Von der Weide in die Wurstfabrik - Tierquälerei auf Schlachtpferdtransporten

Anmoderation:

JOACHIM WAGNER:

Pferde auf einer Wiese © dpa Foto: Peter Steffen

Seit der BSE-Krise und dem Zusammenbruch des Rindfleischmarktes haben an den Ladentheken andere Tiere Konjunktur: Hühner, Schweine und in Italien und Frankreich vor allem Pferde. 1995 wurden aus Polen mehr als 100.000 Schlachtpferde quer durch Europa in diese Länder gekarrt. Trotz jahrelanger Proteste und aufrüttelnder Fernsehbilder über verletzte und verendete Pferde haben sich die Zustände auf diesen Horror-Trips bis heute nicht verbessert, wie Kuno Haberbusch und Ralf Kosack leider feststellen mußten.

Tierquälerei auf Schlachtpferd-Transporten
Ein Transport mit Schlachtpferden wird auf seinem rund 60 Stunden langen Weg von Polen bis nach Frankreich begleitet.

KOMMENTAR:

Eine kurze Pause auf der langen Reise in den Tod. Pferde im polnischen Rzeppin, einer Sammelstelle für geschundene Vierbeiner. Aus ganz Polen und aus den GUS-Staaten werden sie herangekarrt.

Die Pferde, die überlebt haben, werden hier per Handschlag verkauft an Schlachtereien und Wurstfabriken, vor allem in Italien und Frankreich.

Ein polnischer Tierarzt bei seiner Inspektion. Provozierend oberflächliche Routine - knapp dreißig Sekunden für 19 Pferde. Sein Befund: Alle Tiere sind gesund.

Tatsächlich haben einige der Pferde offene Wunden, die äußerst schmerzhaft sind. Eigentlich dürften sie nach den gültigen EU-Richtlinien nicht transportiert werden. Dennoch: Die qualvolle Reise quer durch Halb-Europa beginnt.

Erste Station: Deutschland nach 20 Kilometern. An der Grenzstation Frankfurt/Oder zeigen wir dem Chefveterinär die Fotos der verletzten Tiere. Sein Befund ist eindeutig:

0-Ton

HELMUT THIELE (Grenzveterinäramt)

"Die würden wir auf jeden Fall beanstanden, wobei ich also sicher bin, daß wir diese hier gezeigten Verletzungen, wenn sie hier schon an der Grenze vorhanden gewesen wären, auch so erkannt hätten, bei den jetzigen Untersuchungsbedingungen."

KOMMENTAR:

Was der Veterinär nicht weiß: Genau diese Tiere haben seine Grenzkontrollstelle bereits ohne Beanstandung passiert. Ein Grund: Die Kontrolleure sind völlig überlastet. Für den Chef ist unsere Enthüllung dennoch peinlich.

0-Ton HELMUT THIELE:

"Ja, dann muß ich natürlich sagen, daß der betreffende Kollege wahrscheinlich dann doch nicht die erforderliche Sorgfalt hat walten lassen."

KOMMENTAR:

Eine Panne also schon zu Beginn der qualvollen Reise in den Schlachthof im 2.500 Kilometer entfernten Perpignan - eine Fahrt von rund 60 Stunden.

Mehr als 100.000 Schlachtpferde allein aus Polen werden jedes Jahr quer durch Mitteleuropa gekarrt. Seit Jahren fordern nicht nur Tierschützer ein Verbot solcher Qualtouren - vergebens.

0-Ton

JOCHEN BORCHERT (Bundesminister für Landwirtschaft)

"Also wir können Transporte national, im Alleingang, überhaupt nicht verhindern. Wir sind hier gebunden an das europäische Recht. Wenn wir im nationalen Alleingang Transporte, die im Transit durch Deutschland gehen, verhindern würden, hätten wir sofort Schadenersatzklagen der daran beteiligten Länder und Transporteure."

KOMMENTAR:

"Der Sprecher der Europäischen Union weiß, weshalb das so ist:

0-Ton (Übersetzung)

GERALD KIELY:

"Wenn Ihre Nation gegen Pferdetransporte ist, dann müssen Sie die EU-Richtlinien einhalten, die schon jahrelang gelten. Bei einer Verschärfung der Gesetze würde es kaum eine Zustimmung der Mitglieder geben. Und für ein Verbot würde nicht einmal eine Minderheit plädieren."

KOMMENTAR:

Die politische Untätigkeit wird also auch weiterhin solche Bilder provozieren, allen Protesten zum Trotz. Die Händler und Transporteure - das wissen sie aus jahrelanger Erfahrung - nichts zu befürchten. Die Grenzkontrollen sind zu lax, und während der Tour passiert gar nichts - trotz des Engagements auch von Europa-Abgeordneten.

