Beamte und Anwälte helfen Schlepperbanden

von Bericht: Gita Ekberg und Gesine Enwaldt

JOACHIM WAGNER:

Polizisten führen einen mutmaßlichen Schleuser ab. © dpa Foto: Jens Holgerson

Seit das Asylrecht verschärft und der Grenzschutz verbessert wurde, boomt das Geschäft der internationalen Schlepperbanden. Mit dem organisierten Menschenhandel ist inzwischen ebenso viel Geld zu verdienen wie mit Drogenhandel - mit deutlich geringerem Risiko. Um dies so klein wie möglich zu halten, arbeiten die modernen Sklavenhändler mit raffinierter Technik und Logistik - vor allem aber mit Unterstützung deutscher Beamter und Rechtsanwälte. Drei solcher Banden sind vor kurzem in Hamburg aufgeflogen. Ein Hintergrundbericht von Gita Ekberg und Gesine Enwaldt.

Schlepperbanden - Kriminelle nach Deutschland geschleust
Schlepperbanden arbeiten als "moderen Sklavenhändler" teilweise mit Unterstützung deutscher Beamter.

KOMMENTAR:

Seit zwei Jahren waren sie ihnen auf der Spur, dann gelang ein entscheidender Schlag gegen die Schlepperbanden. Vor fünf Monaten durchsucht die Polizei Büros, Wohnungen, Hotels und findet Beweismaterial en masse, eine Ermittlungslawine wird losgetreten.

Das Hotel Kabul soll eine Zentrale der Schlepper gewesen sein, die in den letzten Jahren weit über 6000 Menschen aus Afghanistan gegen hohe Summen nach Deutschland geschleust haben. Dienstsiegel, knapp 2000 Pässe, Aufenthaltstitel, gestohlen aus deutschen Ämtern, aber auch von Beamten gegen gutes Geld an Schleuser verkauft. Hinweise auf neue Schlepperstrukturen ungeahnten Ausmaßes. Das Geschäft mit der Ware Mensch boomt.

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GÜNTER HEERDT:

(LKA Hamburg)

"Die einheitliche Beurteilung nicht nur von uns, sondern insgesamt ist eigentlich die, daß die Summen, die dabei zutage gefördert werden, als illegale Profite sehr hoch liegen und in der Zukunft, und zwar nicht in der ferneren, sondern in der nahen Zukunft sehr in die Nähe dessen kommen werden, was man sozusagen mit dem Rauschgifthandel verdienen kann."

KOMMENTAR:

Afghanistan, Kabul, seit 18 Jahren vernichtet der Krieg die Lebensgrundlage der Afghanen. Kabul ist eine Stadt ohne Perspektive, ohne Infrastruktur, der Alltag ein Kampf gegen Hunger, Krankheit und Tod. Wer von hier den Weg nach Deutschland schafft, braucht die Abschiebung nicht zu fürchten, denn einen Flughafen gibt es in Afghanistan durch die Zerstörungen nicht mehr. Für die Schleuser ideale Bedingungen. Schon lange gilt Deutschland als das gelobte Land.

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SOBEERI ZEDIQIAN:

(Afghanischer Hilfsdienst)

"Ich bin '83 nach Deutschland gekommen, da hat man in Afghanistan gehört, daß in Deutschland alles Paradies ist: Man bekommt Haus, man bekommt Geld, man bekommt zu Geburtstag Geschenke und so. Und diese laufen da in der afghanischen Gesellschaft. Und zweitens über deutsche D-Mark und deutsche Wirtschaftsentwicklung hört man auch sehr viel, und die Leute sagen: Wenn du mir 15.000 Mark oder 10.000 Mark gibst, dann schaffe ich die Möglichkeiten."

KOMMENTAR:

Die Wege sind immer dieselben. Die Schleuser schicken über die russischen Hauptumschlagplätze in Moskau, Minsk und Kiew afghanische Blankopässe nach Deutschland. Hier werden in die afghanischen Pässe die aus deutschen Behörden geklauten Aufenthaltspapiere eingeklebt und mit den ebenfalls geklauten Dienstsiegeln gestempelt.

Kuriere, in den meisten Fällen LKW-Fahrer, bringen die präparierten afghanischen Papiere zu den Schleuserzentralen in Rußland .

Dort werden Foto und Name der afghanischen Flüchtlinge in die Papiere eingetragen und übergeben. Die Afghanen reisen dann mit echten Papieren nach Deutschland.

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GÜNTER HEERDT:

(LKA Hamburg)

"Das heißt, daß die Grenzkontrollbehörden vor dem Hintergrund dessen, daß sie konfrontiert werden sozusagen mit echten Dokumenten, im Grunde keine Möglichkeit haben, hier per mittlerer Kontrolltiefe festzustellen, daß es sich hier also um geschleuste Personen handelt."

