Absturzgefahr oder Hysterie? - Handies, Laptops und Gameboys in Flugzeugen

Anmoderation:

JOACHIM WAGNER

Flugzeug © Ilja Masík / Fotolia.com Foto: Ilja Masík

Zeit ist bekanntlich Geld. Deshalb arbeiten heute viele Manager auch auf Reisen mit Handy und Laptop. Wartehallen auf Flughäfen ähneln immer mehr Großraumbüros. Und auch im Flugzeug können sie nicht von Laptops und Rechenmaschinen lassen. Einige telefonieren sogar aus der Luft - trotz Verbots. Ob diese elektronischen Geräte die Flugsicherheit ernsthaft bedrohen, ist technisch noch nicht geklärt. Entsprechend groß das Chaos im Flugalltag - unklare Vorschriften, widersprüchliche Anweisungen, nachlässiges Flugpersonal.

Eine Bestandsaufnahme von Andreas Hilmer und Klaus Scherer.

KOMMENTAR:

Sao Paolo vor zwei Wochen: Absturz einer brasilianischen Fokker 100 kurz nach dem Start. Fast 100 Menschen sterben. Mögliche Ursache, so wird spekuliert: ein eingeschaltetes Handy an Bord. Übertriebene Hysterie oder ein realistisches Szenario? Ein Blick weiter zurück macht nachdenklich.

Turin, Januar 96. Die automatische Steuerung einer Alitalia-Maschine setzt beim Landeanflug aus. Der Pilot bekommt sie gerade noch heil zur Erde. Die wahrscheinlichste Fehlerquelle: ein telefonierender Passagier. Zum ersten Mal ermitteln hier Strafverfolger gegen Unbekannt. Tatbestand: Verstoß gegen die Flugsicherheit.

0-Ton (Übersetzung)

RAFFAELE GUARINIELLO: (Oberstaatsanwalt Turin)

"Diesen Fall nehmen wir deshalb so ernst, weil er uns die Augen geöffnet hat für ein neues Problem in der Flugsicherheit. Wenn Passagiere die Bordelektronik stören, verstößt das gegen geltende Sicherheitsbestimmungen, und das kann zu Haftstrafen führen."

KOMMENTAR:

Der Alitalia-Fall ist der gefährlichste, der bisher bekannt wurde - der einzige ist er nicht.

0-Ton GEORG FONGERN: (Pilotenvereinigung Cockpit)

"Es gibt ein System, ein Reporting System nennt sich das, allerdings glauben wir, daß die Dunkelziffer, also die nicht aufgeklärten Vorfälle, weit über 90 Prozent liegen."

KOMMENTAR:

Ein gemeldeter Fall vom Juli 94. Der Boeing-Pilot gibt zu Protokoll, auf einem Flug nach Spanien "kam es plötzlich zu einer unvorhergesehenen Schubreduzierung von 85 auf knapp 60 Prozent". Ursache laut Bericht: ein Gameboy. Nachdem er ausgeschaltet war, traten keine Störungen mehr auf. In Reiseflughöhe ist das korrigierbar, passiert so etwas aber während einer Landung - das bestätigen Experten - dann kann es kritisch werden.

Ein anderes Beispiel, geschildert vom Piloten selbst:

0-Ton

GEORG FONGERN: (Pilotenvereinigung Cockpit)

"Es war auf einem Nachtflug über dem Atlantik, der Autopilot hat im Reiseflug Bocksprünge gemacht, er hielt die Höhe nicht, es fühlte sich an wie Turbulenz. Und es stellte sich heraus, daß ein Passagier mit einem CD-Player sich unterhalten hat, und bei einer bestimmten Funktion, die er vorgewählt hat, machte eben der Autopilot diese Sprünge."

KOMMENTAR:

Hamburg 1992. Landeanflug einer Lufthansamaschine. Laut Unterlagen des Luftfahrtbundesamtes, die PANORAMA vorliegen, meldet der Pilot nach der Landung, daß es "durch das Telefonieren mit einem schnurlosen Telefon eines Passagiers zu extremen Schwankungen der LOC sowie der Glidepath Anzeige kam". Das sind Signale, die dem Piloten Neigungswinkel und Anfluglinie übermitteln.

0-Ton KLAUS NEUFELDT: (Luftfahrtbundesamt)

"Es ist ein sehr wichtiges Signal, und dieses Signal wird ganz besonders wichtig auch dann, wenn es aufgekoppelt wird auf den Autopilot, dann steuern diese Signale nämlich das Flugzeug."

INTERVIEWER:

"Das heißt, wenn die ausfallen oder gestört werden, kann eine Maschine abstürzen?"

KLAUS NEUFELDT:

"Ist durchaus möglich, wenn der Pilot nicht rechtzeitig reagiert. Man kann natürlich jederzeit den Autopiloten ausschalten und von Hand weiterfliegen."

KOMMENTAR:

Vorausgesetzt, die Sicht ist gut und dem Piloten bleibt dafür noch Zeit. Der Hamburger Fall wurde nie veröffentlicht. Laut Luftfahrtbundesamt führte er allerdings zu verschärften Bordansagen, daß der Gebrauch von Elektronikgeräten die Flugsicherheit stören kann. Der Grund sind Signalwellen, die diese Geräte ausstrahlen und damit die Bordelektronik manipulieren können.

