zu arbeiten. Jetzt ermittelt die Polizei wegen Verdacht auf schweren Menschenhandel und Zuhälterei.

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REINHARD FALLAK: (Polizeisprecher Hamburg)

"Wir haben eine Zeugenaussage von einer Südamerikanerin, die wurde unter falschen Tatsachen hier eingestellt, nämlich als Tänzerin, sie hat dann auch eine kurze Zeit in einer Show mitgewirkt als Tänzerin, leicht bekleidet. Dann wurde sie bedroht, Geschlechtsverkehr auf der Bühne auszuüben, und sie wurde auch bedroht, Freier in den Séparées des Salambo zu bedienen."

KOMMENTAR:

Die Hamburger Kripo stieß auf Agenturen, die bis zu 200 angebliche Tänzerinnen aus der Dominikanischen Republik geordert hatten. Die deutsche Botschaft in der Karibik genehmigte die Visa, niemand wurde stutzig. Schlamperei und Korruption an deutschen Botschaften in aller Welt. Die Hamburger Ermittlungsgruppe befürchtet: in Armutsländern werden deutsche Botschaften mehr und mehr zu Drehkreuzen des internationalen Menschenhandels.

Abmoderation

JOACHIM WAGNER:

Leider war das Bundesaußenministerium zu einem Interview nicht bereit. In einer schriftlichen Stellungnahme räumt das Ministerium immerhin ein, daß es - Zitat - "immer wieder zur Vorlage gefälschter Einladungen und von Gefälligkeitseinladungen" komme. Vorwürfe der Bestechlichkeit an deutschen Botschaften hätten sich dagegen "in der ganz überwiegenden Mehrzahl" nicht bestätigt, in den wenigen begründeten Fällen seien "personelle Konsequenzen gezogen worden".

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 05.12.1996 | 21:00 Uhr