KOMMENTAR:

Ein neues Phänomen macht der Polizei zu schaffen: neben den Flüchtlingen, die aus unterschiedlichen Gründen kommen, werden zunehmend Kriminielle geschleust, die im Westen gezielt für Verbrechen eingesetzt werden.

In St.Georg, dem Viertel am Hamburger Hauptbahnhof, laufen viele Fäden zusammen.

St.Georg ist auch das Viertel für alle anderen Flüchtlingen, die mit großen Hoffnungen hierher kamen. Von Paradies keine Spur. Die 15.000 Mark für die Schleusung kann kaum einer aufbringen. Sie kommen auf Kredit, stehen in der Schuld der Schleuser und werden in die Kriminalität gepreßt.

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GÜNTER HEERDT:

(LKA Hamburg)

"Es beginnt damit, daß man zum Beispiel hier einer illegalen Beschäftigung nachgeht oder der Prostitution nachgeht. Es geht weiter damit, daß man beispielsweise Versicherungsbetrügereien begeht. Es geht weiter damit, daß man sich an Rauschgifthandel beteiligt oder daß man bestimmte Kurierdienste durchführt."

KOMMENTAR:

Frauen, die wir bei dieser Razzia kennengelernt haben, sagen uns, daß sie zur Prostitution gezwungen werden, daß die Brutalität der Schlepper ihnen keinen Ausweg läßt. Ihnen und ihren Familien wird massive Gewalt angedroht.

Die Geschleusten leben in Angst. Die Afghanen stecken in einer doppelten Abhängigkeit: neben der finanziellen Schuld haben die Schlepper ihnen die Pässe wieder abgenommen. Jetzt sind sie zudem noch in der Hand derer, die mit den Schleppern zusammenarbeiten: deutsche Rechtsanwälte, die mit ihnen die nötigen Behördengänge machen, um an neue Papiere zu kommen.

Nach den Ermittlungen der Polizei sollen die Rechtsanwälte in der Ausländerbehörde Bestechungsgelder fließen lassen und Aufenthaltsgenehmigung für ihre Mandanten en bloc gekauft haben.

Ohne die Mithilfe der deutschen Beamten, die für die Grundversorgung der Schlepper mit Blanko-Formularen und Stempeln sorgen, läuft gar nichts. Dokumente und Dienstsiegel liegen zu hunderten in den Schreibtischen, fingierte Einbrüche. Diebstähle ein leichtes Spiel.

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SOBEERI ZEDIQIAN:

(Afghan. Hilfsdienst)

"Und da frage ich mich, in einem Lande wie Deutschland, wie können alle diese Sachen gestohlen werden? Und wie können die Behörden so lange das machen?"

KOMMENTAR:

Die deutschen Behörden sind's nicht allein, dazu kommt eine gewisse Lässigkeit, gepaart mit Desinteresse im afghanischen Konsulat. Wenn der Rechtsanwalt mit dem Flüchtling und der gekauften Duldung um einen Paß anfragt, gibt es kein Problem:

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SULTAN BONYARD: (Übersetzung)

(Afghanische Botschaft)

"Wir führen eine kurze Befragung durch, und außerdem muß er oder sie einen Ausweis oder eine Duldung von den deutschen Behörden haben, ohne diese Dokumente gibt es keinen Paß."

FRAGE:

"Wie kontrollieren Sie die Angaben nach Geburtsdatum und Namen?"

SULTAN BONYARD:

"Ich bin Afghane, ich habe studiert, ich bin in meiner Kultur aufgewachsen, ich kenne meine Leute sehr gut. ich habe zwei Jahre in Rom und Pakistan gearbeitet, ich kenne meine Leute wirklich gut."

KOMMENTAR:

Brisante Erkenntnis durch die Ermittlungen: zum ersten Mal stellt die Polizei fest, daß für geschleuste Kriminelle Deutschland nur eine Durchgangsstation ist. Die Schlepper und ihre Helfer stricken an einem globalen Netz. Besonders für die Kriminellen sind USA und Kanada die eigentlichen Ziele.

O-Ton

INTERVIEWERIN:

"Wir wird das denn von den dortigen Behörden gesehen?"

GÜNTER HEERDT:

(LKA Hamburg):

"Also die sehen das natürlich gar nicht mit Begeisterung, daß also eine solche Durchschleusung sozusagen durch die Bundesrepublik Deutschland passiert. Und das heißt, daß, nachdem diese Personen hier sich entsprechend mit Kapital und Geld ausgestattet haben, sie dann auf entsprechenden Wegen in die USA oder nach Kanada ausreisen. Und das heißt also, es gibt von daher auch einen intensiven Informationsaustausch zwischen diesen Staaten mit der Bundesrepublik Deutschland und den entsprechenden Polizeien in ihrem Staat.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 22.08.1996 | 21:00 Uhr