Wucher bei der Grabpflege - Kirchengemeinden kassieren ab

Anmoderation:

JOACHIM WAGNER:

Sarg mit Rose © dpa

Wie der Staat sind auch die Kirchen knapp bei Kasse. Zig Gemeinden stehen mit Millionen in der Kreide. Bei der Suche nach neuen Einnahmequellen sind einige auf die Dauergrabpflege gestoßen. Nach dem Tod von Angehörigen, aber auch vor dem eigenen beauftragen viele Kirchengemeinden mit dem Pflanzen und Harken von Grabstätten. Das ist nicht nur eine christliche Aufgabe, sondern häufig auch ein lukratives Geschäft. Der Trick einiger Kirchengemeinden: Sie lassen sich die Grabpflege nicht als normale Dienstleistung bezahlen, sondern das Geld dafür schenken - meist einige tausend Mark mit satten Zinsgewinnen.

Thomas Berndt berichtet.

KOMMENTAR:

Der Tod ist sündhaft teuer geworden: für eine einfache Beerdigung plus Grab muß man mittlerweile rund 10.000 Mark zahlen. Richtig teuer allerdings kann es werden, wenn der Verstorbene dann unter der Erde liegt und sein Grab gepflegt werden muß.

Beispiel Lemförde, eine 2.500-Seelen-Gemeinde, etwas nördlich von Osnabrück. Hier ist der Glaube an die Kirche noch unerschütterlich. Unweit vom Gotteshaus: der Friedhof. Hier kostet die dreißigjährige Pflege für dieses schlichte Doppelgrab 20.000 Mark. Auguste Ziehe regelte ihre Grabpflege vor dem Tod selbst, weil ihre Verwandten nicht im Dorf leben. Gutgläubig unterschrieb sie beim Pastor den Schenkungsvertrag. Was vom Pastor kommt, das kann nicht schlecht sein, dachte sich die 84jährige. Was sie nicht wußte: Der Betrag war drastisch überhöht. Private Friedhofsgärtner verlangen weit weniger als die Hälfte. Erst von ihrem Sohn erfuhr die alte Dame, daß sie neben der Grabpflege noch eine üppige Schenkung an die Kirche gemacht hatte

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INTERVIEWER:

"Bei den 20.000 Mark - wie sind denn die zustande gekommen?"

HARTMUT VOGTS: (Evangel. Kirche Lemförde)

"Die sind uns geschenkt worden. Und wir haben dann der Frau zugesagt, nach ihrem Tode - denn sie hat sie uns ja weit schon zu Lebzeiten geschenkt, schon etliche Jahre vor ihrem Tode - daß wir nach dem Tode ihre beiden Gräber dafür pflegen würden."

INTERVIEWER:

"Haben Sie ihr denn auch gesagt, wieviel davon für die Grabpflege ist und wieviel eine reine Schenkung ist?"

HARTMUT VOGTS:

"Nein, das spielt auch so keine Rolle, muß ich sagen, bei dem, was wir bisher zu tun hatten."

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HELMUT ZIEHE:

"Das Verhältnis zu der Kirche und zum Pastor, das war jetzt natürlich unterkühlter, und sie wollte an und für sich zuerst gar nichts mehr mit dem Pastor und mit der Kirche zu tun haben."

KOMMENTAR:

Die alte Dame traute sich später nicht mehr, das Ersparte vom Pastor zurückzufordern - sehr zur Freude der Kirche.

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HARTMUT VOGTS: (Evangel. Kirche Lemförde)

"Also, wir rechnen davon, daß bei einem solchen Vertrag über 20.000 Mark, sag' ich mal, vielleicht 2.000 Mark überbleiben, das ist die Wirklichkeit."

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ULRICH SOMMERFELD: (Hamburger Sparkasse)

"Wir haben errechnet, daß bei einem Zinsniveau von sieben Prozent im Durchschnitt über dreißig Jahre aus einer Anlage von 20.000 Mark, wenn wir des weiteren unterstellen, 600 Mark gehen Jahr für Jahr aus dieser Anlage heraus, daß dann fast 96.000 Mark daraus werden."

KOMMENTAR:

Trotz Grabpflege ein gutes Geschäft, denn nach Ablauf der Zeit fällt der Rest inklusive Zinsen der Kirchengemeinde zu.

Lemförde ist kein Einzelfall, in Krempe, einer evangelischen Gemeinde vor den Toren Hamburgs kann die Grabpflege noch teurer werden. Diese alte Dame sollte rund 45.000 Mark berappen. Der Streit dreht sich um die spätere Pflege ihres schlichten Familiengrabs auf dem Kirchfriedhof. Den astronomischen Preis hatte ihr der Gemeindepastor Nils Wehrmann ausgerechnet. Dabei hatte der Pastor die Zinsen für dreißig Jahre Festgeld unter den Tisch fallen lassen, andererseits aber bei den Kosten eine mögliche Geldentwertung berücksichtigt. So kommen dann stolze 45.000 Mark zusammen.