0-Ton

HONOR FUNK: (CDU-Europa-Abgeordneter)

"Bisher hat die Kommission uns immer gesagt, sie hätten kein Geld, um Inspektoren einzustellen. Und dann haben wir eine Wut bekommen und haben gesagt, dann würden wir eine Haushaltszeile dafür erfinden, und haben das im Parlament auch durchgesetzt. Das ist ja großartig, daß das Parlament zumindest hier Unterstützung gegeben hat. Aber die Kommission war auch unfähig, in dieser Zeit - das Geld ist seit 1995 vorhanden - überhaupt Kontrolleure einzurichten, um diese leidigen Schlachtviehtransporte einer Kontrolle zuzuführen."

KOMMENTAR:

Trotz bewilligter 5 Millionen Mark keine Kontrollen? Der Sprecher der EU-Agrarkommission will davon nichts wissen.

0-Ton (Übersetzung)

GERALD KIELY:

"Davon weiß ich nichts. Fünf Millionen für was?"

INTERVIEWER:

"Fünf Millionen jährlich zur Verschärfung der Kontrollen."

GERALD KIELY:

"Nein, das stimmt nicht."

KOMMENTAR:

Peinlich für den Sprecher: Sein eigener Chef, der EU-Agrarkommissar Fischler, mußte den Skandal bereits zugeben - in einer schriftlichen Antwort an die protestierenden Abgeordneten. Vor neun Tagen begründete er die schlimme Panne mit einem "unglücklichen Mißverständnis".

Durch diese Antwort fühlen sich die Abgeordneten veralbert, denn sie wissen: nur scharfe Kontrollen verhindern Szenen wie diese: Der Transporter ist mittlerweile 20 Stunden unterwegs, ohne Pause. Ein Pferd ist zusammengebrochen, droht zu ersticken. Für den Händler wäre das ein Verlust. Deshalb prügeln die polnischen Fahrer das Pferd, um es wieder auf die Beine zu bekommen.

Bis zum französischen Schlachthof sind es noch 1.000 Kilometer, 1.500 haben die Pferde schon hinter sich - 1.500 überflüssige Kilometer, wie nicht nur Tierschützer behaupten.

0-Ton

HONOR FUNK: (CDU-Europa-Abgeordneter)

"Man kann auch in Polen Pferde schlachten. Inzwischen sind mindestens zehn Schlachthöfe in Polen anerkannt, daß sie in der Lage sind, den EU-Standard zu erfüllen, daß dort Fleisch, das dort gewonnen wird durch Schlachtung, erfüllt die Anforderungen bei uns, so daß man sich nicht auf den Standpunkt stellen kann, man könnte Pferde nur lebend transportieren."

0-Ton (Übersetzung)

GERALD KIELY: (EU-Agrarkommission)

"Es eben ist für manche Länder attraktiv, wie zum Beispiel Frankreich oder Italien, die Tiere lebend zu importieren und sie dort zu schlachten und zu verarbeiten, wie es am besten auf den Märkten in diesen Ländern ankommt. Da kann die Kommission überhaupt nichts machen. Wenn wir es verbieten wollten, müßten wir die Zustimmung aller Minister haben, und das ist nicht möglich."

KOMMENTAR:

Nach 24 Stunden die erste Pause. Viele Pferde sind zu erschöpft, um zu fressen oder zu trinken. Die Europäische Union fördert solche skandalösen Transporte, indem sie pro Kilo Lebendgewicht nur drei Prozent Zoll erhebt. Gekühltes Fleisch von in Polen geschlachteten Pferden wäre teurer: sieben Prozent Zoll.

An der französischen Zollstelle wenig Interesse am Zustand der Tiere: Trotz laufender Kamera kein Engagement. Ein kurzer Blick in die Papiere, ein freundliches "au revoir" - das war's. Die laxen Kontrollen in Frankreich und Italien sind seit Jahren bekannt - geändert hat sich nichts.

0-Ton

WOLFGANG APEL: (Deutscher Tierschutzbund)

"Wir sollten endlich auch den Franzosen und Italienern klarmachen, daß sie sich in der EU befinden und daß Tierschutz kein Fremdwort für sie sein darf oder ein Lippenbekenntnis, sondern daß Tierschutz bedeutet, daß keine Tiertransporte für den menschlichen Verzehr in dieser Form weiter durchzuführen sind."

KOMMENTAR:

Der Transport erreicht den Schlachthof in Perpignan - nach mehr als 60 Stunden. Fragen nach den Subventionen, die die EU an diesen Schlachthof zahlt, will keiner hier beantworten. Wir sind unerwünscht. Die Polizei wird gerufen. Während sich bereits der nächste Pferdetransporter nähert, schreiten die Angestellten zur Tat - das abrupte Ende einer Dienstreise.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 14.11.1996 | 21:00 Uhr