Anwerbung auf dem Sozialamt - Arbeitslose Frauen als Drogenkuriere

Sichergestelltes Rauschgift © dpa

Szene nachgestellt Flughafen Frankfurt Neujahr '96. Eine Maschine aus Rio de Janeiro im Landeanflug. An Bord unter vielen anderen zwei braungebrannte Touristinnen aus dem Saarland. Die Rauschgiftfahnder erwarten sie schon, aufgrund eines anonymen Hinweises. Bis kurz vor dem Ausgang werden sie observiert. Dann plötzlich die Festnahme. In den Koffern finden sich zehn Kilo Kokain, Wert: zwei Millionen Mark. Ein Dorf bei Saarbrücken. Hier, in klein bürgerlicher Idylle,treffen wir eine der Schmugglerinnen, nach drei Monaten U-Haft wieder auf freiem Fuß. 26 Jahre, Sekretärin, sie lebt noch bei den Eltern, mit der Polizei hatte sie noch nie zu tun. Was wurde ihr für den Schmuggel versprochen?

O-Ton FRAU:

"Im Prinzip eigentlich gar nichts Konkretes versprochen worden. Es ist mir nur halt eben ein toller Urlaub versprochen worden, Strand, Sonne, schöne Männer sehen, am Strand rumliegen, faulenzen, halt eben einfach nur entspannen, ausruhen."

KOMMENTAR:

Der Vorschlag sei von ihrer Freundin gekommen. Für den Gratisurlaub hätte sie nur ein paar Schreibarbeiten erledigen sollen, aber dann sei es mehr geworden.

O-Ton FRAU:

"In Sao Paulo sagte sie zu mir: Ja, Sabine, wir müssen noch 'ne kleine Sache halt eben erledigen, wir sollen Dokumente mit nach Hause nehmen. Im ersten Moment ist mir eigentlich alles durch den Kopf gegangen: Es könnten Dokumente sein, es könnten auch Drogensein. Man hört ja auch so viel davon, daß man solche Sachen halt eben transportiert von Leuten. Aber im Nachhinein so - die erste Zeit habe ich mir schon Gedanken gemacht, aber nachher hab' ich nimmer drüber nachgedacht. Ich wollte halt eben nur noch heim nachher."

KOMMENTAR:

Wie ahnungslos sie tatsächlich war, entscheiden jetzt die Richter. Ihre Freundin sitzt immer noch in U-Haft. Nach den bisherigen Ermittlungen hätte sie, eine arbeitslose Kellnerin, in Saarbrücken eine Prämie von 10.000 Mark von einem Nigerianer erhalten sollen. Die Freundinnen, kleine Figuren in einem großen Spiel. Seit einigen Jahren schafft eine Organisation von Nigerianern Tonnen von Kokain aus dem Anbaugebiet bei Medellin nach Brasilien. Für den Transport nach Europa werden nach einem bestimmten Muster Kuriere geködert.

O-Ton Ermittlungsgruppe Rauschgift GERALD STOCK, Saarland

: "Wir haben festgestellt, daß es aus schließlich europäische Staatsangehörige sind. In sehr vielen Fällen sind es Frauen, die bislang polizeilich noch nicht in Erscheinung getreten sind und insofern recht gut durch Zoll kontrollen kommen und darüberhinaus finanzielle Probleme haben."

KOMMENTAR:

Ein perfider Trick - Endstation ist der Knast. In 15 deutschen Städten laufen derzeit solche Strafverfahren gegen Kuriere. Statt einschlägig be kannter Junkies sammeln sich jetzt hier bisher unbescholtene Frauen mit geringen Gehältern oder Arbeitslose in finanzieller Not.

O-Ton

LKA Stuttgart VERONIKA HALACH:

"Sie sprechen ganz gezielt Personen an, die einkommensschwächer sind, dieSozialhilfe zum Beispiel beziehen, und sie gehen sogar so weit, daß sie sogar in Sozialämter hineingehen, dort Frauen, die Sozialhilfe empfangen, direkt anwerben für diese Tätigkeit." KOMMENTAR: Am Anfang heißt es immer, es gehe um den Transport von Wertpapieren oder Diamanten. Ein Sozialemt in Mannheim. Angesprochen wurde hier vor etwa einem Jahr eine 55jährige, nennen wir sie Gerda S. Von einem Schmucktransport soll die Rede gewesen sein und von einer Prämie von 1.000 Dollar. Das Stadtviertel Bangu, am äußersten Rand Rio de Janeiros. Hier liegt der Frauenknast. Hierhin hat man Gerda S. gebracht, nachdem sie am Flughafen Rio mit zehn Kilo Kokain verhaftet wurde. Wir treffen sie zusammen mit zwei Verkäuferinnen aus Nürnberg, auch Kurierinnen. Gerda S. will anonym bleiben. O-Ton GERDA S.: "Ich bin angesprochen worden in Deutschland im Sozialamt, und ich sollte Schmuck transportieren und Kleider - nach Madrid bringen, von Sao Paulo nach Madrid. Und ich hab' die Tasche nicht aufmachen können, da war ein Schloß dran, obwohl daß man mir die Schlüssel gegeben hat, aber mein Flug ist gegangen nach Rio, ich hab' nicht nachgucken können, was drin ist. Kleider hab' ich gesehen, ist da rausgeguckt. Aber was drin war, hab' ich nicht gesehen."

KOMMENTAR:

Die zwei Nürnberger Mädchen erzählen, sie hätten für 2.000 Mark nur Bücher transportieren sollen.

O-Ton MÄDCHEN:

"Es waren Bücher fest in den Umschlägen.Und die haben das Kokain - die haben die Umschläge aufgemacht, haben das Kokain reingelegt, reingepreßt. Das hast du nicht gesehen."

MÄDCHEN:

"Die waren dünn, die Bücher, ein bißchen dicker als das Notizbuch."

MÄDCHEN:

"Ja, mit festen Umschlägen."

MÄDCHEN:

"Die Koffer waren schwer, aber was will man da denken, wenn man Bücher im Koffer hat. Die sind schwer. Ich mach' mir keinen Kopf, wie schwer ein Buch ist, wieviel es wiegt, ob's kalt oder warm ist, interessiert mich nicht. Für mich waren das Bücher."

KOMMENTAR:

Schutzbehauptung oder Wahrheit? War alles wirklich so harmios?

O-Ton

LKA Stuttgart VERONIKA HALACH:

"Ich kann in die Köpfe nicht hineinsehen, aber ich glaube, wenn ich für eine relativ geringe Aufgabe doch sehr gut belohnt werde, dann glaube ich schon, daß man weiß, okay, hier ist irgendetwas nicht in Ordnung. Aber das ganze Ausmaß, das weiß vielleicht doch nicht jede Frau, die sich hier verführen läßt."

KOMMENTAR:

Ihr Schicksal teilen die Deutschen hier mit rund vierzig Europäerinnen, allesamt Kurierinnen, Mulas nennt die Polizei hier, die menschlichen Maultiere der Kokainmafia.

O-Töne FRAUEN:

"Alles dasselbe." "Immer das gleiche." "Deswegen glaubt uns der Richter ja nichts." "Die glauben uns nicht mehr, weil das alles dasselbe ist." "Immer die gleichen Stories." "Immer die gleichen Stories."

KOMMENTAR:

Gerda S. bekam viereinhalb Jahre Knast, die anderen beiden wurden zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Eine fünfzig Quadratmeterzelle für acht Frauen, als Essen Reis und Bohnen, das Trinkwasser kommt aus der Leitung.

O-Ton FRAU:

"Das Wasser kannst du nicht trinken, ich krieg' Magenweh wie verrückt. Ich kann das Wasser nicht trinken, lieber trink' ich gar nichts."

KOMMENTAR:

Die Haftbedingungen in Rio sind hart, aber eine ähnliche Strafe hätte die Frauen wohl auch in Deutschland erwartet. Hier, im Frankfurter Frauenknast, sitzen zum Beispiel seit einem Jahr eine arbeitslose Köchin und ihre Tante, verurteilt zu fünf und sieben Jahren. Und wie die Frauen in Brasilien sind sie nicht nur Täter, sondern auch Opfer.

O-Ton

Staatsanwaltschaft Frankfurt HANS GEORG KRAUTH: "Also den Eindruck, den ich aus der Hauptverhandlung hatte, war, daß es sich nicht um Profis handelt, sondern eher um zwei Damen, die wohl etwas leichtgläubig in diese Sache hineingeschlittert sind."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 04.07.1996 | 21:00 Uhr