Auch in Krempe fällt der Restbetrag nach dreißig Jahren der Kirche zu. Das wären nach dieser Rechnung über 280.000 Mark. Seine Rechenkünste wollte Pastor Wehrmann nicht kommentieren. Einen Vertrag mußte er inzwischen annullieren. Das Thema Grabpflege ist in Krempe tabu. Aufklärung von den Kirchenoberen in Kiel:

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OCKE H. PETERS: (Nordelbische Kirche)

"Fehler passieren, und dies war ein Fehler. Durch die Revision ist er offenbar geworden, und er wird korrigiert.

INTERVIEWER:

"Wie hoch ist denn der Betrag, der zurückgezahlt wird?"

OCKE H. PETERS:

"Ich kenne den Revisionsbericht noch nicht, aber mir ist gesagt worden, daß der Betrag unter 2.000 Mark liegt."

KOMMENTAR

Demnach würde die Pflege dieses Dreiergrabs immerhin noch stolze 43.000 Mark kosten. Bei einer Pflege von dreißig Jahren würde die Kirche obendrein über 200.000 Mark Zinsen kassieren.

Aeternitas kümmert sich um Verbraucherschutz bei allen Fragen um Tod und Bestattung. Hier befürchtet man, daß solche fragwürdigen Grabpflegeverträge weit verbreitet sind.

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HERMANN WEBER: (Aeternitas)

"Ich gehe davon aus, daß die Kirche etwa 200 bis 300.000 Verträge verwaltet, bundesweit, und das dürfte dann eine Summe sein von 1,3 bis 1,6 Milliarden D-Mark."

KOMMENTAR:

Und das gilt weiß Gott auch für katholische Gemeinden wie hier in Oberhausen-Styrum. Großzügige Schenkungen zur Grabpflege werden gern genommen. Die 88jährige Veronica Braun überwies der Kirche das gesamte Ersparte: 50.000 Mark. Sie wollte, daß das Grab ihres gerade verstorbenen Ehemannes besonders gut gepflegt wird. Die Kirche nahm die Schenkung an, für die Nichte von Veronika Braun ein Skandal:

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ILSE SOTH:

"Ob sie in dieser tiefen Trauer sich über die Summe bewußt war, das bezweifel ich, sonst hätte sie mich ja nicht anschließend wieder zur Kirche geschickt, um darum zu bitten."

INTERVIEWER:

"Was hat denn die Kirche gesagt, als Sie das Geld zurück haben wollten für Ihre Tante?"

ILSE SOTH:

"Das Geld sei in guten Händen, sagt der Pastor."

KOMMENTAR:

Der Pastor erklärte Frau Braun aber damals, daß die Summe für die Grabpflege zu hoch sei. Dann machte er ihr aber den Vorschlag, den Rest der Gemeinde zu schenken - offenbar ein Mißverständnis:

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VERONICA BRAUN: (Hörfunk-Interview WDR)

"Nur für die Grabpflege."

INTERVIEWER: "Sonst nichts"

VERONICA BRAUN:

"Nein, ich hab' es für sonst nichts anderes gegeben. Die Kirche hat doch genug Geld."

KOMMENTAR:

Die Familie zog vor Gericht. Das Verfahren endete im Vergleich: Die Kirche mußte rund 31.000 Mark an das Sozialamt zahlen, denn Veronica Braun war mittlerweile verarmt, so daß die Behörde für ihr Pflegeheim mitbezahlen mußte.

Ob Oberhausen oder Lemförde, eins haben diese Verträge gemeinsam: Sie vermischen die Dienstleistung Grabpflege mit einer Schenkung an die Kirche. In Lemförde wird das besonders deutlich, meint Aeternitas-Chef Weber, denn in der Überschrift ist von "Grabpflegevertrag" die Rede, doch der entpuppt sich dann im Text als Schenkung - juristisch kaum anfechtbar, aber moralisch fragwürdig.

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HERMANN WEBER: (Aeternitas)

"Für viele ältere Menschen ist dieser Vertrag doch etwas mißverständlich. Ich persönlich plädiere dafür, daß zwei Verträge abgeschlossen werden - einmal ein Schenkungsvertrag und zum anderen der Dauergrabpflegevertrag.

Der Lemförder Vertrag ist nicht etwa die Entgleisung eines einzelnen Pastors, sondern er ist abgesegnet von ganz oben, von der Hannoverschen Landeskirche. Die nämlich hat den Text als Mustervertrag an seine über tausend Gemeinden geschickt - Wurzel für Wucherpreise und Mißverständnisse.

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AXEL ELGETI: (Hannoversche Landeskirche)

"Sie haben recht, daß hier vielleicht Mißverständnisse entstehen können, und wir werden dieses Vertragsmuster entsprechend ergänzen und abändern, auch in den Formulierungen, und wir werden einen Erfassungsbogen zur Verfügung stellen, in dem jedem deutlich wird, was die Kapitalverzinsung bringt und was die Pflege über dreißig Jahre kosten wird."

KOMMENTAR:

Für Familie Ziehe kommt diese Einsicht der Kirchenoberen zu spät, denn das Ersparte seiner Mutter bleibt im Klingelbeutel - geschenkt ist geschenkt.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.11.1996 | 21:00 Uhr