Abstauber

von Bericht: Thomas Berndt

JOACHIM WAGNER:

Mehrere 100 D-Mark-Scheine und weitere Münzen liegen in zwei Händen. © dpa / picture-alliance

Der Stuttgarter Fußballer Thomas Berthold und Star-Trainer Otto Rehagel sind nach Insider-Schätzungen Einkommensmillionäre. Trotzdem kassieren sie Invalidenrente, obendrein steuerfrei - als Entschädigung für Fußballverletzungen, obwohl beide ihre Jobs in der Bundesliga quicklebendig ausüben. Wie es zu diesem absurden Ergebnis kommt, erzählt Ihnen Thomas Berndt.

Fußball-Rentner - Millionäre kassieren Invalidenrente
Spieler mit geringen Verletzungen, die quicklebendig ihrem Sporteinsatz nachgehen, erhalten Invaliditätsrente.

KOMMENTAR:

Topfit ist er in die neue Saison gestartet: Thomas Berthold vom VfB Stuttgart. Superstar und Großverdiener: Pro Jahr kassiert er rund 1 Million Mark - plus 1.500 Invalidenrente von der Berufsgenossenschaft. Vor elf Jahren verletzte sich Berthold an der rechten Hand, Kahnbeinbruch. Anschließend konnte er sein Handgelenk nicht mehr voll durchdrücken. Am Fußballspielen hinderte ihn dieses Handikap allerdings nicht.

1990 wurde der Invalide Weltmeister. Dann verdiente er mit seinen Fußballkünsten Millionen in Italien. Viele Titel, großes Geld. Trotzdem kassiert der Berufsfußballer Monat für Monat Invalidenrente, denn noch heute behindert ihn die alte Verletzung.

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THOMAS BERTHOLD:

"Wenn wir hier unseren Tag der offenen Tür haben einmal im Jahr und dann Autogramme schreiben zum Beispiel, dann kriege ich da Probleme. Oder Tennis spielen - nach einer halben Stunde schmerzt dann so auch das Handgelenk. Das sind die kleinen Begleiterscheinungen."

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FRANZ BECKENBAUER:

"Bleiben wir mal beim Thomas Berthold, der hat in seiner Laufbahn sehr, sehr viel Geld verdient, ob in Italien oder auch in Deutschland, ich glaube, daß der auf 1.500 Mark Rente im Monat durchaus verzichten könnte. Und ich kann mir vorstellen, daß viele in Deutschland da sind, die froh wären, diese 1.500 Mark zu bekommen."

KOMMENTAR:

Kaiserlicher Tadel für den Invalidenrentner. Der ist weiß Gott kein Einzelfall, über dreißig hochbezahlte Profirentner stehen in der Bundesliga putzmunter auf dem Platz. Wie zum Beispiel Thomas Hoersen von Borussia Mönchen-Gladbach: 1.200 Mark Rente nach einer Knieverletzung.

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THOMAS HOERSEN:

"..., daß ich wieder voll drin bin im Tritt. Ich meine, es ist auch schon lange genug her, es war, glaube ich, im August '93 oder so. Mitte '94 war ich dann wieder einigermaßen voll da."

KOMMENTAR:

Auch ein quicklebendiger Trainer wie Winfried Schäfer vom KSC kassiert doppelt, ein Millionengehalt vom Verein und Invalidenrente - für eine Jahrzehnte alte Knieverletzung.

Das gleich Zubrot genießt sein Millionärs-Kollege Otto Rehagel. Doch die Profiabzocker spielen nicht etwa ein Foul, die Meisterkicker nehmen sich nur das, was ihnen nach einer Verletzung zusteht.

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MONIKA GNAUCK-STUVE:

(Berufsgenossenschaft) ".... in der gesetzlichen Unfallversicherung egal ist, ob ein Spieler nach einem Unfall noch Millionen kassiert. Reichskanzler Bismarck hat die Reichsversicherungsordnung initiiert, die seit rund Anfang des Jahrhunderts bis heute noch gilt. Und da kann es sein, daß Spieler seine Hand schwer verletzt hat und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr so gut vermittelt werden könnte in anderen Berufen, aber als Spieler ist er voll einsetzbar, es sei denn, er ist im Tor."

KOMMENTAR:

Doch die Kosten für Rente und Reha-Behandlungen sind in den letzten Jahren rapide gestiegen, auf 40 Millionen Mark. Deshalb hat die Berufsgenossenschaft gerade ihre Beitragsforderungen drastisch erhöhe: um 600 Prozent, und zwar rückwirkend. Doch daß die Kosten so gestiegen sind, liegt sicher nicht nur an den raffgierigen Fußballprofis, sondern auch daran, daß selbst schwerverletzte Spieler in wenigen Wochen wieder fit gemacht werden. Auch das kostet Millionen.

Zahlen müssen die Vereine. Beispiel Werder Bremen: Der Verein soll rund 2 Millionen an die Berufsgenossenschaft überweisen. Viel zu teuer, sagt Manager Lemke. Die Hanseaten und sechs weitere Vereine wollen die Genossenschaft jetzt verklagen.

Beispiel SSV Ulm, Regionalliga: Für die Kleinen kommt's knüppeldick. Fast 400.000 soll Ulm zahlen, obwohl der Verein nur rund 1 Million von seinen Mitgliedern einnimmt.

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REINHOLD EBERHARDT: (Präsident SSV Ulm 1846)

"Der SSV Ulm 1846 ist bei einer solchen Beitragserhöhung nicht überlebensfähig, und der Vorstand wird die entsprechenden Konsequenzen ziehen, gegebenenfalls sich aus dem Fußballsport zurückziehen."

KOMMENTAR:

Andere dagegen können den Hals nicht voll genug kriegen. Weltmeister Berthold genießt das Schlückchen aus der Rentenpulle ganz sorglos, denn die Zeche zahlen ja andere. Aber einige hunderttausend kostet so ein invalider Berthold allemal. Autogrammstunden tun ihm weh - kicken auch?

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THOMAS BERTHOLD:

"Nicht unbedingt, weil wir eher die Füße gebrauchen als die Hände. Aber zum Beispiel beim Handballspielen wäre es schwierig."

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.08.1996 | 21:00 Uhr