0-Ton

KLAUS NEUFELD:

"Die Elektronik des Flugzeuges ist verteilt auf das gesamte Flugzeug. Die sitzt vorne im Cockpit, die sitzt unten im Electronic Compartement, im Fahrwerkschacht, an den Triebwerken, bis hinten zum Heckkonus, und dazwischen verlaufen Leitungen und Steckkontakte, und überall sind Möglichkeiten, daß die Störungen Einfluß nehmen können."

KOMMENTAR:

Flughafen Frankfurt am Main, Sicherheits-Check. Immer mehr Reisende nehmen immer mehr Elektronik mit. Manches darf an Bord benutzt werden, manches nicht. Je nach Fluglinie sind die Ansagen verschieden. Was die Stewardeß nicht ausdrücklich verbietet, so denken viele, ist offenbar erlaubt.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Wissen Sie, was Sie dürfen und das Sie nicht dürfen im Flugzeug mit Elektrogeräten?"

PASSAGIER:

"Nee, aber ich hab bisher noch kein Problem damit gehabt."

0-Ton

GEORG FONGERN: (Pilotenvereinigung Cockpit)

"Man bittet die Passagiere, diese Geräte vor dem Start und vor der Landung abzustellen. Im Reiseflug können einige Geräte davon benutzt werden, andere wiederum nicht. Also es ist ein ziemlich heilloses Durcheinander. Das einzige - ich sag's noch mal - das einzige, was definitiv genannt wird, ist das Handy."

KOMMENTAR:

Die Zurückhaltung vor umfassenden Verboten hat ihre Gründe: High-Tech-Passagiere bringen Geld ein, verprellen will sie keiner. Man hofft auf Einsicht ohne allzu viele Worte.

0-Ton INTERVIEWER:

"Ich bin heute geflogen, da ist die Ansage nicht gemacht worden, daß man all diese Dinge nicht benutzen darf."

CORD-H. BECKER: (Lufthansa)

"Nun gibt es natürlich viele Ansagen. Unsere Gäste sollen sich auch in unseren Flugzeugen wohl fühlen und vor allen Dingen sicher fühlen, und es wäre natürlich schlecht, wenn man gleich zur Begrüßung ein Verbot nach dem anderen runterrasselt, das kann nicht im Sinne eines guten Kundenservice sein."

KOMMENTAR:

Kein Wunder, daß Passagiere dann manches nicht so ernst nehmen. Beispiel aus einem Pilotenbericht nach Störungen im Cockpit. Als die alarmierte Crew einen Fluggast ermahnt, seine Videokamera abzuschalten, verstand der gar nicht das Problem. "Über die Auswirkungen zeigte sich der Passagier nicht sonderlich verwundert und bemerkte dazu, daß sich das gleich auf dem vorhergehenden Flug auf einer B747 ereignet hatte".

Alltagserfahrung eines Flugkapitäns:

0 Ton

GEORG FONGERN: (Pilotenvereinigung Cockpit)

"Das sind ja insbesondere Geschäftsleute mit ihren Handies oder mit ihren Laptops oder halt junge Menschen, Kinder, die gerne auf einem langen Flug auch mal spielen wollen mit ihren elektronischen Geräten. Dort merkt man immer wieder den Unwillen der Passagiere, ihre Geräte abzustellen."

KOMMENTAR:

Der Turiner Staatsanwalt hat seit Beginn seiner Ermittlungen allein in Italien 200 Störfälle zusammengetragen. Den gesuchten Handybenutzer vom Januar hat er trotz Befragung sämtlicher Passagiere noch nicht gefunden. Doch auch die Alitalia muß mit Folgen rechnen.

0-Ton (Übersetzung)

RAFFAELE GUARINIELLO: (Oberstaatsanwalt Turin)

"Auch die Fluggesellschaft hat sich womöglich strafbar gemacht, indem sie durch fehlende Informationen gültige Sicherheitsvorschriften mißachtet hat. Das Ziel ist, gegen solche Gefahren allgemeingültige Regeln durchzusetzen."

KOMMENTAR:

Genau dies halten auch deutsche Piloten für notwendig. Der Gesetzgeber müsse mehr Klarheit schaffen, nicht nur in Sachen Handies.

0-Ton

GEORG FONGERN: (Pilotenvereinigung Cockpit)

"Wir müssen viel intensiver forschen auf diesem Gebiet, und bis wir dann genau wissen um die Ursachen dieser Störungen, sollten wir präventiv diese Geräte an Bord verbieten."

KOMMENTAR:

Die Business Class als technikfreie Zone? Nicht praktikabel, sagt da die Lufthansa, und auch nicht nötig.

0-Ton

CORD-H. BECKER:

"Wir hatten auch schon Fälle, wo von der Besatzung in bestimmten Phasen eben nicht bemerkt wurde, daß ein Handy benutzt wurde, und der Nachbar hat die Besatzung darauf aufmerksam gemacht. Sie sehen, auch in diesem Fall wurde es geregelt." KOMMENTAR: Frei nach dem Motto: Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Stewardeß, und behalten Sie stets Ihren Nachbarn im Auge.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.11.1996 | 21:00 Uhr